Kampf in der Ostsee

Vor allem alte Fischernetze belasten das Ökosystem. Schweriner Regierung will gegensteuern

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Bergung eines Geisternetzes durch die Gesellschaft zur Rettung der Delfine e. V. aus der Ostsee vor Rügen
Bergung eines Geisternetzes durch die Gesellschaft zur Rettung der Delfine e. V. aus der Ostsee vor Rügen

Nach aktuellen Schätzungen haben sich in den Meeren der Welt mittlerweile 100 bis 148 Millionen Tonnen Müll angesammelt – von der Zigarettenkippe bis zu Getränkedosen und den sogenannten Geisternetzen. Von diesen beim Fischen abhanden gekommenen oder verklappten Netzen befinden sich zurzeit rund 25 000 in Europa, davon 10 000 in der Ostsee.

Im Baltikum wurden bis in die 60er Jahre hinein vor allem Hering, Sprotte, Flunder und Dorsch vorwiegend mit Schleppnetzen aus Hanf, Sisal oder Leinen gefangen, also aus leicht vergänglichen Naturstoffen, die keine Bedrohung für das Ökosystem Meer darstellten. Dann aber griffen die Hersteller zu synthetischen Materialien wie Polypropylen, Polyethylen und Nylon. Bis diese Stoffe sich zersetzt haben, dauert es mehr als 500 Jahre. Und sie machen mittlerweile 30 bis 50 Prozent des Plastikmülls in der Ostsee aus.

Tödliche Gefahr für Robbe und Co.

Durch Reibung, etwa an Seezeichen, Felsen, Ankersteinen und Schiffswracks, an denen sie sich verhaken, geben die alten Netze täglich Mikroplastik ins Meer ab, das zur Vermüllung des Wassers beiträgt und so auch in die Nahrungskette gelangen kann. Doch das ist nicht die einzige Gefahr, die von den Netzen ausgeht. Neben Fischen bedrohen sie nahe dem Meeresgrund auch andere Tiere. Für Robben, Schweinswale und Tauchvögel auf der Suche nach Nahrung können sie zur tödlichen Falle werden.

Um so etwas zu verhindern, gilt es, verlorene Plastiknetze aus der Ostsee zu bergen. Engagiert haben sich hierbei auch private Initiativen wie die Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD). Mit einem neunköpfigen Team ehrenamtlicher Sporttaucher*innen hat die GRD in den vergangenen vier Jahren insgesamt zehn Tonnen Geisternetze geborgen, wie der Verein Ende August mitteilte. Große Bereiche vor der Küste der Insel Rügen seien deshalb mittlerweile weitgehend frei von diesen Hinterlassenschaften der Fischereiindustrie.

Müllverklappung klar rechtswidrig

Während einer Tagung des World Wide Fund for Nature (WWF) vergangene Woche in Sassnitz auf Rügen hieß es, der größte Anteil an Plastikmüll in den Weltmeeren sei auf die Schifffahrt, auf den Bau und Betrieb von Bohrinseln und die Fischerei zurückzuführen.

Im Grunde genommen, bemerkte dort Mecklenburg-Vorpommerns Umwelt- und Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD), dürfte es das Plastikmüllproblem in Europa gar nicht geben. Schließlich enthalte ein internationales Übereinkommen von 1973 zur Vermeidung von Meeresverschmutzung durch Schiffe ein generelles Verbot der Einleitung von Müll ins Meer. Dazu gehörten auch Fanggeräte. Darüber hinaus, so Backhaus, habe auch die Meeresstrategierichtlinie der EU eine Politik zum Ziel, die den Schutz der Meere auch vor Müll zum Inhalt habe. Anerkennend äußerte sich der Minister über die Arbeit des WWF. Dieser engagiere sich seit 2013 für Lösungen des Netzproblems.

Tatsächlich gehört der WWF wie die GRD und die Umweltorganisation Sea Sheperd zu den Nichtregierungsorganisationen, deren Mitglieder selbst regelmäßig tonnenweise Geisternetze aus der Ostsee bergen.

Bundes- und Landesmittel angekündigt

Nach wie vor gebe es an der Ostseeküste viel zu tun, bekräftigte Minister Backhaus in Sassnitz. Die auf der Tagung festgestellte Dimension des Geisternetzproblems habe ihn »zutiefst erschüttert«, sagte er. Die Verantwortlichen in der EU und in der Bundesregierung rief der SPD-Politiker auf, die Müllbeseitigung in den Meeren ernsthafter als bisher anzugehen. Entsprechende Maßnahmen müssten von Bund, Ländern und Kommunen konsequent umgesetzt werden. Lobend erwähnte er die 2011 vom Naturschutzbund Deutschland ins Leben gerufene Initiative »Fishing for Litter« (»Fischen nach Müll«), dank der bislang mehr als 20 Tonnen Abfälle geborgen worden seien.

Im Nordosten könnten solche Projekte über die Fischereiabgabe finanziell unterstützt werden, sagte Backhaus dem NDR. Nach derzeitigem Stand gebe es auch für die laufende Förderperiode 2021 bis 2026 Möglichkeiten zur Unterstützung aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds. Das Land Mecklenburg-Vorpommern plant, mit Geld von Land, Bund und Europäischer Union »erhebliche Beträge« in die Bergung des Mülls aus der Ostsee zu investieren. Etwa 1,5 bis zwei Millionen Euro wolle man aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln zusammenbekommen, sagte Backhaus dem NDR. Wo sich in der Ostsee noch zu bergende Geisternetze befinden, will das Schweriner Landwirtschaftsministerium im Oktober auswerten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -