Drei Millionen Wohnungen stehen leer

Neue Gesetze sollen in Frankreich die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

12 Millionen der insgesamt 63 Millionen Franzosen müssen unter schlechten Wohnbedingungen leben oder haben gar kein Dach über dem Kopf, mahnt die Stiftung Abbé Pierre. Sie ist nach dem Mönch benannt, der im extrem kalten Winter 1954 auf Wohnungsnot und das Los der Obdachlosen nachdrücklich aufmerksam gemacht hatte.

Von den insgesamt in Frankreich gezählten 38 Millionen Wohnungen sind 82 Prozent ständig bewohnt und 10 Prozent Wochenend- oder Ferienwohnungen. Die restlichen 8 Prozent, etwa 3 Millionen Wohnungen, stehen leer. Immerhin warten landesweit 2,4 Millionen Haushalte – oft seit Jahren – auf eine Sozialwohnung. 3 Millionen Familien müssen auf engstem Raum in Wohnungen leben, die in schlechtem Zustand sind. Rund 800 000 Menschen sind obdachlos, wobei 643 000 bei Verwandten, Freunden oder in Heimen untergekommen sind. Weitere 143 000 Menschen leben auf der Straße.

Doch die Zahl der leer stehenden Wohnungen nimmt seit Jahren weiter zu. Heute sind es 3,2 Millionen, während es vor 20 Jahren noch 1,6 Millionen waren – und ein Viertel davon ist seit mehr als vier Jahren nicht mehr vermietet. Diese 3 Millionen Wohnungen müssten vor der Neuvergabe renoviert oder saniert werden. Dafür fehlt den Eigentümern nicht selten das Geld.

Ein großer Teil der Wohnungen liegt zudem in Stadtvierteln oder Orten, wo niemand hinziehen möchte, weil die Wirtschaft am Boden liegt und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Selbst in Paris stehen 120 000 Wohnungen leer, und in der Pariser Region sind es 400 000. Weitere 300 000 entfallen auf zehn Großstädte (außer Paris) und 600 000 auf 50 mittelgroße Städte.

Der Markt werde das Problem nicht regeln, stellt die Stiftung Abbé Pierre fest. Tatsächlich halten Eigentümer Wohnungen zurück, weil sie auf eine Anhebung der gesetzlich zulässigen Mieten spekulieren. Um dem entgegenzuwirken, haben die linken Parteien vor Jahren eine Art »Strafsteuer« auf leer stehende Wohnungen durchgesetzt, die Städte und Gemeinden mit angespannten Wohnverhältnissen erheben können.

Von den landesweit 36 000 Kommunen Frankreichs dürfen heute 2100 diese Steuer anwenden. Sie beträgt je nach Ortschaft im ersten Jahr bis zu 17 Prozent und in den folgenden Jahren bis zu 34 Prozent der theoretisch zulässigen Miete. Das führt oft dazu, dass die Eigentümer doch vermieten oder verkaufen. Kritiker fordern, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau wesentlich aufzustocken. Auch sollten die Bedingungen für Familien, die eine Wohnung kaufen oder ein Haus bauen wollen, spürbar verbessert werden.

Nicht wenige Wohnungseigentümer haben als Vermieter schlechte Erfahrungen gemacht, worüber Medien ausführlich berichteten. Die Einzelfälle hat die Regierung zum Anlass für ein Gesetz genommen, das illegale Hausbesetzungen ins Visier nimmt, aber auch säumige Mieter. Linksparteien und Gewerkschaften warnen, dass es Familien treffen könnte, die unverschuldet in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. Ein weiterer Anstieg der Zahl leer stehender Wohnungen ist zudem durch ein 2021 verabschiedetes Gesetz zu erwarten. Danach dürfen die am schlechtesten oder gar nicht isolierten Wohnungen seit diesem Januar nicht mehr vermietet werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.