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Arbeitsanreize fürs Kindeswohl

Zur Kindergrundsicherung liegt nun ein Gesetzentwurf vor. Die Ampel setzt auf Erwerbsanreize für Erwachsene, um Kinderarmut zu bekämpfen

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 6 Min.
Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut – Arbeitsanreize fürs Kindeswohl

Die neue Kindergrundsicherung kommt», verkündete Familienministerin Lisa Paus (Grüne) am Montag. Die rot-grün-gelbe Bundesregierung hat sich auf Eckpunkte geeinigt – und vieles ist noch unklar. Fest steht, dass arme Kinder im kommenden Jahr insgesamt 1,88 Milliarden Euro mehr Geld erhalten sollen, so steht es in dem Referentenentwurf aus dem Familienministerium. Der Verwaltungsaufwand wird mit einer halben Milliarde beziffert. Mit diesem Betrag sind deutliche Verbesserungen für Millionen armer Kinder kaum zu erwarten, Paus hatte zunächst zwölf Milliarden veranschlagt. Fest steht auch, dass die Ampel «verschärfte Erwerbsanreize» (Finanzminister Christian Lindner) anstrebt, und zwar für Alleinerziehende. Nicht alle sind davon so begeistert wie die FDP, die seit Monaten Einwände gegen spürbar höhere Zahlungen an Kinder erhebt, die auch gegen andere Sozialleistungen einsetzbar sind.

Im vergangenen Jahr «galt jedes fünfte Kind als von Armut bedroht oder betroffen», heißt es in dem Referentenentwurf, der dem «nd» vorliegt. Es bestehe ein gesellschaftlicher Konsens, dass Kinderarmut bekämpft werden müsse, was nun durch die Kindergrundsicherung geschehen soll. Das Kindergeld soll künftig Kindergarantiebetrag heißen. Eingeführt wird ein neuer Kinderzusatzbetrag, der Bürgergeld für Kinder und den Kinderzuschlag zusammenfasst. Den Zuschlag erhalten bisher Familien mit relativ geringem Einkommen, damit sie kein Bürgergeld beantragen müssen. Der Zugang zu den Sozialleistungen soll erleichtert werden. Wer künftig tatsächlich mehr bekommt, darüber gibt es inzwischen erste Hinweise und Einschätzungen (siehe Kasten).

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Was insbesondere die FDP klar benennt: Wer und was sie für die Kinderarmut vor allem verantwortlich macht. «Der Grund für Kinderarmut ist oft die Armut an Arbeit», sagte Lindner bei der Präsentation der Einigung. Bei der geplanten Reform sei es daher «unser Anliegen, Erwerbsanreize zu erhalten. Das Beste, um Armut zu überwinden ist – Arbeit.» Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte: «Das wirksamste Instrument im Kampf gegen Kinderarmut ist es, Eltern dauerhaft in Arbeit zu bringen.»

Erwerbsanreize für Alleinerziehende

Konkret geht es insbesondere um Alleinerziehende, die zur Erwerbsarbeit angereizt werden sollen. Und zwar über neue Regeln zum Unterhaltsvorschuss, den der Staat rund 830 000 Kindern von Alleinerziehenden gewährt, wenn das andere Elternteil keinen Unterhalt zahlt.

Bisher erhalten Kinder diese Unterstützung bis zu ihrem zwölften Geburtstag. Sind sie älter, gibt es die Mittel nur, wenn die Alleinerziehenden ein Einkommen von mindestens 600 Euro haben. Diese Altersgrenze will die Ampel nun absenken: Sobald das Kind zur Schule geht, gibt es nur noch dann Unterhaltsvorschuss, wenn die Mutter oder der Vater eigenes Einkommen hat. «Ist das Kind eingeschult, ist das Erzielen von Erwerbseinkünften zumindest in einem gewissen Umfang zumutbar», heißt es in dem Gesetzentwurf. Die Bedingung für diese Leistung wird damit zunächst einmal verschärft.

Für Alleinerziehende, die Bürgergeld erhalten, sehen die Pläne so aus: Die Ampel will hier gleichzeitig die Anrechnungsregeln ändern. Bisher werden Unterhaltszahlungen voll aufs Bürgergeld angerechnet. Künftig sollen bis zu einer bestimmten Höhe nur noch 45 Prozent abgezogen werden. Das kann eine Verbesserung zum Status quo sein – es sei denn, der Vorteil wird durch Anregungsregeln an anderer Stelle zunichte gemacht.

Sobald die Kinder in die Schule gehen, soll offenbar auch hier die Vorschrift gelten: Nur wenn die Alleinerziehenden erwerbstätig sind, gibt es einen Unterhaltsvorschuss, den sie teilweise behalten können. Haben sie keinen Job, gibt es nichts.

«Weltfremd»

«Weltfremd» nennt der Bundeverband alleinerziehender Mütter und Väter (Vamv) die Behauptung, Alleinerziehende brauchten Arbeitsanreize. Ihnen mangele es nicht an Motivation – rund 80 Prozent der Alleinerziehenden mit Kinder im Schulalter sind erwerbstätig. Auch viele, die Grundsicherung erhalten, haben einen Job. Das Problem seien die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, etwa unzureichende Kinderbetreuung, sagte Vamv-Geschäftsführerin Miriam Hoheisel dem «nd». So gebe es vielerorts noch keine Ganztagsschulen oder Horte mit zeitlich ausreichender Betreuung. Alleinerziehende Frauen arbeiteten überdies oft in Berufen mit Schichtdienst und Wochenendarbeit, etwa in der Krankenpflege. «Die Arbeitszeiten und die Betreuungsangebote passen nicht zusammen.»

Kindergrundsicherung: Die Pläne

Ein wesentliches Ziel der neuen Kindergrundsicherung ist es, dass Familien die Sozialleistungen, auf die sie Anspruch haben, auch tatsächlich erhalten. In Kraft treten soll die Reform 2025. Familienministerin Lisa Paus geht davon aus, dass im ersten Jahr lediglich knapp 50 Prozent der Leistungen in Anspruch genommen werden und der Anteil danach steigt.
Im Zuge der Reform wird das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern neu berechnet. Davon hängt der Bürgergeld-Regelsatz für Kinder ab. Bereits in diesem Jahr hat die Regierung einen Sofortzuschlag von 20 Euro eingeführt. Kinder bis zu fünf Jahren erhalten dadurch insgesamt 338 Euro im Monat. Die Neuberechnung würde dazu führen, dass sie im laufenden Jahr 8 Euro mehr erhalten, schätzt die Bundesregierung. Für ältere Kinder dürfte die Neuberechnung demnach nur dazu führen, dass die 20 Euro erhalten bleiben.
Unabhängig von der Reform steigen die Bürgergeld-Regelsätze im kommenden Jahr, der Anstieg richtet sich vor allem nach der Inflation, zudem fließt die Lohnentwicklung ein (siehe Seite 24).
Teenager, die bisher den Kinderzuschlag bekommen, werden künftig monatlich 60 Euro mehr haben, sagte Paus am Montag. Grund sei, dass der neue Kinderzusatzbetrag altersgestaffelt sei. Da es diese Staffelung im Bürgergeld bereits gibt, dürfte sich für Kinder in der Grundsicherung dadurch nichts ändern.
Am Donnerstag sagte Paus dann, wie hoch die Kindergrundsicherung für armutsgefährdete Kinder nach ihrer Einschätzung ausfallen könnte. Es könnten sich 2025 Leistungen von 530 Euro für die Kleinsten bis 636 Euro für die ältesten Kinder ergeben, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Diese Beträge sind nicht mit den bisherigen Bürgergeld-Regelsätzen vergleichbar, weil der Betrag, den Paus nennt, eine Wohnkostenpauschale enthält, erläutert Alexander Nöhring, Sozialexperte bei der AWO. Unterm Strich bedeutet die Prognose von Paus, dass die Zuwendungen für Kinder von 2024 auf 2025 bei Jugendlichen um rund 20 Euro steigen.
Wie Mittel für »Bildung und Teilhabe« vergeben werden, also etwa für Musikunterricht, Nachhilfe und Schulausflüge, ist weiterhin großteils gesondert geregelt. rt

Wenn in dem Entwurf davon die Rede ist, dass Alleinerziehende «zumindest in einem gewissen Umfang» arbeiten können, wird ihnen im Grunde gesagt, dass sie eben irgendeine Teilzeitstelle annehmen sollen, auch eine gering vergütete, die nichts mit ihrer Berufsausbildung zu tun hat. Hauptsache Job, nur dann bekommen sie Unterhaltsvorschuss für ihr Kind. Das kann man als Druck bezeichnen. «Und was ist mit denen, die beispielsweise krank sind oder nochmal studieren? Sie würden den Unterhaltsvorschuss nicht bekommen», sagt Heidi Thiemann, geschäftsführende Vorständin der Stiftung Alltagsheld:innen, dem «nd». Die Kinder würden bestraft, wenn Eltern keine Erwerbsarbeit haben. Alleinerziehende in der Grundsicherung bekommen in diesem Fall weiterhin nur Bürgergeld.

«Unterhaltszahlungen an Erwerbsanreize zu koppeln, finde ich fast zynisch», sagt Alexander Nöhring, Sozialexperte bei der AWO, dem «nd». Der Unterhalt stehe dem Kind zu, das sollte man nicht mit Vorgaben zur Erwerbsarbeit der Alleinerziehenden vermengen.

Lesen Sie auch: Was «Arbeitsanreize» von «Investitionsanreizen» unterscheidet

Für Familien mit geringem Einkommen, die bisher einen Kinderzuschlag erhalten und nicht in der Grundsicherung sind, sollen indes die Vorgaben womöglich gelockert werden. Sie müssen bisher ein Mindesteinkommen nachweisen, um den Zuschlag zu erhalten. Eine Formulierung in dem Referentenentwurf kann so verstanden werden, dass diese Bedingung künftig entfällt. Ein möglicher Grund: Den Kinderzusatzbetrag sollen sowohl Familien in der Grundsicherung erhalten als auch solche, deren Einkünfte darüber liegen. Für beide Gruppen sollen die gleichen Regeln gelten, und von Menschen in der Grundsicherung kann die Politik nicht zwingend verlangen, erwerbstätig zu sein. Nicht mal die FDP.

Wenn insbesondere Lindner in der Grundsicherung Arbeitsanreize erhalten und verschärfen will, dann weist er der Sozialleistung die Aufgabe zu, für Erwerbstätigkeit zu sorgen. Die Grundsicherung ist aber dazu da, das Existenzminimum von Menschen zu sichern, gerade auch von Kindern und Erwachsenen, die nicht erwerbstätig sein können oder sollten. Diesen Schutz bietet sie weiterhin nach Einschätzung von Sozialverbänden unzureichend. Anfang des Jahres hat eine DGB-Studie erneut auf methodische Mängel beim Berechnen der Regelsätze hingewiesen, die dazu führen, dass die Inflation nicht ausgeglichen wird. Ein besserer Schutz würde den Druck vermindern, zusätzlich erwerbstätig zu sein – oder wie es Lindner nennt: den Arbeitsanreiz schwächen.

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