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Oranienburg setzt Zeichen gegen Björn Höcke und AfD
Die Brandenburger Stadt sendet deutliche Ansagen an die allzu siegesgewisse AfD
Einwohner von Oranienburg malen am Donnerstag ab 16 Uhr mit Kreide einen gigantischen Regenbogen auf den Schlossplatz der Stadt. Es ist ein freundlicher Gruß an den Christopher-Street-Day am Wochenende. Es ist zugleich ein deutliches Signal an den AfD-Politiker Björn Höcke, der sich um 19.32 Uhr mit einem schwarzen Volkswagen vorfahren lässt.
Seine Partei hält auf dem Schlossplatz eine Kundgebung ab. Brandenburgs Landtagsvizepräsident Andreas Galau (AfD) spricht schon. Aber er scheint mit der Situation überfordert und erzählt Stuss: »Wenn ich mich hier umschaue, ist dieser Platz mit unseren Anhängern gut gefüllt«, behauptet Galau. Dabei ist von der Hälfte des Schlossplatzes, die mit Absperrband für die AfD-Kundgebung reserviert ist, wiederum gerade einmal die Hälfte von Galaus Zuhörern belegt. Nicht einmal 500 sind erschienen.
Auf der anderen Straßenseite haben sich dagegen gut 1500 Gegendemonstranten versammelt, die zwei Stunden lang ausdauernd pfeifen und buhen. Der ihnen zugewiesene Platz vor der Bibliothek reicht hinten und vorne nicht. Sie stehen, als sie nach einer Runde durch die Stadt eintreffen, bis um die Ecke auf der Straße.
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Derart zahlreiche Gegenwehr ist die AfD in Brandenburg inzwischen nicht mehr gewohnt. Sie kann schwer damit umgehen. Es kommen die üblichen Reflexe: »Nicht einen Tag haben die in ihrem Leben gearbeitet, aber sich hier hinstellen und schreien«, schimpft ein breitschulteriger Glatzkopf, der eine Arbeitshose in greller Signalfarbe trägt. Aber das stimmt natürlich nicht. Denn drüben stehen sehr viele Berufstätige. Das ist allein schon an den Fahnen der Gewerkschaften zu erkennen. Zum Beispiel auch Beschäftigte der katholischen Wohlfahrtsorganisation Caritas beteiligen sich an der Gegendemonstration.
Was da drüben herumlungere, sei nicht einmal ein Drittel von dem, was die AfD in Brandenburg an Wählern aufbieten könne, versucht Landtagsvizepräsident Galau die Gegendemonstration zu verhöhnen. Damit erzählt er schon wieder Stuss. Hätte er nachgerechnet, wäre ihm klar geworden, dass er damit gerade behauptet, die AfD habe in dem 2,6 Millionen Einwohner zählenden Bundesland nur ungefähr 5000 Wähler. Bei der Landtagswahl 2019 heimste die AfD aber mehr als 297 000 Stimmen ein – was damals 23,5 Prozent aller abgegebenen Stimmen waren.
Doch was die AfD in Oranienburg erleben muss, steht nun einmal in so krassem Missverhältnis zu der Siegerspur, auf der sie sich angesichts berauschender Umfragewerte sieht: 30 Prozent in Brandenburg, 34 Prozent in Thüringen, 35 Prozent in Sachsen. Man werde die Grünen bei den kommenden Landtagswahlen »unter die Fünf-Prozent-Hürde jagen und auch die SPD«, frohlockt die Landesvorsitzende Birgit Bessin. Dabei ist das undenkbar. Die SPD steht in Brandenburg immerhin bei 21 Prozent. »Wir sind nicht mehr aufzuhalten«, glaubt Björn Höcke. Die Gegendemonstranten hält er allesamt für Berliner, weil die Brandenburger Jugend doch anders denke. Da täuscht er sich aber. Die Medien beschimpft Höcke als »Gralshüter des Kultes um die deutsche Schuld«, fordert Vergeben und Vergessen und schwärmt, dass dies mit Deutschen und Russen prima funktionieren könnte.
Das sagt Höcke und steht dabei nur rund zwei Kilometer Luftlinie entfernt vom ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen. In Sachsenhausen ermordete die SS allein im Spätsommer 1941 innerhalb von nur zehn Wochen 13 000 sowjetische Kriegsgefangene. Vergeben? Vergessen?
Der Direktor der heutigen Gedenkstätte Sachsenhausen, Axel Drecoll, ist bei den Gegendemonstranten, allerdings nicht in seiner Funktion. Er betont: »Ich bin hier als Privatmann, weil ich finde, es ist meine Bürgerpflicht, dass wir den öffentlichen Raum besetzen, dass wir für Werte einstehen, für Diversität und Solidarität.« Zum Start der Gegendemonstration wird am Bahnhof per Lautsprecher durchgesagt: »Oranienburg weiß, was Nazis anrichten.« Anmelder Enrico Geißler – er ist Kreisvorsitzender der Linken in Oberhavel – informiert darüber, was nach Auskunft der Polizei nicht gesagt werden dürfe und bei Zuwiderhandlung dazu führen könnte, dass die Personalien aufgenommen werden: »Björn Höcke ist ein Nazi!« Vom Lautsprecherwagen aus wiederholt sich das Spiel auf dem Weg zum Schlossplatz und bei der Ankunft dort: »Was dürfen wir nicht sagen?« Die Menge ruft so laut es geht im Chor: »Björn Höcke ist ein Nazi!« Und immer wieder: »Björn Höcke ist ein Nazi!«
Für einen Mann und eine Frau hat es allerdings Konsequenzen, dass sie ein Transparent mitführen und nicht einrollen wollen, auf dem genau das steht: »Björn Höcke ist ein Nazi!« Sie müssen der Polizei ihren Personalausweis zeigen und die Beamten notieren sich Namen und Adressen für eine Anzeige.
Eine ganze Reihe von Landtagsabgeordneten läuft in der Gegendemonstration mit: Andreas Noack (SPD) und Andrea Johlige (Linke) sowie Carla Kniestedt und Heiner Klemp von den Grünen. Außerdem ist die Bundestagsabgeordnete Ariane Fäscher (SPD) da und positiv überrascht, wie viele Menschen gekommen sind. So viele waren es bei früheren Protesten gegen AfD-Veranstaltungen lange nicht.
Auch Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) kannte das Risiko, als er die Einwohner seiner Stadt aufrief, mit ihm gemeinsam als Zeichen gegen Björn Höcke den Regenbogen auf das Pflaster zu malen. »Oranienburg ist deutlich bunter geworden. Darauf habe ich vertraut«, sagt Laesicke zufrieden, als es vollbracht ist. »Sonst wäre es peinlich für mich geworden, wenn ich da allein gestanden hätte.« Aber so kam es nicht. »Es waren viele Leute da, und es war eine gute Stimmung.«
Der Bürgermeister griff selbst zur Kreide und erzählt lachend, es sei nicht einfach für ihn gewesen, sich mit seinem Bauch runter auf das Pflaster zu bücken. Mit Humor fing die ganze Sache an. In seinem Aufruf nannte Laesicke den AfD-Politiker Björn Höcke kurzerhand Bernd Höcke. Nachdem sich Höcke vor Jahren einmal komisch-weinerlich über die Verwechslung seines Vornamens beklagt hatte, nannte ihn die ZDF-Satiresendung »Heuteshow« nur noch Bernd – und diese Veralberung hat sich eingebürgert. Am Donnerstagabend hängt in einem Fenster des Oranienburger Schlosses »Bernd das Brot« – eine ulkige Figur aus dem Kinderkanal. Im Schloss sind ein Museum und die Stadtverwaltung untergebracht. Hinter dem Fenster ist das Büro des Bürgermeisters.
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