»Oben ohne« in Bädern: Nippel sind nicht zum Anglotzen da

Das unmittelbare Umfeld reguliert weibliche Körper am stärksten – deswegen bedeutet die neue Regelung in Berlin längst noch keine Gleichberechtigung

Eigentlich wurde zum Thema weiblicher Nippel schon alles gesagt. Dann aber kamen zum Sommer die Berliner Bäderbetriebe um die Ecke. Deshalb widmen wir uns wieder einmal den Brustwarzen. 

Die Doppelmoral ist so weit bekannt: Bei Männern sind sie egal, bei Frauen ein Skandal. Seit vielen Jahren bieten sie daher, im digitalen wie im analogen Raum, eine beliebte Vorlage, um die Groteske sichtbar zu machen, die sich bei männlich und weiblich gelesenen Körpern zeigt. 

Besonders plakativ lässt sich das in sozialen Medien veranschaulichen: Während Männer oben ohne posieren dürfen, löscht Instagrams Algorithmus konsequent alle Bilder, auf denen Frauennippel zu sehen sind. Doch wenn man männliche Brustwarzen auf weiblich gelesene Körper retuschiert, lässt Instagram die Bilder online. Vor Jahren ging dann der Hashtag #FreeTheNipple (Befreit die Brustwarze) viral, ein großes Ding. Geändert hat sich seither nichts.

Fast also schien das Thema in der Versenkung verschwunden. Im Dezember 2022 dann wollte Lotte Mies in einem Hallenbad in Berlin-Kaulsdorf »oben ohne« schwimmen gehen; das Personal hielt sie jedoch davon ab. Als Mies sich weigerte, ihre Brust zu bedecken, rief das Personal die Polizei und sie wurde des Schwimmbads verwiesen. Daraufhin legte sie Beschwerde gegen Diskriminierung bei der Ombudsstelle der Landesstelle für Gleichbehandlung ein. 

Livia Sarai Lergenmüller

Livia Sarai Lergenmüller schreibt als freie Journalistin über Kultur und Gesellschaft mit einem Schwerpunkt auf geschlechtsspezifische Gewalt.

Die Berliner Bäderbetriebe reagierten. Zwar sah die Haus- und Badeordnung bis dato keine geschlechtsspezifischen Vorgaben in Bezug auf die Badekleidung vor, enthielt jedoch die Vorgabe der »handelsüblichen Badebekleidung«. Diese wurde mitunter entsprechend interpretiert – zur handelsüblichen Bekleidung für Menschen mit Brüsten gehört es demnach, jene zu verdecken. In einer internen Anweisung stellten die Bäderbetriebe daraufhin klar, dass das Schwimmen »oben ohne« für alle Personen gleichermaßen erlaubt ist. Es sei ihnen »ein Anliegen, dass sich alle Menschen (...) gleichermaßen wohl und willkommen fühlen«, heißt es in einer Mitteilung. 

Nun sind wir am Ende der Freibadsaison, und zumindest das Personal der Berliner Bäderbetriebe darf uns unsere Nippel nicht mehr verbieten. Schnell wird jedoch klar: Die Bademeister sind womöglich gar nicht das größte Problem. Nur weil es nun erlaubt ist, oben ohne zu schwimmen, bedeutet das nicht, dass die weibliche Brust plötzlich nicht mehr sexualisiert wird. Es bedeutet auch nicht, dass Menschen nicht mehr starren oder Nacktheit als Anlass für eine noch offensivere Belästigung nutzen. Oben ohne sein zu dürfen bedeutet ganz einfach nicht, dass wir uns auch oben ohne wohlfühlen können. 

Denn am stärksten reguliert wird der weibliche Körper durch unser unmittelbares Umfeld. Jede Person, die schon einmal ohne BH unter dem Shirt eine Straße entlang gelaufen ist, wird die Blicke kennen, die einem den Körper entlang fahren, schließlich ist der weibliche Nippel selbst durch Stoff hindurch eine Anstößigkeit. Da kann man noch so viel feministischen Kampfgeist und noch so viel innere Protesthaltung etablieren. Angestarrt zu werden, bleibt eine unangenehme Erfahrung. Und jeder Person, die diese lieber vermeidet, ist Verständnis entgegenzubringen. Dazu kommt die Scham der Anderen: Viele behalten ihre Bikinioberteile beim Ausflug an den See ganz einfach an, weil sie keine Lust auf die verunsicherten oder unangenehmen Reaktionen ihrer männlichen Freunde oder Familienmitglieder haben. 

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Mitteilung der Berliner Bäderbetriebe keine Bedeutung hat. Im Gegenteil. Vielleicht trägt sie ja wirklich Früchte, und eines Tages lösen nackte Brüste weder beschämtes Weggucken noch penetrantes Starren aus, sondern werden – ganz so wie eine Männerbrust – einfach nicht weiter beachtet. Das wäre mal was. 

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