• Politik
  • Terrorprozess in Frankreich

Frankreich: Muslime im Visier

Ultrarechte Gruppe in Frankreich mit Verbindungen zur Armee plante Attentate auf Imame und Moscheen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sonderstaatsanwaltschaft für Antiterrorismus hat Anfang Juni Anklage erhoben, doch der Prozesstermin ist noch offen. Vor dem Pariser Strafgerichtshof werden 16 Mitglieder der ultrarechten Action des forces opérationnelles (AFO) stehen, 13 Männer und drei Frauen. Darunter sind mehrere ehemalige Soldaten und ein Diplomat. Bis auf einen Angeklagten, der sich nur für unbefugten Waffenbesitz rechtfertigen muss, wird allen vorgeworfen, eine terroristische Gruppe gebildet und in den Jahren 2018 und 2019 Attentate gegen Moscheen und einzelne Imame vorbereitet zu haben.

Die Gruppe wurde durch einen eingeschleusten Ermittler enttarnt, sodass die Verdächtigen festgenommen werden konnten, bevor sie aktiv wurden. Bei Verhören in der Untersuchungshaft erklärten sie, sie hätten den »Großen Austausch« der geborenen Franzosen gegen Muslime und neue islamistische Anschläge befürchtet. Deshalb hätten sie gezielt salafistische Imame »unschädlich machen« wollen. Ferner wollten sie in den Supermärkten von weitgehend von Muslimen bewohnten Stadtvierteln Halal-Nahrungsmittel mit Rattengift versetzen und im Verkehrsstau Bomben in die Autos muslimischer Familien werfen.

Die AFO ist aus der rechtsnationalistischen Organisation Freiwillige für Frankreich (Volontaires pour la France, VPF) hervorgegangen. Dabei handelt es sich um einen eingetragenen Verein, den der Ex-General Antoine Martinez und der ehemalige Europaabgeordnete der rechtsextremen Partei Front National, Yvan Brot, 2015 als Reaktion auf die islamistischen Terroranschläge von Paris gründeten. Die VPF nennt als Ziele, die »Islamisierung und Afrikanisierung Europas zu bekämpfen«, die französische Identität zu verteidigen und »gegen die internationalen Lobbys zu kämpfen, die sich die demokratische Macht des Volkes aneignen wollen«.

Der pensionierte General Martinez ist nicht nur VPF-Chef, sondern er gehörte 2021 auch zu den Initiatoren eines offenen Briefes von 1500 ehemaligen oder noch aktiven Soldaten (darunter zwei Dutzend Generäle und mehr als 100 Offiziere) an Präsident Emmanuel Macron. Sie forderten die offensive »Verteidigung der abendländischen Zivilisation« in Frankreich. Gegen islamistische Bedrohungen und die »Horden aus den Vorstädten« müsse »konsequent und hart durchgegriffen« werden. Unverhohlen wurde gedroht: »Wenn die Laschheit anhält und sich noch weiter ausbreitet, wird das unausweichlich zu einer Explosion und zum Eingreifen unserer Kameraden im aktiven Dienst führen.«

Im Sommer 2017 bildeten einige Mitglieder – offenbar ohne Wissen der Führung – als militärischen Arm der VPF die illegale AFO. Einige Monate später trennten sie sich ganz von der Organisation. Den Initiatoren der Abspaltung, Guy S. und Dominique C., folgten mehr als 50 Mitglieder.

Ihre neue Gruppe AFO war in drei Kreise untergliedert. Den »weißen Kreis« bildeten Mitglieder, die sich nicht an »Aktionen« beteiligen, sondern logistische Unterstützung leisten sollten. Beim »grauen Kreis« handelte es sich um Ausbilder. Der »schwarze Kreis« setzte sich aus einem Dutzend Personen zusammen, die den anderen AFO-Mitgliedern unbekannt blieben und die mit der Durchführung der Anschläge beauftragt waren.

Neue Mitglieder suchte die AFO vor allem unter Armeeangehörigen und Reservisten, bei der Polizei und der Gendarmerie sowie bei privaten Sicherheitsdiensten und in Schützenvereinen. Dazu gab es auf der von der AFO eingerichteten Internet-Seite guerredefrance.fr (Frankreichs Krieg) einen Hinweis, mit dem interessierte Personen aufgerufen wurden, sich »am Krieg zu beteiligen, der sich auf dem Territorium Frankreichs abzeichnet«.

Als Gegner wurden alle »Aktivisten des muslimischen Systems« und »Schwarzafrikaner, selbst solche mit katholischem Glauben«, ausgemacht, ferner »aktive Linke« und Menschenrechtsaktivisten. Die AFO-Kader trugen Tarnnamen – beispielsweise »Richelieu« für Guy S. und »Attila« für die militanteste Frau – und kommunizierten untereinander mithilfe des verschlüsselten E-Mail-Dienstes Protonmail.

Die Terrorgruppe wurde fast von Anfang an durch den Inlandsgeheimdienst DGSI beobachtet, dem es 2018 gelang, einen Ermittler einzuschleusen. Dieser konnte das Vertrauen der AFO-Führung gewinnen und erlangte so Einblick in die Personalstruktur, die Waffenbestände und die Pläne der Organisation. Zu diesen gehörte auch, den Schweizer Imam und Islamforscher Tariq Ramadan zu ermorden.

Dank dem Ermittler wurden im Juni 2018 die AFO-Gründer Philippe C. und Daniel R. sowie weitere Führungsfiguren festgenommen. Nach mehrmonatiger Untersuchungshaft kamen alle nun Angeklagten bis zum Prozess unter Polizeiaufsicht auf freien Fuß.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -