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Anne-Frank-Zentrum in Berlin: Tarifstreit am Erinnerungsort
Verdi ruft zu zweitägigem Warnstreik bei Anne-Frank-Zentrum auf
Nieselregen vor der niederländischen Botschaft: Eine kleine Gruppe von Beschäftigten beim Anne-Frank-Zentrum in Mitte hat sich vor der Botschaft eingefunden. Drinnen sollen Jugendliche geehrt werden, die sich um die Erinnerungskultur verdient gemacht haben. Ein Polizist stellt noch sicher, dass es sich bei dem Grüppchen in lila Verdi-Warnwesten nicht um Klimakleber handelt. »Nur um sicherzugehen«, sagt er und bittet die Gewerkschafter, außerhalb des mit Pollern markierten Botschaftsgeländes zu bleiben.
»Wir wollen auf unsere Arbeitsbedingungen aufmerksam machen«, sagt Jona Schapira, die als Bildungsreferentin beim Anne-Frank-Zentrum arbeitet. Am Montagmorgen hatte die Verdi-Betriebsgruppe angekündigt, am Donnerstag und Freitag in den Warnstreik treten zu wollen. Als der Vorstand des Vereins, der das Anne-Frank-Zentrum betreibt, für die Ehrung in der Botschaft ankommt, empfangen die Gewerkschafter die Vorständler mit Plakaten. »Wir sind streikbereit«, steht auf einem großen. »Mit einem besseren Angebot können Sie weitere Streiktage noch verhindern«, ruft eine Beschäftigte den Vorständlern hinterher.
Vor allem wollen die Beschäftigten, dass ihre Arbeitsverträge an den Tarifvertrag der Länder (TV-L) angepasst werden. Der Haustarifvertrag ist zwar an den TVL angelehnt, weicht aber in entscheidenden Punkten ab. So sind die Basistarife zwar gleich, aber unterscheidet sich die Entlohnung auf den höheren Erfahrungsstufen teils um mehrere Hundert Euro. »Man kriegt den Eindruck, dass das Anne-Frank-Zentrum längere Betriebszugehörigkeit nicht belohnen will«, sagt Robert Zenker. Der Bildungsreferent ist Teil der Tarifkommission. Bei den unteren Lohngruppen für studentische Hilfskräfte und Haustechniker gebe es ebenfalls deutliche Abweichungen nach unten. »Das grenzt dann schon an den Niedriglohnsektor«, sagt Zenker.
Der Streikaufruf ist die nächste Eskalation in einem seit dem Frühling laufenden Tarifstreit. Seit April verhandeln Geschäftsführung und Verdi über die Arbeitsbedingungen. Zunächst gab es beidseitig Hoffnungen auf eine gütliche Einigung, doch nach sechs Sitzungen konnte keine gefunden werden. Zuletzt gab es kaum noch eine Annäherung, berichten Teilnehmer der Verhandlungsrunden. Die Geschäftsführung verwies demnach darauf, dass das Zentrum von Projektförderung abhinge, die nicht planbar genug sei, um die Verdi-Forderung nach Angleichung zu erfüllen.
Das Anne-Frank-Zentrum ist vielen als Museum in den Hackeschen Höfen bekannt. Neben der Dauerausstellung, die viele Berliner Schulklassen besuchen, gibt das Zentrum auch Lernmaterialien heraus und tourt mit zwei Wanderausstellungen durch Deutschland. Auch Fortbildungen für Berufstätige werden angeboten.
Neben der Lohnanpassung will Verdi auch, dass freiberufliche Tätigkeit bei der Einstellung als Berufserfahrung gewertet wird. »Ich habe vor meiner Einstellung schon zehn Jahre frei für das Anne-Frank-Zentrum gearbeitet«, sagt Jona Schapira. »Trotzdem wurde ich bei meiner Festanstellung auf der niedrigsten Gehaltsstufe eingeordnet.«
Freiberufliche spielen für das Zentrum eine große Rolle. 40 Prozent der Belegschaft arbeiten ohne festen Vertrag, schätzt Mareike Schäffer. Auch sie arbeitet frei, betreut Besuchergruppen in der Dauerausstellung. Für eine zweistündige Führung erhält sie 46 Euro, Vor- und Nachbereitung werden nicht separat vergütet. Bei ein bis zwei Führungen in der Woche sei das »kaum haltbar«, sagt sie. »Im Vergleich mit anderen Institutionen ist das nicht konkurrenzfähig«, so Schäffer. Daher herrsche unter den Freien eine große Fluktuation.
Dazu komme, dass die Zahl der Führungen stark variiert. In den Schulferien finden kaum Führungen statt. »Man hat keine Sicherheit«, sagt Schäffer. In einem ungewöhnlichen Schritt verhandelt die Verdi-Gruppe daher sowohl den Tarifvertrag als auch die Arbeitsbedingungen für Freie. Deren Honorar soll auf 76 Euro pro Führung erhöht werden. Für Freie, die die Wanderausstellung betreuen, soll die Reisezeit zumindest teilweise als Arbeitszeit vergütet werden. »Wenn die Ausstellung im Saarland gastiert, fährt man schon mal zehn Stunden«, sagt Schäffer.
So schwierig die Bedingungen sind – an ihrer Tätigkeit in der Bildungsarbeit haben alle großen Spaß. »Ich engagiere mich auch, weil ich das für eine ganz wichtige Tätigkeit halte«, sagt Bildungsreferent Robert Zenker. Zur Erinnerung an den Holocaust beizutragen, sei gesellschaftlich höchst relevant. Umso machen er und die anderen Beschäftigten sich Sorgen um die im Bundeshaushalt festgehaltenen Pläne. Vor allem bei der politischen Bildung soll hier gekürzt werden.
Davon ist auch das Anne-Frank-Zentrum betroffen. »Wir sind massiv von Kürzungen bedroht«, sagt Jona Schapira. Zu den bedrohten Projekten gehört eine Initiative, die in Gefängnissen Bildungsarbeit gegen Antisemitismus für die Inhaftierten macht. »Das Projekt ist eines der wenigen historisch-politischen Bildungsangebote zu Antisemitismus im Strafvollzug«, sagt Schapira. Auch der jährliche Anne-Frank-Tag am 12. Juni steht finanziell auf wackeligen Beinen. »Eigentlich ist das unser öffentlichkeitswirksamstes Projekt«, sagt Robert Zenker. Mehr als 600 Schulen seien beteiligt. »Das ist etwas Symbolträchtiges«, so Zenker. Jetzt könnte es sein, dass der Tag ausfallen muss – ausgerechnet in dem Jahr, in dem Anne Frank 95 geworden wäre.
Um gegen die Kürzungen zu protestieren, haben die Gewerkschafter ein aus Pappe gebasteltes Sprachrohr mitgebracht. Sie wollen es an Felix Klein, den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung übergeben, der auch zur Veranstaltung eingeladen ist. »Er soll mit den Verantwortlichen ins Gespräch über die Notwendigkeit politischer Bildung kommen«, sagt Jona Schapira. Daraus wird aber nichts: Kleins Limousine rauscht ohne zu halten an den Demonstranten vorbei in die Garage der Botschaft. Das symbolische Sprachrohr bleibt erstmal stumm.
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