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Kiffen in der Grauzone
In Spanien gibt es rund 2000 Cannabis-Clubs. Einer befindet sich im baskischen Irun an der Grenze zu Frankreich.
Nichts weist darauf hin, dass sich hinter der schlichten ortsüblichen Sandstein-Fassade eines Wohnhauses ein sogenannter Cannabis-Club verbirgt. Die Tür und das große Fenster aus Milchglas lassen keinen Blick in die Innenräume zu. Man muss die Adresse im Stadtteil Santiago der baskischen Kleinstadt Irun kennen, sie zu finden. Durch die Straße, in der sich die Einrichtung befindet, ziehen sonst Wanderer auf dem Jakobsweg an der Atlantikküste, hier an der Grenze zu Frankreich.
Ein Kameraauge blickt auf den Besucher des »Gorila Verde« (Grüner Gorilla). Einen Namen sucht man vergeblich an der Klingel. Wie in den anderen bis zu 2000 Cannabis-Clubs, die es im spanischen Staat geben soll, wird erst beim Eintritt klar, dass man es mit besonderen Räumlichkeiten zu tun hat.
Neben dem Bild einer großen Cannabispflanze prangt an der Tür zum eigentlichen Club ein Warnhinweis: »Kein Mitglied – kein Eintritt« in französischer und spanischer Sprache. An der Wand ist auch das Reglement zu lesen. »Ihren Ausweis bitte«, fordert eine Angestellte des Clubs den Besucher beim Eintritt in den gemütlichen Raum auf Französisch auf. Das verwirrt, da man auf der spanischen Seite des Grenzflusses Bidasoa ist, der das französische Baskenland vom spanischen trennt.
Refugium für französische Konsumenten
Baskisch zu sprechen ist unmöglich, schon mit Spanisch tut sich nicht nur die Angestellte schwer. Damit ist klar, dass sich dieser Club im Grenz-Stadtteil besonders an eine Kundschaft von der anderen Seite des Flusses wendet, der das Baskenland zwischen zwei Staaten aufteilt. Der Bedarf ist dort groß, denn in Frankreich ist die Gesetzgebung rigide.
An einen Cannabis-Club wie hier in Irun sei dort nicht zu denken, erklärt Jean-Baptiste Roussel. Er hat den »Gorila Verde« im Jahr 2016 gegründet. Er wohnt selbst »auf der anderen Seite« in Hendaye. »Ich hoffe, dass sich angesichts der allgemeinen Veränderungen bei uns bald etwas bewegt«, erklärt der Mann auch mit den Blick auf Deutschland, wo ein ähnliches Modell wie in Spanien geplant ist. Roussel stammt aus der Normandie und ist hier in den Südwesten gezogen. »Vielleicht, vielleicht, vielleicht«, meint er. Es klingt wenig optimistisch.
In Frankreich sind sogar Besitz und Konsum von Cannabis noch strafbar. Ironischerweise gehört die Grande Nation zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Cannabis-Verbrauch. Schätzungen zufolge gibt es fünf Millionen Konsumenten, eine Million von ihnen raucht demnach täglich.
Dass Frankreich den Cannabis-Konsum weiter stark kriminalisiert, macht sich auch beim Besuch im Club bemerkbar. Kein Besucher mit französischem Pass, und den haben alle Anwesenden an diesem Tag, will auch nur anonym erklären, warum er herkommt. Sogar die Barfrau möchte nicht, dass auf Fotos ihr Gesicht zu sehen ist. Allerdings lockert auch das Nachbarland den Umgang mit Cannabis langsam. Seit drei Jahren wird beim Konsum meist nur noch eine Geldstrafe verhängt. Diese wird aber weiter im Strafregister geführt. Für einen Durchbruch halten es viele in Frankreich, dass es seit März 2022 erlaubt ist, Cannabis für medizinische Zwecke anzubauen.
Spanien ohne gesetzliche Regelungen
So richtig legal ist das Kiffen allerdings auch hier in Spanien nicht. Alles befindet sich in einer Grauzone. Gesetzlich sind weder der Cannabis-Konsum noch die Cannabis-Clubs geregelt, weshalb es bisweilen auch zu Schließungen und Gerichtsverfahren kommt. Diverse Gesetzesvorhaben sind bisher gescheitert, nicht einmal der medizinische Einsatz ist bisher geregelt.
Im »Gorila Verde« sitzen Konsumenten auf Sofas an den Tischen im grün gehaltenen Clubraum. Es seien vor allem Männer im Alter zwischen 40 und 50, die herkommen, sagt Roussel. Nach Angaben des Club-Gründers besitzt nur gut die Hälfte der Besucher einen französischen Pass.
Das glaubt Patxi nicht, der seinen echten Namen aus Angst vor Nachteilen nicht veröffentlicht sehen will. Er hat den Kontakt zum Club vermittelt, dem er nicht mehr angehört. »Es wird dort vor allem Französisch gesprochen«, kritisiert er. Der Baske, der zwar auch aus dem französischen Teil stammt, legt aber Wert auf seine Muttersprache und hat sich mittlerweile einem anderen Club angeschlossen. »An der guten Atmosphäre oder am verkauften Material im Gorila Verde hatte ich aber nie etwas auszusetzen«, betont Patxi.
Das »Material« wird im Club in Joints geraucht, die zum Teil zwischen Besuchern geteilt werden. Darüber verbreitet sich der übliche süßliche Geruch. Der »Stoff« kann im Nebenraum erworben werden. Am Durchgang zum Shop prangt eine »Menü-Tafel«, auf der die Sorten »Weed«, »Hash« und »Extras« angepriesen werden, außerdem Zusätze für E-Zigaretten. Am Tresen werden aufgereiht in Gläsern die verschiedenen Sorten angeboten.
Zutritt nur für Mitglieder
»Konsumiert werden darf nur im Club und von Club-Mitgliedern«, erklärt Roussel. Die erste Regel besagt, dass es in den Räumlichkeiten »ausdrücklich verboten ist, andere als die im Club angebotenen Drogen« zu konsumieren. Der Verkauf von Drogen, »einschließlich« der im Club erworbenen, führt sofort zum Ausschlussverfahren.
»Die Mitglieder dürfen hier täglich drei Gramm kaufen«, fügt der Club-Gründer an. Er und seine Mitstreiter legen großen Wert auf die angenehme Atmosphäre im Privatclub, der zum Verweilen einladen soll. Gedämpfte Musik kann auch von den Mitgliedern ausgewählt und aufgelegt werden. Eine Videokonsole steht genauso bereit wie ein Computer. Man kann sich aber auch schlicht mit anderen Besuchern bei einem Kaffee, Bier oder Wein an der Theke unterhalten.
»Wir wollen, dass die Leute verweilen«, erklärt Roussel. Sie müssen nach den Statuten auch mindestens 30 Minuten bleiben. Man will nicht, dass die Mitglieder nur zum Einkauf kommen, um dann an anderen Orten zu konsumieren. Kontrollieren kann natürlich niemand, ob sie das gesamte Material im Club konsumieren oder einen Teil nach dem Aufenthalt mitnehmen. Ausdrücklich wird aber vom Verein betont, dass er »keinerlei Verantwortung übernimmt«, wenn Mitglieder Gras nach draußen mitnehmen.
Die Clubs sind Vereinigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht, die allein ihren Mitgliedern einen Service anbieten. Im spanischen Staat ist der Konsum »in privaten Räumen« nicht strafbar, das betonen Juristen mit Blick auf höchstrichterliche Urteile. Deshalb muss man Mitglied in einer solchen Vereinigung sein und einen entsprechenden Beitrag bezahlen. Im Gorila Verde sind das, je nach sozialer Lage, zwischen 20 und 50 Euro im Jahr. Daraus werden die laufenden Kosten gedeckt. Man legt Wert darauf, keine Verkaufsstelle zu sein, obwohl die Clubs im Ausland bisweilen auch als Coffeeshops nach Vorbild der Niederlande angesehen werden.
Klagen über Club-Regularien
Das führt bisweilen zu Konfusion und Frustration. So rät ein Franzose namens »Gilles« in einer Google-Rezession zur »Flucht«, da im Gorila Verde »fast eine Geburtsurkunde« verlangt werde. »Andere Vereinigungen sind viel verständnisvoller und einladender«, schreibt er. Er hat, wie andere, die ähnliche Kommentare hinterlassen haben, offensichtlich den Charakter dieser Projekte und die unsichere Rechtslage nicht verstanden. Allerdings gibt es Clubs, die auch Touristen als Mitglieder aufnehmen. Das kommt wiederum bei anderen nicht gut an, da es die Gefahr einer allgemeinen Strafverfolgung erhöhe.
Der Verein in Irun, gegen den auch schon einmal juristisch ermittelt wurde, achtet peinlich auf die Einhaltung der Statuten und Regeln. »Ein Jahr hat die Untersuchung gedauert«, sagt Roussel. Am Ende sei festgestellt worden, dass sich alles im legalen Rahmen abspiele. Aufgenommen werden hier Leute, die mindestens 21 Jahre alt sind. Franzosen dürfen nur Mitglied werden, wenn sie maximal 40 Kilometer von der Grenze entfernt wohnen. Biarritz und Bayonne sind noch inbegriffen, danach wird es eng. Erlaubt ist hier zudem eine Höchstzahl von 300 Mitgliedern.
Harte Urteile gegen Clubs in Bilbao
Man hat im »Gorila Verde« Vorgänge im baskischen Bilbao vor Augen, wo in zwei Verfahren Mitglieder von zwei Clubs tief in die Mühlen der Justiz geraten sind. Zunächst waren Mitglieder des »Pannagh 2015« sogar freigesprochen worden, da das lokale Gericht weder die »Absicht zum Drogenhandel«, noch den Willen erkennen konnte, den »illegalen Drogenkonsum zu fördern, zu begünstigen oder zu erleichtern«.
Doch dann verurteilte der Oberste Gerichtshof Spaniens zwei führende Club-Mitglieder zu Haftstrafen von je 18 Monaten und dazu noch zu Geldstrafen in Höhe von jeweils 250 000 Euro. Club-Präsident Martín Barriuso erklärte, man sei über ein »Pfusch-Urteil« zum »lebenslangen Ruin« verdammt worden.
Mit dem Urteil verunsicherte der Gerichtshof die Szene zutiefst. Die beruhigte sich erst wieder, als das Verfassungsgericht das Urteil 2018 wieder kassierte. Das Grundrecht der Beschuldigten auf ein faires Verfahren sei verletzt worden, begründete es seine Entscheidung.
Doch noch immer geraten Cannabis-Clubs wegen der fehlenden gesetzlichen Regelungen ins Visier der Justiz. Im katalanischen Tourismuszentrum Barcelona, fährt die Polizei inzwischen gegen Club-Besucher eine härtere Linie mit Kontrollen. Gesprochen wird von »Touristen-Heeren«, die dort einkaufen, auch hier viele Franzosen. »Wenn du Gras mitnimmst, bewahre es in deiner Unterhose auf, denn die Polizei steht oft vor der Tür«, erklärt deshalb ein Club-Mitglied einem Besucher im Stadtteil Eixample.
Harte Linie gegen Clubs in Barcelona
Auch in Barcelona, wo schon 1991 der erste Cannabis-Club gegründet wurde, gibt es Vereine, die Touristen aufnehmen. Sie funktionieren eher wie Coffeeshops und seien vor allem am Geld der Urlauber interessiert, kritisieren andere Clubs.
Wegen der Kontroll-Linie hat die Polizei im vergangenen Jahr allein in Barcelona 13 Clubs aus verschiedenen Gründen geschlossen, im laufenden Jahr sind es bisher sechs. Auch neun Plantagen, die die Clubs versorgen, seien in der katalanischen Metropole ausgehoben worden. Der Cannabis-Anbau für die Clubs ist ein problematisches Feld. Viele Vereine kultivieren die Pflanzen für ihre Mitglieder ebenfalls in der Grauzone.
Wo und wie das geschieht, darüber wird Stillschweigen bewahrt. Schließlich handelt es sich um ein teures Gut, das auf dem Schwarzmarkt viel Geld einbringt. Es gab deshalb auch schon bewaffnete Überfälle organisierter Banden auf Clubs oder Plantagen. In Irun baut der Gorila Verde selbst kein Cannabis mehr an. »Wir kaufen bei anderen Clubs ein, mit denen wir in Kontakt stehen«, sagt Roussel. Früher habe man auch selbst angebaut, aber das sei insgesamt sehr aufwendig und schwer zu managen.
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