G20-Gipfel: Treffen einer zerstrittenen Familie

Indien möchte sich als Fürsprecher des globalen Südens präsentieren

Zwei Tage sind die größten Volkswirtschaften der Welt zu Gast in Delhi: Der Gipfel der Gruppe der 20 (G20) an diesem Wochenende steht zwar im Zeichen verstärkter geopolitischer Spannungen. Er soll nach dem Willen der indischen Regierung aber auch eine PR-Maschine für den Gastgeber und seinen Premier Narendra Modi sein. Das Motto der Mega-Veranstaltung lautet: »Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft«.

Vom Plan, für den zweitägigen Gipfel sogar Dutzende Metro-Stationen zu schließen, ist die Polizei indes wieder abgekommen. Die Order sei zurückgezogen worden, meldeten einheimische Medien. Nur eine Station ist nun betroffen. Dennoch sind die Sicherheitsvorkehrungen beträchtlich, wenn jede Menge ausländische Staats- und Regierungschefs einfliegen. So sind bereits ab Freitag Kurierdienste in der Hauptstadtregion mit 30 Millionen Einwohnern untersagt, was insbesondere die Auslieferung von Essensbestellungen betrifft. Nur für einige lebenswichtige Güter soll es Ausnahmen geben. Zudem sind ganze Straßenzüge im Umfeld des Gipfelortes gesperrt. Insgesamt sollen 130 000 Sicherheitskräfte im Einsatz sein.

Delhis Bürgermeisterin Shelly Oberoi, erst seit Februar im Amt, hat die Hauptstadt für das wichtige Event herausgeputzt. Über 11 000 vermüllte Ecken wurden beräumt, erklärte sie in einem Interview mit der »Hindustan Times«. Etliche Straßen erhielten eine neue Asphaltschicht, und ein Heer von 12 000 Mitarbeitenden der Stadtverwaltung kümmerte sich um diverse Verschönerungsmaßnahmen in sechs Vierteln, durch die Gipfelteilnehmer kommen könnten. Solche Anstrengungen im Zuge von Großereignissen sind nicht neu. Wohl aber die klare Zusicherung von Oberoi, dass man sich auch nach dem Gipfelende dauerhaft kümmern werde, die aufpolierten Ecken nicht erneut dem Verfall zu überlassen. Die Bürgermeisterin gehört wie Delhis Chefminister Arvind Kejriwal zur aus der Antikorruptionsbewegung hervorgegangenen Aam Admi Party (AAP), der Versprechen eher abgenommen werden, etwas gegen die allseits beklagte Vermüllung zu tun. Auch hat man mehr Geld für Schulen und Sozialzentren bereitgestellt.

Indes beklagen viele städtische Arme, durch Bulldozereinsatz gegen Hüttensiedlungen obdachlos geworden zu sein – das gilt gleichermaßen für Mumbai, Kolkata und weitere Städte, wo seit Jahresbeginn schon andere Runden im G20-Format stattfanden. Zehntausende sollen landesweit betroffen sein. Mindestens 49 Abrissaktionen auf Regierungsland hat es laut offiziellen Angaben seit April gegeben. Aktivisten beklagen, dass dies häufig ohne Vorwarnung geschehen sei. Dies habe nichts mit dem G20-Gipfel zu tun, beteuert die Regierung, sondern man gehe kontinuierlich gegen illegale Hüttensiedlungen vor. Doch abgerissen wurde auch das Slum-Viertel Janta Camp, das nur 500 Meter vom Austragungsort des G20-Gipfels entfernt lag.

Im brandneuen Messezentrum Bharat Mandapam empfängt Premier Modi am Wochenende seine Amtskollegen aus aller Welt. Ein nicht unerheblicher Dämpfer für den ambitionierten Gastgeber: Nicht nur Russlands Präsident Wladimir Putin wird dem Treffen fernbleiben. Auch Chinas Staatschef Xi Jinping, der kürzlich beim Brics-Gipfel in Südafrika noch dabei war, reist nicht an, sondern lässt sich durch Premier Li Qiang vertreten. Derweil möchte sich Modi insbesondere als Fürsprecher des globalen Südens präsentieren. Es geht um mehr Unterstützung der Industrieländer bei Klimaschutz und Digitalisierung, aber auch um bessere Teilhabe kleiner Unternehmen an der Weltwirtschaft. Ernährungssicherheit und Kampf gegen extreme Verschuldung sind weiter Themen, die Indien in seiner G20-Präsidentschaft immer wieder in den Fokus gerückt hat.

So sehr sich Modi, seit knapp zehn Jahren politisch an der Spitze des mittlerweile bevölkerungsreichsten Landes, im Gipfel sonnen will – das G20-Treffen ist mehr denn je diplomatisch heikel. Auch wenn es immer Interessenskonflikte gab, schienen die wirtschaftlich wichtigen Staaten, von denen nicht nur beim Kampf gegen den Klimawandel mehr Kooperation erwartet wird, selten so gespalten wie zuletzt. Der neue, tiefe Riss zwischen dem politischen Westen und Russland seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist dabei nur eine Facette, die schon vorher zugespitzten Spannungen zwischen USA und China eine andere. Auch Indien liegt, nicht nur wegen Grenzstreitigkeiten mit seinem Nachbarn, nicht immer auf Linie mit der Führung in Peking. Dennoch verstehen sich beide als Stimme des globalen Südens, und mit der geplanten Erweiterung der Brics-Gruppe um sechs Länder bekunden die Schwellenländer mehr Selbstbewusstsein. In Delhi stehen US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht nur die Staatsoberhäupter von Brasilien, Mexiko, Argentinien, Indonesien oder Südafrika gegenüber. Als geladener Gast wird Nigerias neuer Präsident Bola Tinubu laut Vorankündigung für mehr Investitionen in Afrikas größte Volkswirtschaft werben. Doch von »einer Familie«, wie das Jahresthema nahelegt, wirkt die G20, die 80 Prozent der globalen Wirtschaftskraft verkörpert, derzeit ziemlich weit entfernt.

Das gilt indes auch für indische Politik: Für Aufregung in Oppositionskreisen sorgte eine Dinner-Einladung von Staatschefin Draupadi Murmu, die der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) angehört, an die ausländischen Spitzengäste. Die war nämlich mit »Präsidentin von Bharat« unterzeichnet. Damit treibt Modis Parteifreundin einen alten Streit weiter voran. Bharat wird als Kampfbegriff verwendet, stellt er doch die Hindus an die Spitze der Gesellschaft und klammert die zahlreichen Minderheiten im sehr multikulturellen Indien aus. Das fragwürdige Einladungsschreiben wurde just zwei Tage publik, nachdem Mohan Bhagwat, Chef der ultrarechten BJP-Mutterorganisation RSS, öffentlich forderte, die offizielle Staatsbezeichnung in Bharat zu ändern.

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