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Linke und Wagenknecht: Der Stand der Spaltung
Spaltprodukte der Linken formieren sich und hoffen auf Wagenknecht
Gründet sie nun oder gründet sie nicht? Die »Bild« hat am Wochenende für viel Aufregung gesorgt. »Wagenknecht gründet ihre eigene Partei« war eine Schlagzeile des Wochenendes. Garniert wurde sie durch einen Kommentar und eine Wagenknecht-Bilderstrecke. Vom »süßen Fratz« zu Deutschlands gefährlichster Politikerin. So sieht man Wagenknecht im Hause Springer. Viel Substanz hatten die Beiträge dabei nicht. Keine Parteigründung wurde verkündet und eine Entscheidung in der Sache wurde von Wagenknecht-Unterstützer*innen dementiert. Also nur eine Schlagzeile mit wenig Substanz?
So einfach ist es auch nicht. Es gibt, mehr oder weniger ernsthafte, Bestrebungen zur Gründung einer Wagenknecht-Partei. Im Netz sprießen die Alternativprojekte nacheinander aus dem Boden. Mal sind sie regional, in Köln etwa gibt es eine »Initiative für eine neue linke Partei«. Die Resonanz bisher bescheiden. Nur 15 Menschen wollen sich der Gruppe auf Facebook anschließen.
Weitaus größer sind die »Unbeugsamen«, die eine linke Sammlungsbewegung sein wollen. Auf Facebook hat ihre Gruppe über 1300 Mitglieder. Auch außerhalb der sozialen Netzwerke haben sich die »Unbeugsamen« schon getroffen. Von 1300 Teilnehmer*innen war das Treffen am ersten Septemberwochenende in Dortmund allerdings weit entfernt. Immerhin, der Linke-Bundestagsabgeordnete Andre Hunko trat dort auf. In einem Video von Hunkos Beitrag, will dieser den Zerfall der kommunistischen Partei Italiens nicht als Argument gegen eine Spaltung der Linken gelten lassen.
Spannender als das, was Hunko sagt, ist aber, wie es bei den »Unbeugsamen« auf Facebook zugeht. Viel unterscheidet die Gruppe dort nicht von anderen Zusammenschlüssen mit einem traditionellen linken Selbstverständnis. Es wird zur Solidarität mit Kuba aufgerufen, in diesen Tagen oft an den Putsch in Chile vor 50 Jahren erinnert, und zum Frieden mit Russland aufgerufen. Aber es gibt auch Beiträge die sich davon deutlich unterscheiden. Auf einem Bild ist eine sehr zerstochene Voodoo-Puppe zu sehen. Dahinter ein gerahmtes Foto: Robert Habeck mit Trauerflor. Immerhin, das Bild wird von mehreren Gruppenmitgliedern als »geschmacklos« und »widerlich« kritisiert. Auf einem anderen Bild sind Alice Weidel und Sahra Wagenknecht zu sehen. Von beiden gibt es kurze Zitate gegen die Regierung. Die Schlussfolgerung des Bilderstellers: »Wirklich gebildete Frauen haben meistens irgendwo Schnittstellen.« Auch hier gemischte Reaktionen und Hinweise darauf, dass die AfD Politik für Reiche mache und kein sozialpolitischer Partner sei. Trotzdem, die dauernde Verharmlosung von AfD-Wähler*innen durch Wagenknecht, trägt auch in diesen Gruppen Früchte: Diskussionen, dass die AfD doch gar nicht so schlimm sei und es darum gehe gegen die Regierung zusammen zu stehen, sind nicht selten.
Ein anderes Spaltprodukt, dass sich auch auf Facebook organisiert, ist »Was tun«, angelehnt an einen Kongress von Wagenknecht-Unterstützer*innen im Frühjahr in Hannover. »Was tun«-Gruppen gibt es mittlerweile in mehreren Bundesländern. In der Gruppe aus Nordrhein-Westfalen finden sich zahlreiche Personen aus der dritten und vierten Reihe der Linken, wie etwa Tamara Helck, die eine Zeitlang im Linken-Landesvorstand saß und im Dezember 2021 einem Rausschmiss durch Rücktritt zuvor kam. Helck hatte damals Corona-Verschwörungstheorien von Hitler-Fan Attila Hildmann verbreitet.
Womöglich sind es genau solche Leute, die Diether Dehm und Volker Schneider aus der neuen Partei raushalten wollten. Zumindest diskutierten der ehemalige Abgeordnete und der langjährige Fraktionsgeschäftsführer der Linken kürzlich auf Youtube darüber, wie man »die Hürde für Glücksritter und Leute die schon zwei Parteien und drei Psychiater verschlissen haben« möglichst hochhalten kann. Es ist davon auszugehen, dass sich Menschen wie Volker Schneider, der als enger Gefährte von Oskar Lafontaine gilt, solche Gedanken nicht nur zum Zeitvertreib machen. Von Schneider kommt auch der Vorschlag, eine neue Partei erst im nächsten Jahr zu gründen, um mehr Wahlkampfkostenerstattung zu bekommen.
Was das alles für eine reale Neugründung bedeutet, bleibt fraglich. Dass sie kommen wird, gilt allerdings als sicher. Als Zeitpunkt für die endgültige Trennung von der Linken wird, nicht nur von »Bild«, die Landtagswahlen in Hessen und Bayern genannt. Von einem schlechten Abschneiden der Linken erhofft man sich Rückenwind für das neue Projekt.
Auf die Frage, wie man mit der drohenden Konkurrenz umgehen wolle, sagte der Linke-Kovorsitzende Martin Schirdewan am Montag vor Journalisten, erst einmal müsse »Klarheit geschaffen werden«, ob es eine neue Partei geben werde. »Letztlich reden wir über ein Phänomen ohne Programm.« Ähnlich wie Schirdewan reagierte Janine Wissler, als sie auf Kooperationsmöglichkeiten bei den Europawahlen angesprochen wurde. Es sei »Spekulation« über eine nicht existierende Partei zu sprechen.
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