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Mehr Gewerkschaft von unten
Verdi-Aktive wollen die Rolle von Vertrauensleuten stärken
In einer kurzen Pause zwischen zwei Tagesordnungspunkten hat Jan Friedrichs kurz Zeit für ein Gespräch. Der 28-jährige Gewerkschafter ist für den Verdi-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen als Delegierter nach Berlin gefahren. Er trinkt einen Kaffee und wirkt relativ gelassen dafür, dass es sein erster Bundeskongress ist.
Aber auf einen Moment ist Friedrichs gespannt. Es gibt einen Antrag über die Rolle von Vertrauensleuten im Betrieb, die ihm wichtig ist, wie er im Gespräch mit »nd« sagt. Seine Gewerkschaft sollte den aktiven Kolleg*innen vor Ort im Betrieb einen viel höheren Stellenwert einräumen. Vertrauensleute sind neben den Betriebsräten ehrenamtliche Gewerkschafter*innen in den Betrieben, die regelmäßig gewählt werden. Sie sollen Netzwerke bilden, mögliche Konfliktfelder identifizieren und damit zur gewerkschaftlichen Willensbildung an der Basis beitragen.
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Friedrichs arbeitet seit sechs Jahren bei der Post, ist dort Vertrauensleutesprecher und im Betriebsrat aktiv, wo es noch relativ gute Strukturen gibt, wie er sagt. Er findet aber, dass die Vertrauensleute von Verdi oft zu wenig eingebunden werden und dann lediglich als Sprachrohr für die Dienstleistungsgewerkschaft dienen.
Das ist dem Selbstverständnis von Verdi nach anders vorgesehen: Nach außen hebt die Gewerkschaft die zentrale Stellung der Vertrauensleute besonders hervor. Sie seien unverzichtbar, gelten als Stützpfeiler in den Betrieben, »stehen für Mitgliedernähe und demokratische Willensbildung«, betont die Gewerkschaft. »Ihre Erfahrungen sind in gewerkschaftspolitischen Diskussionen gefragt, wenn es darum geht, Ziele und Forderungen zu erarbeiten oder umzusetzen.«
Doch die Realität sieht oft anders aus, kritisiert auch Thomas Frischkorn. Der Vorsitzende des Bezirks Südhessen hat für den Kongress gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen den vorliegenden Antrag zu dem Thema erarbeitet. »Die Arbeit der Vertrauensleute bei Verdi ist uneinheitlich und hängt von der jeweiligen Gewerkschaft und Branche ab«, erklärt Frischkorn dem »nd«. Während sie etwa bei der Post, Telekom und im öffentlichen Dienst oft noch arbeitsfähig sind, sei dies im Handel oder der IT-Branche aufgrund der Betriebsgrößen schwieriger. »Und dass Vertrauensleute in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, passiert allenfalls, wenn Tarifforderungen erarbeitet werden«, bemängelt Frischkorn.
Der Gewerkschaftslinke will, dass die Arbeit an der Basis in den Betrieben gestärkt wird. Dafür sind Vertrauensleute aus Sicht von Frischkorn zentrale Stützen. Doch der Gewerkschaftsapparat misstraue ihnen oft. Ihre Verankerung im Betrieb kann sich im Konfliktfall zu einer unabhängigen Gegenmacht entwickeln. »Von ihnen könnten wilde Streiks ausgehen«, meint Frischkorn. »Darum behandelt Verdi seine Vertrauensleute heute stiefmütterlich«, kritisiert er.
Im Antrag wird darum gefordert, Konzepte zu entwickeln, die die Arbeit der Vertrauensleute stärken. Einerseits müsse Verdi nach dem Willen der Antragsteller*innen mit sogenannten Betriebsatlanten transparent machen, wie viele Vertrauensleute es in den Betrieben gibt, um so gezielter Netzwerke aufbauen zu können. Um die Position der Vertrauensleute strukturell zu stärken, wird mit dem Antrag andererseits mehr Geld und gewerkschaftliche Ressourcen für die Vertrauensleute-Wahlen gefordert. »Wie wir das auch für die Betriebs- und Personalratswahlen für notwendig halten«, heißt es darin.
Während des gesamten Bundeskongresses wurde wiederholt die Bedeutung von Vertrauensleuten für die Gewerkschaft betont. Auch findet der Antrag breite Unterstützung, sagte Frischkorn dem »nd«. Zwar wird am Donnerstag über den Antrag beraten. Aber die Antragskommission hat die Annahme nur zur Weiterleitung an den Bundesvorstand empfohlen. »Das ist eine Beerdigung erster Klasse«, findet Frischkorn. Dabei könne der Antrag eine Debatte über das Selbstverständnis von Verdi in Gang setzen: Ist es eine Gewerkschaft, in der von oben nach unten entschieden wird oder lebt sie von einer aktiven Basis?
Diese Frage hält auch Jan Friedrichs für entscheidend. Aus seiner Sicht muss die Gewerkschaft die demokratische Willensbildung an der Basis stärken, um Schlagkraft zu entwickeln. Wichtig sind für ihn dabei von der Gewerkschaftsführung relativ unabhängige Vertrauensleute und ihre Netzwerke an der Basis. Auch wenn oder vielmehr weil es bedeutet, dass die Führung zugunsten der demokratischen Willensbildung in den Betrieben die Verantwortung in die Hände der Kolleginnen und Kollegen gibt.
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