Kein Friedensfest mit Tino Eisbrenner

Lausitzer Linke lädt den Musiker wegen dessen Auftritt in Moskau aus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Gitarren statt Knarren, Musik statt Krieg: Tino Eisbrenner
Gitarren statt Knarren, Musik statt Krieg: Tino Eisbrenner

»Schurawli« (Kraniche) ist ein sowjetisches Lied zum Zweiten Weltkrieg. Es erzählt gefühlvoll von gefallenen Soldaten, die sich vielleicht in Kraniche verwandelt haben und am Himmel ziehen. Tino Eisbrenner und Zara präsentierten dieses Lied im Mai in Moskau, in einer Version, bei der beide abwechselnd singen, er auf Deutsch und sie auf Russisch. Es ist das Finale des Musikwettbewerbs »Weg nach Jalta«, bei dem Künstler aus aller Welt in ihre Muttersprache übersetzte Lieder vortragen, die in Russland mit dem Großen Vaterländischen Krieg von 1941 bis 1945 verbunden werden.

Als das Duett anhebt, erheben sich die 6000 Zuschauer im Saal. »Tino Eisbrjenner«, ruft der Moderator, als das Stück verklingt, und fragt den Musiker, wie er auf die Idee gekommen sei. Das Publikum spendet Beifall, allein schon, weil der Deutsche immer wieder auf Russisch zu antworten versucht und erst ins Englische wechselt, wenn ihm die Vokabeln nicht einfallen. »Ja radilsja w GDR« (Ich bin in der DDR geboren), erklärt Eisbrenner beispielsweise. Er wolle Brücken bauen, erzählt er in Moskau bei der im russischen Staatsfernsehen übertragenen Veranstaltung und wiederholt es nun gegenüber »nd«. Er fügt hinzu: »Die Politik spaltet und zündelt. Ich versuche, Verbindungen zu erhalten für die Zeit nach dem Krieg.«

Dass Tino Eisbrenner im Mai in Moskau aufgetreten ist, während der Krieg in der Ukraine tobt, führte dazu, dass der Linke-Kreisverband Lausitz seine Einladung zum alljährlichen Friedensfest in Cottbus zurückgezogen hat. Dort sollte Eisbrenner am 1. September auf dem Platz am Stadtbrunnen die Reden des Brandenburger Linksfraktionschefs Sebastian Walter und des Bundesvorsitzenden Martin Schirdewan gewissermaßen musikalisch umrahmen.

Der Vertrag, wenn auch kein allzu förmlicher, wurde schon Anfang des Jahres geschlossen. Unbürokratisch verständigte man sich per E-Mail, dass Eisbrenner in Cottbus spielen solle. »Seit vielen Jahren haben wir uns schon bemüht, Tino Eisbrenner mal zu einer Veranstaltung herzubekommen«, berichtet der Kreisvorsitzende Christopher Neumann. »Nun schien es zu klappen. Da haben wir uns gefreut.«

Immerhin machte sich Eisbrenner in Ostdeutschland einen Namen. Bekannt ist er Älteren als Sänger der Band Jessica, die 1985 mit »Ich beobachte dich« einen Hit landete. Heute tourt Eisbrenner mit Friedensliedern. 2021 kandidierte er bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern für Die Linke. Passt doch ausgezeichnet, oder?

Kreisparteichef Neumann sieht das nun anders. Ein Kritiker der Nato und gegen Waffenlieferungen sei er genauso wie Eisbrenner, versichert Neumann. »Aber bei einer Propagandaveranstaltung im russischen Staatsfernsehen aufzutreten, das ist mindestens geschmacklos«, sagt er.

Neumann will den Konflikt nicht aufbauschen. Er kann sich vorstellen, dass die Lausitzer Linke Eisbrenner in ein oder zwei Jahren doch noch engagiert. »Aber in der jetzigen Situation würden wir damit unsere eigenen friedenspolitischen Positionen konterkarieren, und das geht halt nicht«, bedauert Neumann, der auch stellvertretender Vorsitzender im Landesverband Brandenburg ist. Es solle nicht der Eindruck entstehen, dass die Partei den russischen Angriff auf die Ukraine in irgendeiner Weise entschuldige, so Neumann.

»Der geschäftsführende Landesvorstand war in die Sache involviert«, bestätigt Linke-Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg. »Entschieden hat aber letztlich allein die Lausitz«, versichert er. Gleichlautend ist das aus dem geschäftsführenden Kreisvorstand zu hören, in dem es allerdings durchaus unterschiedliche Ansichten gab, ob man Eisbrenner wirklich ausladen solle. Letztlich ist es dann so beschlossen worden.

Das ärgert Andreas Eichner. Er hatte sich im April beim Landesparteitag in Ludwigsfelde, als Christopher Neumann zum Vize-Landesvorsitzenden gewählt wurde, ebenfalls um diesen Posten beworben. Eichner gehört zum Brandenburger Karl-Liebknecht-Kreis, Tino Eisbrenner ist als Parteiloser in Mecklenburg-Vorpommern zum Sprecher des dortigen Karl-Liebknecht-Kreises bestimmt worden. Aber im vorliegenden Fall äußert sich Andreas Eichner ausdrücklich als Privatperson und als Fan von Eisbrenner, der er schon zu DDR-Zeiten gewesen sei. »Als Mitglied der Linken halte ich diesen Umgang mit Andersdenkenden, die nicht die offizielle Linie des Landesvorstands vertreten, für total skandalös«, schimpft Eichner über die Ausladung. »So dürfte man mit einem bekannten Künstler, der sich für den Frieden einsetzt, nicht umgehen.«

Ob er den russischen Angriff gutheiße? »Das ist totaler Unsinn«, versichert Tino Eisbrenner. Ihn wurmt, dass Christopher Neumann ohne Vorwarnung schriftlich absagte. Für Eisbrenner nachvollziehbar wäre gewesen, wenn der Kreisvorsitzende angerufen und gesagt hätte: »Genosse, wir müssen mal reden. Wir haben ein bisschen Bauschmerzen. Du warst in Moskau. Wie läuft dein Auftritt in Cottbus ab?« Einbrenner erklärt: »Ich hatte schon solche Gespräche mit Veranstaltern.« Er könne versprechen: »Ich stelle mich niemals auf die Bühne und agitiere. Auf der Bühne spricht die Kunst

Er habe Neumann die Alternativen aufgezeigt: »Erstens: Ihr bezahlt das vereinbarte Honorar, und ich bleibe weg, wenn ihr das verlangt. Zweitens: Ihr bezahlt das Honorar und ich trete auf.« Aber absagen und denken, damit habe es sich erledigt, so gehe das nicht. Da behalte er sich vor, die volle Summe zu fordern. Dabei macht Eisbrenner deutlich, dass er liebend gern beim Friedensfest in Cottbus aufgetreten wäre. Mittlerweile habe er aber Anfragen aus vier anderen brandenburgischen Städten, ob er dort am 1. September spielen könne. Er habe für Bernau zugesagt. Der 1. September, das ist der Weltfriedenstag, weil Hitlerdeutschland am 1. September 1939 Polen überfallen hatte, womit der Zweite Weltkrieg entbrannte.

Kopfschüttelnd bemerkt der Künstler, dass ihm dies mit der Linken bereits zum zweiten Mal widerfahre. Das erste Mal sei es ihm 2021 in Mecklenburg-Vorpommern passiert, wo ihn die Partei zum Weltfriedenstag gebucht hatte. Da wäre ein Auftritt wegen der Corona-Maßnahmen mit gewissen Einschränkungen möglich gewesen. Doch Die Linke habe Bedenken gehegt und die Veranstaltung ganz abgesagt. Das habe er ja noch irgendwie verstehen können, sagt Eisbrenner.

Aber für den jetzigen Umgang mit ihm habe er kein Verständnis. »Ich weiß ja, dass ganz viele linke Menschen in Brandenburg dankbar sind für meinen Auftritt in Moskau«, sagt Eisbrenner, dessen Schwiegermutter Russin ist. »Ich bin ja nicht an die Front gegangen und habe für russische Soldaten musiziert«, betont Eisbrenner. Bei dem Musikwettbewerb »Weg nach Jalta«, der 2019 erstmals ausgerichtet wurde – seinerzeit auf der 2014 von Russland besetzten Halbinsel Krim –, sei es eigentlich nur um den Großen Vaterländischen Krieg gegangen.

In Jalta auf der Krim trafen sich im Februar 1945 der sowjetische Staats- und Parteichef Josef Stalin, US-Präsident Franklin D. Roosevelt und Großbritanniens Premierminister Winston Churchill zu einer in die Geschichte eingegangenen Konferenz. Sie beratschlagten in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs über die Behandlung Hitlerdeutschlands und der besetzten Gebiete und sprachen über die Gründung der Vereinten Nationen (Uno).

Aus Sicherheitsgründen sei der Musikwettbewerb 2022 nach Moskau verlegt worden, erklärt Eisbrenner. Dieses Jahr sei von der Krim der Gouverneur Sergej Aksjonow zugeschaltet worden – im Westen in der Regel als der von Moskau eingesetzte Statthalter bezeichnet. Aksjonow habe sich in seiner Grußbotschaft aber nicht zur aktuellen Lage geäußert, sondern nur sehr allgemein gesprochen. Eisbrenner argumentiert: »Wenn die Politik es nicht tut, muss die Kunst die letzten Brücken erhalten, die nach dem Krieg gebraucht werden. Und nie wurde jemand geschasst, der während eines USA-Krieges dort auftrat.«

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