Doppelüberwachung durch Bundespolizei war rechtswidrig

Aktivistin klagt erfolgreich gegen Fahndung und verdeckte Observation

Lecomte vor dem Verwaltungsgericht in Hannover
Lecomte vor dem Verwaltungsgericht in Hannover

Begleitet von einer Solidaritätskundgebung hat die Umwelt- und Kletteraktivistin Cécile Lecomte am Mittwoch zwei Klagen gegen die Bundespolizei gewonnen. Lecomte hatte sich vor dem Verwaltungsgericht Hannover gegen zwei Überwachungsmaßnahmen gewehrt: Eine mehrwöchige verdeckte Observation anlässlich des Transportes von Atommüll nach Biblis 2020 und eine im gleichen Jahr begonnene, zweijährige Ausschreibung zur polizeilichen Kontrolle. Beide Maßnahmen seien rechtswidrig, so das Gericht.

Die Bundespolizei begründete ihre Ausschreibung im deutschen INPOL-System damit, dass Lecomte »sehr aktiv an Aktionen insbesondere im Themenbereich von Klimaschutz und Anti-Atom tätig« sei. Damit habe sie »die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf sich ziehen« wollen. Auf ihrem Blog habe sie außerdem den Termin des Atommülltransports veröffentlicht.

Die Aktivistin sitzt nach einer fortschreitenden Erkrankung seit Jahren im Rollstuhl. »Eine schwerbehinderte Aktivistin gefährdet den Staat, weil sie klettern kann und sich an öffentlichkeitswirksamen Aktionen beteiligt?«, fragte Lecomte im Vorfeld der Verhandlung.

Dieser Sichtweise schloss sich das Verwaltungsgericht an: Die Kammer habe »schon Zweifel daran, dass eine konkrete Gefahr für Leib und Leben vorgelegen hat«. Zur Begründung führen auch die Richter die »Kletterfertigkeiten« der Klägerin an, die eine »Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts« äußerst gering erscheinen ließen. Zudem hätte die Bundespolizei für die heimliche Observation einen richterlichen Beschluss benötigt. Dies habe das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen bestätigt.

Schließlich seien laut dem Verwaltungsgericht auch die INPOL-Fahndungsausschreibungen zu Lecomte allein deshalb rechtswidrig, weil diese zur Erstellung eines Bewegungsprofils der Aktivistin genutzt werden sollten. Bei jeder polizeilichen Kontrolle wurden die Beamten durch die dabei übliche Abfrage des INPOL-Systems darauf hingewiesen, dass zu der Aktivistin ein Vermerk existiert.

Vermerk der Bundespolizei im INPOL-System
Vermerk der Bundespolizei im INPOL-System

Dem »nd« liegt der damalige INPOL-Eintrag vor. Dieser beginnt mit: »Klima-Aktivist; Gefahr der Störung Straßen-/Bahn-/Schiffsverkehr; erfolgte Teilnahme an Blockade und Abseilaktionen von Robin Wood«. Alle Beamten, die diesen Eintrag lesen, werden darin aufgefordert, der Bundespolizei in Hannover Zeit, Ort und Umstände einer Kontrolle von Lecomte zu melden. Die von ihr genutzten Fahrzeuge sollten durchsucht werden. Dies habe laut der Aktivistin dazu geführt, dass sie jedes Mal viel länger und gründlicher kontrolliert worden ist als die sie begleitenden Personen. In einem Fall habe diese Kontrolle vier Stunden gedauert.

Lecomte erfuhr von den Überwachungsmaßnahmen über ein Auskunftsersuchen im September 2021 und erhob daraufhin Klage. Darin verwies sie darauf, dass ihre Abseilaktionen auch journalistischen Zwecken gedient hätten. Die Bundespolizei hat ihre Maßnahmen anschließend mit der Begründung verteidigt, dass Lecomte auf ihrer Internetseite zum Atomtransport nach Biblis »Widerstand angekündigt« habe. In einem Schriftsatz an das Gericht verweist die Bundespolizei außerdem auf Vorträge Lecomtes zum Thema »Trainstopping«. Zudem habe sie sich ein »fundiertes Wissen im Bereich Recht der Bundespolizei« angeeignet.

»Ich habe geklagt, weil es sich bei solchen Überwachungsmaßnahmen um tiefgreifende Eingriffe in die Privatsphäre handelt«, sagte Lecomte nach dem Urteil zu »nd«. Die Bundespolizei habe etwa dokumentiert, wann und mit wem sie zu ihrer Physiotherapie fährt. Warum sie eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen sollte, habe die Bundespolizei auch in der Verhandlung nicht begründen können. Mit der Klage wolle die Aktivistin auch Öffentlichkeit schaffen: »Wenn ich so überwacht werden darf, dürfen alle überwacht werden, die klettern können und Aktionen machen.«

Vor Gericht wurde Lecomte von Anna Luczak vertreten. Im Bereich der heimlichen Polizeimaßnahmen klaffe eine große Rechtschutzlücke, so die Berliner Anwältin zu »nd«. »Das Urteil schützt hoffentlich Menschen, die wie die Klägerin politisch aktiv sind, in der Zukunft davor, dass bei der Bundespolizei solche Datensammlungen über sie angelegt werden.«

Die Bundespolizei will die schriftliche Begründung des Urteils abwarten und dann über eine mögliche Berufung entscheiden, sagte ein Sprecher aus Hannover auf Anfrage. Eine generelle Absage an eine Überwachung von Lecomte ist das Urteil ohnehin nicht. Als mildere Maßnahme gegen sie könne die Bundespolizei etwa eine offene Observation wählen, so das Verwaltungsgericht.

2015 hatte das Bundeskriminalamt Lecomte bereits als »relevante Person« eingestuft. Dies kann für die Polizei Anlass sein für weitere Formen verdeckter Überwachung. Auch gegen diesen Eintrag wehrte sich die Aktivistin jedoch vor Gericht erfolgreich.

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