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Technologischer Wunderglaube
Vorschläge in der Klimadebatte, die auf Verzicht hinauslaufen, werden oft unterdrückt, weil sie nicht zur kapitalistischen Verwertung beitragen
»Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind« – diese Aussage wird Albert Einstein zugesprochen. So logisch-banal das klingen mag: Dieses Denken findet sich häufiger als vermutet. Es trifft vor allem auf den unbedingten politischen Glauben an Technologien als Wundermittel zu. Einerseits steht außer Frage, dass der massenhafte Einsatz von Technologien zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse entscheidend zu Umweltzerstörung und Klimawandel beigetragen hat. Andererseits herrscht in allen politischen Parteien – mit unterschiedlichen ideologischen Färbungen – die Überzeugung vor, dass vor allem die Technologien letzten Endes Umweltschutz und Nachhaltigkeit verlässlich ermöglichen. Nun eben erneuerbar statt fossil oder smart statt mechanisch-elektrisch.
Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.
Je nach parteilicher Ausrichtung soll sich zwar auch die Gesellschaft mehr oder weniger wandeln, was aber oft nur heißt, dass Menschen smarter und effizienter konsumieren. Die Denkweise bleibt die gleiche und Technologie der essenzielle Träger von Wandel und am besten auch noch wirtschaftlichem Fortschritt. Die technokratische Hochmoderne, die mit der industriellen Revolution beginnend einen unbedingten Glauben an Technik als Lösung aller – auch sozialer – Probleme ins gesellschaftliche Bewusstsein eingepflanzt hat, ist längst nicht abgeschlossen.
Das zeigt sich aktuell daran, wie Künstliche Intelligenz (KI) und damit zusammenhängende technische Systeme in ihrem Wunderpotenzial politisch und wirtschaftlich hochgejazzt werden. Die KI soll fast alles – von der Produktion über Verkehrssysteme und Energieerzeugung bis zum privaten Verbrauch – smarter, effizienter, zukunftsfähiger machen. Dabei wird neben dem immensen Ressourcen- und Energieverbrauch oft vernachlässigt, dass das Vorhandensein der Tools noch keine Veränderung bewirkt. Wer sich einen Crosstrainer in den Keller stellt oder eine Fitness-App installiert, ist noch lange nicht sportlich.
Das Fatale für Umwelt und Klima aber ist die Synergie mit wirtschaftlichen Interessen. Nicht-technische Vorschläge, die sich auf Vereinfachung, Befähigung oder eben auch mal den Verzicht richten, werden nicht nur ignoriert, sondern geradezu unterdrückt, denn sie sind nur begrenzt kapitalistisch verwertbar. Da werden die Vorzüge von Technologien wie dem autonomen Fahren – wie bedarfsgerechte Mobilität für ältere Menschen und Kinder – in den Vordergrund geschoben, statt ein grundsätzliches Versorgungsproblem – etwa den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in einer Stadt kurzer Wege – anzugehen. Währenddessen bringen sich im Hintergrund die großen Technologie- und Automobilkonzerne in Stellung.
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Denn für den Kapitalismus ist eine Technologie wie das autonom fahrende Auto ein Paradies. Mit ihm lassen sich nicht nur massenhaft Software- und Hardware-Produkte verkaufen. Menschen, die nicht auf den Verkehr achten müssen, haben die volle Aufmerksamkeit für Online-Shopping und Medienkonsum, ganz zu schweigen von der zusätzlichen Zeit für mobiles Arbeiten und den Unmengen an abgreifbaren Daten. In Zukunft werden daher wohl weniger alte Menschen und Kinder in strukturschwachen Regionen vom autonom fahrenden Kleinbus abgeholt, sondern eher zahlungskräftige, konsumwillige urbane Milieus in schicken Robotaxis transportiert.
Dabei sind Technik und Technologien nicht per se kritisch zu sehen. Doch alternative Ansätze der Technikentwicklung und -nutzung haben es schwer. Es gibt solche Ansätze, die Menschen zu eigenständigem Handeln befähigen sollen. Autonome Systeme und KI können eine bedarfsgerechtere und ressourcenschonende Versorgung ermöglichen. Wenn sie jedoch von denjenigen gestaltet werden, die an kontinuierlicher Bedürfnissteigerung interessiert sind, dann ist KI eine schlechte Nachricht für den Klimawandel.
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