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Ist die AfD-Chefin Alice Weidel nicht queer?
Der AfD-Chefin geht es um Spaltung und Zerstörung, nicht um ein persönliches Bekenntnis
Alice Weidel erzählte kürzlich im ARD-Sommerinterview, sie sei nicht queer und fühle sich als lesbische Frau nicht diskriminiert. Damit landete sie einen Punktsieg mindestens in der konservativen und rechten Öffentlichkeit. Klar ist: Weidel geht es um Spaltung und Zerstörung, nicht um Selbstverortung oder ein persönliches Bekenntnis. Es geht ihr auch nicht um eine konstruktive Auseinandersetzung mit Anerkennungsverhältnissen in der queeren Community.
Manipulative Statements von Rechtsradikalen, Faschist*innen oder ähnlichen Gruppierungen und Personen in der Presse aufzugreifen – auch in kritischer Absicht – bedeutet immer, mit einem zweischneidigen Schwert zu hantieren. Nimmt man die Äußerungen auseinander und entschärft sie somit, oder verschafft man ihnen so nur noch mehr Aufmerksamkeit, überschätzt die eigene Erklärungskraft? In der Auseinandersetzung mit Donald Trump mussten Journalist*innen entsetzt feststellen, wie wenig Einfluss ihr Pochen auf Wahrheit und Aufklärung am Ende hatte. Ob wir unsere Lektion gelernt haben? Wohl eher nicht.
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Progressive LGBTI bestanden in Reaktion auf die Weidel-Äußerung teilweise darauf, dass sie nicht einfach sagen könne, sie falle nicht in eine Kategorie, in die sie per definitionem eben doch fällt. Die besagt, vereinfacht: »queer« ist ein Sammelbezeichnung für alle, die von der heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Norm abweichen.
Kira Kramer, »FAZ«-Feuilleton-Redakteurin, griff den Konflikt auf und fragte genüsslich: »Denn ist es nicht gerade eines der zentralen Motive der queeren Bewegung, die Fremdzuschreibungen durch Selbstbezeichnungen ablösen zu wollen? Warum sollte Weidel sich queer nennen müssen?« Weidel liege völlig richtig, wenn sie sage, sie sei nicht queer. Die queere Bewegung tue gut daran, »auch Weidel dieses Selbstbestimmungsrecht zuzugestehen«. Auch wenn Kramer beteuert, die im Kern politischen Absichten hinter Weidels Äußerungen zu erkennen.
So zynisch geht Zusammenarbeit zwischen Liberalismus und Faschismus, so ging sie schon immer. Wir können uns auf den Punkt stellen, auf die unaufrichtigen Motive unserer Gegner*innen zu verweisen und alles Vorgebrachte als die giftige, braunblaue Brühe zu benennen, die sie unzweifelhaft ist. Ich persönlich aber bin ein Fan der Kraft der Selbstkritik – eine Selbstkritik, die uns helfen soll, unsere Ziele in Zukunft effektiver zu erreichen. Könnte es nicht sein, dass Weidels Pochen auf Selbstdefinition gegenüber der Fremdzuschreibung so eine Art rechtslibertäre Schwester linkslibertär-queeren Hochhaltens von Selbstbestimmung ist? Nicht dasselbe, aber eben ähnlich, verwandt? Hat Weidel nicht, provokativ mit Adorno gesprochen, recht, wenn sie sich ein Stück weit wehrt gegen die Gewalt, die Begriff, Kategorie, auf die Sache ausüben, hier: den so bezeichneten Menschen?
Es wäre freilich die ätzende Schwester, mit der man so wenig in Kontakt stehen wollte, wie möglich. Wegen der einem schon Tage vor dem nächsten Familientreffen flau im Magen wird, weil sich abzeichnet, dass sie sich wieder hart daneben benimmt. Sie wäre dann aber die Schwester, die es eben auch braucht, wenn man sich über sich selbst aufklären wollte – die Schwester, deren Verhalten uns unzweifelhaft von früh auf geprägt hat und die heute auch deshalb so ist, wie sie ist, weil wir sind und waren, wie wir nun mal sind. Die Herkunftsfamilie kann man sich nicht aussuchen.
Das kapitalistische Patriarchat propagiert die Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Individuums in einer Gesellschaft, die angeblich wie nach den Naturgesetzen eines Marktes funktionieren soll. Es ignoriert dabei geflissentlich, wie unfrei in ihm diejenigen sind, die nichts zu verkaufen haben außer ihrer Ware Arbeitskraft, und wie unfrei wir auch sind als Männer und Frauen, als fundamental ungleich einsortierte, in den Machtverhältnissen gebildete Wesen. Und doch wähnen wir uns als souveräne Subjekte, als Schmied*innen unseres eigenen Glücks. Die Crux ist: Wir müssen.
Als rechtslibertäre Partei tritt die AfD als eine Art schmieriger, kleinbürgerlicher Marktschreier dieser Ideen von Freiheit auf, vermarktet sich selbst als mutiger Self-Made-Man und verschweigt uns dabei, dass es bei Papa nicht nur Haus, Hof und Geschäft zu erben gab. Und: Dass schon die nächste Branchenkrise all das zunichte machen könnte, ganz ohne eigenes Zutun, ahnt, fürchtet und verleugnet er zugleich. So ist es auch mit der AfD-Führungsfigur Alice Weidel. Ohne ihr – aus diversen Gründen – zu nahe treten zu wollen: Der Drache, den die AfD-Chefin da so virtuos reitet, führt einen Speiseplan. Und auf dem ist ihr Name schon vorgemerkt.
Insbesondere die Bewegung für die Rechte transgeschlechtlicher Menschen, und darin insbesondere die Bewegung für die Rechte nichtbinärer Menschen, der ich angehöre, hat sich auf eine eigene Version von Selbstbestimmung als Gegenwehr gegen patriarchale Fremdbestimmung und Gewalt verpflichtet – vollkommen nachvollziehbar, wie ich finde. Wo uns Familie und Gesellschaft erklären, wer wir angeblich sind und wie wir angeblich fühlen, erklären wir: Geschlecht ist, als was ich mich identifiziere, wie ich von anderen gesehen und angesprochen werden möchte.
Manchmal bis hin zu: Ich selbst entscheide mein Geschlecht, nicht ihr! Redet mich gefälligst mit dem Neopronomen an, mit dem ich mich wohlfühle! Das Geschlecht eines Menschen lässt sich nicht am Aussehen, sondern nur an dessen Selbstdefinition erkennen! Frag nach! Don’t assume gender! Trans, nichtbinär, das ist heute, was mit »queer«, vor allem früher, eben auch gemeint war: Das Emanzipationsversprechen gegenüber einem so gewalttätigen Zwangssystem Geschlecht. Ich möchte daran festhalten. Aber machen wir dabei alles richtig?
Wenn es Alice Weidel also schafft, mit »Ich bin nicht queer« in der Öffentlichkeit einen Punkt zu landen – und zwar auch bei, sorry, objektiv queeren Menschen, wie sie selbst einer ist – verweist das vielleicht auch auf ein Problem in unseren eigenen Konzepten. Weidel will Entsolidarisierung, Spaltung: Homosexuelle sollen sich von transgeschlechtlichen Menschen, von »Gender« lossagen, sich still und demütig als sexuelle Anomalie der ansonsten geltenden Geschlechterordnung fügen. Und solange sie das nicht tun, ist es nur recht – so geht die Erzählung – auf beide, auf alle queeren Gruppen draufzuhauen.
Damit aber ein Spaltkeil dort Halt findet, wo man ihn schlagen will, braucht es Kerben, Risse, die schon da sind. Weidel hat natürlich mit allem, was sie sagt, unrecht. Statt aber demonstrativ maximale Distanz zwischen uns und unseren Feind*innen zu bringen, können wir auch fragen: Was verbindet uns eigentlich unfreiwillig mit denen, denen wir – zu Recht – möglichst fern sein wollen? Dann erkennen wir auch, welcher Weg noch zwischen uns und der erst noch zu verwirklichenden Selbstbestimmung liegt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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