Stromtrasse SuedLink: Energiewende XXL

Die Nord-Süd-Stromtrasse SuedLink soll beschleunigt gebaut werden – obwohl sie nicht gebraucht wird

Wewelsfleth wird Außenstehenden gewöhnlich mit zwei Adjektiven präsentiert: ruhig und beschaulich. In der 1300-Seelen-Gemeinde in der Wilstermarsch am Unterlauf der Elbe locken ein Stauwerk mit Picknickplatz, Landgasthöfe und die Trinitatis-Kirche Besucher an. 1989 sorgte man kurzzeitig für Aufsehen, als als Reaktion auf den Bau des heftig umkämpften Atomkraftwerks Brokdorf hier einer der ersten Windparks Deutschlands eingeweiht wurde. An diesem Montag wurde es wieder hektisch: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rückte zusammen mit seinen Länderkollegen aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie einer Medienschar an, um einen symbolischen Spatenstich zu vollziehen.

Dies war der offizielle Baustart des Milliardenprojekts SuedLink: Die Stromtrasse soll über 700 Kilometer die Windparks an und auf der Nordsee mit industriellen Großabnehmern in Baden-Württemberg und Bayern verbinden. Laut den künftigen Betreibern – den Netzkonzernen Tennet, der für den nördlichen Trassenabschnitt zuständig ist, und TransnetBW im Süden – ist SuedLink »das größte Infrastrukturvorhaben der Energiewende«. Zehn Milliarden Euro sollen hier investiert werden. Neben den Gleichstromleitungen gehören dazu an den vier Enden auch fußballfeldgroße Konverterstationen nahe den stillgelegten AKWs Brunsbüttel und Brokdorf im Norden sowie Neckarwestheim und Grafenrheinfeld im Süden. Hier findet die Umwandlung in haushaltsüblichen Wechselstrom statt. Transportiert werden soll auf der Stromautobahn eine Leistung von vier Gigawatt. Zum Vergleich: Das AKW Brunsbüttel brachte es auf 0,8 Gigawatt. In allen Abschnitten laufen die Planfeststellungsverfahren, die Inbetriebnahme ist für 2028 vorgesehen. Ursprünglich ging man von 2022 aus, doch Widerstände zahlloser Bürgerinitiativen insbesondere in Thüringen und Bayern sorgten für Verzögerungen.

Die ersten Planungen reichen bis ins Jahr 2012 zurück, als die Übertragungsnetzbetreiber Ideen für Stromtrassen in Nord-Süd-Richtung in Deutschland präsentierten. Die Bundesnetzagentur nahm diese in ihre offiziellen Netzentwicklungspläne auf. Die Bundesregierung bestätigte die »energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf« der Anlage. Doch die Akzeptanz der »Monstertrassen« nahm Richtung Süden ab. Die bayerische CSU-Regierung war erst für SuedLink, dann unter dem Protestdruck dagegen, um schließlich nur noch die weitgehende Verlegung der Trasse jenseits des Freistaats zu fordern. Das stieß bundesweit bei Befürwortern wie Gegnern des Projekts auf Kritik. Im Jahr 2015 wurde letztlich entschieden, von Freileitungen und riesigen Masten auf Erdverkabelung umzusteigen, um eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Dadurch begann die Planung wieder bei null und die veranschlagten Kosten schossen um mehr als das Dreifache in die Höhe. Und dies, obwohl die ursprünglich zwei Korridore auf einen reduziert wurden und es nur noch am Anfang und am Ende der Trasse Verästelungen geben soll.

Richtig Tempo wird indes erst seit der Regierungsübernahme der Ampel im Bund gemacht. SuedLink ist eines von drei Energieprojekten, die laut dem Koalitionsvertrag vom November 2021 »beschleunigt auf den Weg« gebracht und »mit hoher politischer Priorität« umgesetzt werden sollen. »In den nächsten zwei Jahrzehnten brauchen wir Tausende Kilometer zusätzlicher Stromnetze«, machte Wirtschaftsminister Habeck vor wenigen Wochen bei der Auftaktfeier zum Konverterbau am Umspannwerk Leingarten bei Heilbronn deutlich. »Diese müssen so zügig wie möglich geplant, genehmigt und gebaut werden.«

Die Befürworter führen zudem eine zunehmend teure Entwicklung im hiesigen Stromnetz als Argument an. So sind die Kosten für den sogenannten Redispatch, der Überlastungen wie Engpässe im Stromnetz verhindern soll, zuletzt auf 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2022 in die Höhe geschossen. Bei starkem Wind werden Anlagen im Norden wegen fehlender Leitungskapazität abgeregelt. Hingegen müssen im Süden unrentable Anlagen hochgefahren werden. Beides bezahlen die Netzbetreiber und holen sich das Geld vom Stromverbraucher wieder zurück. SuedLink könnte Abhilfe schaffen.

Das überzeugt Umweltverbände nicht. Sie lehnen generell neue Stromautobahnen ab und fordern stattdessen eine dezentrale Stromerzeugung mit Wind- und Solarenergie vor Ort. Kritik übt man dabei gerade an den beiden südlichsten Bundesländern, die Schlusslichter beim Windkraftausbau sind.

Auch viele Energieexperten bezweifeln die Notwendigkeit von SuedLink: Der Wirtschaftswissenschaftler Lorenz Jarass und der Netzberater Carsten Stiegels sprachen 2021 in einem Gutachten von einem »überdimensionierten Netzausbau«, der die Kosten unberücksichtigt lasse. SuedLink sei in der Planung für 2030 nur dann erforderlich, falls »seltene Leistungsspitzen gesichert in vollem Umfang transportiert werden sollen«. Doch der Überschussstrom bei starker Brise im Norden muss den Autoren zufolge nicht über Hunderte Kilometer Richtung Süden transportiert werden, sondern könnte vor Ort kostengünstig etwa zur Herstellung grünen Wasserstoffs genutzt werden. Einen zeitweiligen Engpass im Süden wiederum könnten verbrauchsnah installierte, CO2-neutrale Reservekraftwerke beheben. Jarass und Stiegels warnen ihrerseits vor Stromausfällen, sollten die offizielle Bundesnetzplanung Realität werden. Diese setze im Falle von Leistungsdefiziten nämlich auf »ungesicherte Stromimporte«. Tatsächlich wird die ebenfalls neugebaute Westküstenleitung von den großen Nordsee-Windparks bis zum SuedLink-Startpunkt, der Minister Habeck am Montag auch einen Besuch abstattete, derzeit bis Dänemark verlängert.

Auch wenn viele Gründe gegen SuedLink sprechen, ist nun der offizielle Startschuss in Wewelsfleth gefallen. Dort werden sechs Gleichstromkabel in einem fünf Kilometer langen Tunnel unter die Elbe gelegt, eines der größten Einzelvorhaben in dem Projekt. Die bauvorbereitenden Maßnahmen dafür laufen schon einigen Monaten. Mit der Ruhe in der Gemeinde ist es für geraume Zeit vorbei.

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