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Eher Minus als Plus bei REDD+
Waldschutzprojekte kompensieren weitaus weniger Emissionen, als sie im Zertifikatehandel angeben
Das Prinzip klingt einfach: Auf der einen Seite des Planeten emittiert ein Industrieunternehmen oder Industrieland Kohlendioxid und heizt damit das globale Klima an. Zum Ausgleich finanziert es »freiwillig« mittels Emissionsgutschriften ein Waldschutz- oder Aufforstungsprojekt in einer anderen Weltregion, um die gleiche Menge CO2 wieder der Atmosphäre durch Pflanzenwachstum zu entziehen und damit dem Treibhauseffekt entgegenzuwirken oder um die Abholzung und damit einhergehende Freisetzung von Treibhausgas zu verhindern. Doch dieser im Rahmen des UN-Klimaabkommens seit 2005 entwickelte Mechanismus »Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Degradierung von Wäldern«, kurz REDD+ genannt, scheint in der Praxis mehr Augenwischerei als tatsächlicher Klimaschutz zu sein.
»Wir sind der Überzeugung, dass REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) die nötigen Anreize geben kann, um die bestehenden Anstrengungen für den Schutz von Wäldern und Biodiversität zu ergänzen. REDD+ bietet weit mehr als nur eine Vergütung für reduzierte Emissionen«, schrieb Gerd Müller, der ehemalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im 2015 von seinem Ministerium veröffentlichten Bericht »REDD+: Wälder und Klima schützen für nachhaltige Entwicklung«. Deshalb auch hat das BMZ von 2008 bis 2014 solche REDD+-Projekte hauptsächlich in den Tropen mit mehr als 700 Millionen Euro finanziert. Laut der Universität Bonn erreichten Emissionsgutschriften im vergangenen Jahr weltweit einen Marktwert von insgesamt zwei Milliarden Dollar.
Auswertung von 26 Projekten
Ein achtköpfiges, internationales Wissenschaftlerteam mehrerer Forschungseinrichtungen hat nun 26 freiwilligen REDD+-Projekten in sechs Tropenländern auf den Zahn gefühlt. In ihrer im Fachjournal »Science« veröffentlichten Studie kommen sie zu dem Schluss, dass über 90 Prozent der Emissionsgutschriften dieser Projekte in Kolumbien, Peru, Kambodscha, Tansania, Sambia und der Demokratischen Republik Kongo die entsprechenden Treibhausgasemissionen nicht wirklich ausgleichen. Und die Projekte, die die Abholzung reduzierten, überschätzten ihre Auswirkungen.
»CO2-Kompensationen aus REDD+-Projekten werden auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen der vorhandenen Waldbedeckung in den Projektgebieten und Entwaldungsszenarien gewährt, die ohne REDD+ voraussichtlich eingetreten wären«, schreiben die Forscher. Zur Bewertung der Projekte erstellten sie auf Basis von historischen Entwaldungsraten und Abholzungstrends in den Regionen Referenzszenarien darüber, was ohne das REDD+-Programm dort geschehen wäre und verglichen sie mit den Berechnungen und Angaben der Projektentwickler.
Der Studie zufolge zeigten lediglich acht der 26 untersuchten Projekte einige Hinweise auf eine verringerte Entwaldung. So reduzierten einige REDD+-Standorte in Peru, Kolumbien und Kambodscha signifikant die Abholzung. Für die REDD+-Projekte in der Demokratischen Republik Kongo, Tansania und Sambia hingegen fanden die Forscher keine Hinweise auf eine vermiedene Entwaldung. Insgesamt wurde durch die Projekte viel weniger Abholzung vermieden als von den Projektentwicklern prognostiziert. Nur etwa sechs Prozent der angegebenen Einsparungen seien mit tatsächlichen Verringerungen verbunden, was dazu führe, dass die REDD+-Projekte mehr Kohlenstoffgutschriften ausstellen, als sie dürften.
Damit seien die Emissionsgutschriften größtenteils »heiße Luft«, so das Fazit des Forscherteams.
»Wir machen uns selbst etwas vor, wenn wir diese Kompensationen kaufen«, sagt Studienleiter Thales A. P. West vom Institut für Umweltstudien der Vrije Universiteit Amsterdam. »Einzelpersonen und Organisationen geben Milliarden von Dollar für eine Strategie zur Eindämmung des Klimawandels aus, die nicht funktioniert, anstatt dieses Geld in etwas zu investieren, das tatsächlich etwas bewirken kann, zum Beispiel in saubere Energie.«
Beschönigte Zahlenangaben
Als einen der Gründe für die immense Diskrepanz und Ineffektivität der untersuchten Projekte nehmen die Forscher an, dass Projektentwickler bewusst Flächen ausgewählt haben, auf denen sich Entwaldung besonders leicht vermeiden lässt oder die überhaupt nicht davon betroffen sind. Außerdem gebe es die Tendenz, Einkünfte aus dem Verkauf der Zertifikate zu maximieren. »Es ist zu erwarten, dass jemand, der eine Fläche schützt und damit Geld verdienen will, besonders hohe Zahlen angibt«, sagt Co-Autor Jan Börner vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Dabei seien die sechs untersuchten Länder keine Ausnahmefälle.
Bereits 2020 kamen der Bonner Wissenschaftler für nachhaltige Landnutzung und Bioökonomie und sein Forscherkollege West bei einer Analyse von Projekten in Brasilien zu einem ähnlichen Ergebnis. Börner: »Die derzeit verwendeten Methoden und Kriterien haben sich als nicht zielführend erwiesen. An dem System muss sich etwas ändern, sonst ist das nur ein Ablasshandel.«
Ökonomisch effektiv für die Betreiber
»Die Studie liefert konkrete Beispiele dafür, wie Annahmen zu den Mengen von vermiedenen Emissionen durch Waldschutz und tatsächlich messbare Entwicklungen auseinanderklaffen«, bewertet der Klimawissenschaftler Hannes Böttcher vom Öko-Institut die Forschungsarbeit, an der er nicht beteiligt war. Und Michael Köhl vom Institut für Holzwissenschaften an der Universität Hamburg kommentiert: »Die Projekte sind ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber. Solange Projektbetreiber ihre Referenzflächen selbst auswählen können, wird sich daran nichts ändern.«
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