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- Buch »Enthauptung als Paradigma«
Schneller Schnitt
Die Guillotine als Modell: Eine Studie befasst sich mit der Enthauptung in Kunst und Wissenschaft
Der große Vorteil und der große Nachteil der Guillotine liegen darin, dass sie so schnell ist. Die Exekution dauert eine Hundertstelsekunde. Gerade das war, wie Katrin Weleda in ihrer bild- und kulturwissenschaftlichen Studie über Enthauptungen erläutert, der Zweck dieser Maschine: Sie sollte die langwierigen Hinrichtungsmethoden wie Rädern, Vierteilen, Verbrennen durch eine »aufgeklärte« Praktik ersetzen. Ja, die Guillotine ist nicht nur eine moderne Maschine, sie ist der Inbegriff der Moderne.
Aber dass sie so schnell und präzise Tote produziert, geht zu Lasten des Schauwerts. Denn eine Hinrichtung ist nicht erst seit dem Köpfen von Johannes dem Täufer ein Spektakel und war nicht nur während der Französischen Revolution ein Übergangsritual: Der politische Körper des Königs wurde von seinem leiblichen getrennt, damit ging seine Macht auf den Volkskörper über. Der eine Körper sollte seine Heiligkeit verlieren und der andere sie gewinnen. So dachten es sich jedenfalls all die, die die »Sichel der Gleichheit« schwangen, etwa Maximilien de Robespierre, der den Terror aus der Tugend hervorgehen sah.
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Doch in Wahrheit fehlte es am 21. Januar 1793, als Ludwig XVI. guillotiniert und damit zum Bürger Louis Capet wurde, nicht nur an Tugend, sondern auch an Terror. Der konservative Historiker Thomas Carlyle, dem wir nicht die beste, aber die schönste Darstellung der Revolution verdanken, schrieb: »In noch nicht mal einer halben Stunde ist alles vorüber, die Menge hat sich bereits zerstreut. Zuckerbäcker, Kaffeeverkäuferinnen und Milchmänner stimmen schon wieder ihr alltägliches, schnödes Geschrei an. Die Welt geht ihren Gang und es ist, als wäre es ein Tag wie jeder andere.«
Um das blutige Geschehen zu verlängern, müssen also die Maler und Journalisten her. Sie setzen die Arbeit des Henkers fort, der in einer »Ostentation« der schaudernden Menge den abgeschlagenen Kopf vorzeigt. Doch die mediale Auswertung funktioniert nicht so geschmiert wie die Mechanik. Einerseits hat das Gerüst der Guillotine durchaus etwas Malerisches – das Wort »échafaud« bedeutet, wie Weleda anmerkt, im alten Französisch sowohl Staffelei als auch Schafott – und der Kopf des Delinquenten, der aus der »Lünette«, also der Halterung, schaut, sieht schon aus wie ein Porträt im Tondo-, also Kreis-Format. Andererseits erinnert das Fallen des Beils eher an das Klicken eines Fotoapparats als an das mühselige Auftragen von Farbe auf eine Leinwand. Es ist ein Effekt, keine Entwicklung – vielmehr kommt die Entwicklung erst hinterher.
Weleda betrachtet sowohl Flugblätter als auch Gemälde und andere künstlerische Verarbeitungen bis in die jüngere Vergangenheit. Ein hübsches, »Dialog« genanntes Blatt aus dem Jahr 1793 zeigt links eine Königskrone und rechts eine noch leere Guillotine. »Ich verliere einen Kopf«, heißt es links, »ich finde einen« steht rechts. 1848 erschien »Die Guillotine«, die einmalige Ausgabe einer Satirezeitung »von einem alten Jakobiner«, begleitet von einer Karikatur des Königs Louis-Philippe I., der seinen Leib auseinanderspreizt – tief drinnen steht die verinnerlichte, damit überflüssig gewordene Guillotine.
Die Gemälde, die Weleda heranzieht, fallen drastischer aus, denn sie zeigen nicht die Maschine, sondern ihre Produkte. Da sind etwa die »Häupter der Hingerichteten« (1818/19) von Théodore Géricault. Der Maler schaffte aus dem Leichenschauhaus Körperteile in sein Atelier, die er dort behielt, bis sie unerträglich stanken. Sein Doppelporträt zeigt den schon in Verwesung befindlichen Kopf eines hingerichteten Diebes. Schock und Schmerz stehen ihm im Gesicht. Das weibliche Haupt daneben nahm Géricault allerdings von einem lebenden Modell ab.
Bereits auf dem Höhepunkt der Schreckensherrschaft, 1793, äußerte der Anatom Samuel Thomas von Soemmerring die Vermutung, dass der vom Rumpf getrennte Kopf »noch eine Zeitlang lebendig bleibt«. Diese eines Edgar Allan Poe würdige Gruselvorstellung wurde im Kreis der Gegner der Todesstrafe genährt und schlug sich 1853 auf einem beeindruckenden Triptychon von Antoine Wiertz nieder, dessen Titel Walter Benjamin als »Gedanken und Gesichte eines Geköpften« übersetzt hat. Wiertz, der mit Hilfe eines »Magnetopathen«, also eines Mediums, Kontakt zu einem Guillotinierten aufzunehmen versuchte, malte die letzten drei Minuten eines von Schmerzen und Fantasien gepeinigten Kopfes.
Die grausige Denkfigur vom Nachleben kehrt noch 1996 in einer Installation von Douglas Gordon wieder. »30 seconds text« konfrontiert mit einer Geschichte aus dem Jahr 1905: Ein Wissenschaftler habe einen abgeschlagenen Kopf angesprochen und dieser habe noch 30 Sekunden lang durch Augenaufschlagen reagiert. Sobald der Bericht gelesen ist, löscht die Installation das Licht und lässt so Lesen und Nachleben zusammenfallen.
Katrin Weleda trägt faszinierende Werke und Texte zum Thema zusammen, aber ihrem Titel – »Enthauptung als Paradigma« – wird sie nicht gerecht. Ein Paradigma wäre eine gesellschaftliche Leitvorstellung, als solche böte sich die Enthauptung an, aber darauf geht die Autorin nicht ein. Nachdem man in Europa jahrhundertelang in einer zirkulären Zeit, entlang Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, gelebt hatte, führte die Moderne die lineare Zeit und mit ihr den radikalen Schnitt ein – ganz so, wie der Revolutionskalender den alten ersetzte.
Die primitive Forderung, eine ideologische »Zeitenwende« müsse mit Blut beglaubigt werden, wird bis heute erhoben. 1992 schrieb der Herausgeber des »Merkur«, Karl Heinz Bohrer: »Als ich die Vorgänge der sogenannten Revolution in der DDR aus weitem räumlichen Abstand verfolgte, stieg in mir sehr bald der Verdacht hoch, dass etwas Entscheidendes unterblieben sei: Es fehlten Tote.« Es fehlten ihm und seiner Klasse das Schafott für Erich Honecker.
Katrin Weleda: Enthauptung als Paradigma. Zur Ikonografie des Übergangs, der Wahrheitsfindung und der Konversion. Transcript-Verlag, 242 Seiten, br., 45 Euro.
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