Klimaproteste auf Rügen: LNG steht jetzt für »leider nicht geil«

Ende Gelände besetzt Gasrohre auf Rügen und protestiert mit lokalen Initiativen gegen fossile Energie

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein breites Protestbündnis um die Klimagruppe Ende Gelände will den Ausbau von LNG-Terminals auf Rügen stoppen.
Ein breites Protestbündnis um die Klimagruppe Ende Gelände will den Ausbau von LNG-Terminals auf Rügen stoppen.

Ende Gelände, ein Protestbündnis gegen den fossilen Kapitalismus, hat am Samstag Gasrohre besetzt, die im Hafengelände von Mukran auf Rügen gelagert werden. »Mega cool«, triumphiert Aktivistin Lou Winters, in einen für Ende Gelände charakteristischen weißen Maleranzug gekleidet, von dem riesigen Stapel dicker Pipelines herab. »Wir blockieren effektiv LNG-Infrastruktur.« Mit den besetzten Rohren soll ihren Angaben nach eine neue 50 Kilometer lange Pipeline von Mukran zum Industriehafen Lubmin bei Greifswald verlegt werden.

Mit der Aktion protestieren die Klimaaktivist*innen gegen diese Pipeline und den Bau zweier damit verbundener schwimmender Terminals zum Import von LNG (Flüssigerdgas) durch den Konzern Deutsche Regas, die im Winter im Hafen von Mukran in Betrieb gehen sollen. Die Demonstrierenden übersetzen LNG in ihren Sprechchören mit »leider nicht geil«, denn »LNG richtet krasse Umweltschäden an«, sagt Aktivistin Nilo zu »nd«. Die Energiegewinnung aus fossilem Gas ist extrem klimaschädlich und die neue Pipeline würde auf Grund des Ökosystems Greifswalder Bodden gelegt werden.

Das bringt nicht nur die angereisten Klimaaktivist*innen, sondern auch viele Einwohner*innen Rügens auf die Palme, die Naturzerstörung durch die Terminals fürchten und damit auch Einbußen für den Tourismus. Deshalb hat sich Ende Gelände für den Protest gegen LNG mit der Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen und lokalen Umweltorganisationen wie dem Naturschutzbund (Nabu) und Fridays for Future verbündet. »Der Tourismus lebt von der Natur. Die Menschen kommen wegen der Wälder, dem Meer und dem Fisch«, sagt ein Sprecher von Lebenswertes Rügen zu Beginn einer Demonstration in Sassnitz.

»Die Gasterminals bedrohen die Existenzgrundlage auf Rügen: Umwelt und Arbeitsplätze«, bringt es Stefanie Dobelstein von der Bürgerinitiative auf den Punkt. Die Pipeline würde im Greifswalder Bodden den Lebensraum zahlreicher seltener Tier- und Pflanzenarten gefährden, unter anderem den des ohnehin bereits gefährdeten Ostseeherings. Auch über den Lärm, den LNG-Tanker verursachen, gab es in den vergangenen Monaten bereits zahlreiche Beschwerden. »Ich kriege das Kotzen, wenn ich den Tanker sehe. Man hört das Brummen den ganzen Tag«, berichtet ein Rügener.

Gemeinsam ziehen die Initiativen, Verbände und Aktivist*innen im Anschluss an die Kundgebung mit rund 700 Personen in Richtung Mukran. Nach etwa drei Stunden brechen etwa 200 Aktivist*innen nach rechts aus der vorgegebenen Demoroute aus, dringen in das Hafengelände ein und klettern dort auf die Rohre. Ein anderer Block versucht dasselbe auf der anderen Seite, wird jedoch von der Polizei gestoppt, bevor die Aktivist*innen dort ebenfalls Gasinfrastruktur besetzen können, weshalb sie schließlich zur angemeldeten Route zurückkehren.

Bei dem Gas, das hier bald schon nach Deutschland importiert werden soll, handelt es sich großteils um solches aus den USA, das per Fracking gewonnen wurde, eine Methode, bei der besonders viele Treibhausgase wie Methan freigesetzt werden. »Vor Ort werden dabei ganze Ökosysteme zerstört und das Grundwasser vergiftet«, kritisiert Ende-Gelände-Sprecherin Charly Dietz. Während die deutschen Konzerne davon profitierten, seien es in den USA »besonders Communities of Color, die die verheerenden Umweltfolgen tragen müssen«. Das sei ein neokoloniales System der Ausbeutung.

»Als Entschuldigung wird der Krieg Russlands gegen die Ukraine instrumentalisiert«, sagt Aktivistin Nilo – tatsächlich soll das LNG bisherige russische Erdgaslieferungen ersetzen. Das wäre jedoch gar nicht nötig, wie Ende Gelände und die Bürgerinitiative am Vortag des Protests bei einer Pressekonferenz zusammen mit Wissenschaftler*innen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) klarmachen.

»Das fossile LNG-Projekt Mukran ist energiewirtschaftlich nicht notwendig und wird nicht dringend für die Versorgungssicherheit im Winter benötigt«, sagt Christian von Hirschhausen. Er ist Mitautor einer Studie des DIW und der Technischen Universität Berlin, die belegt, dass das klimaschädliche Frackinggas eigentlich überflüssig wäre, somit also eine Überkapazität schaffen und eine nachhaltige regionale Wirtschaftsentwicklung auf Rügen eher behindern würde. Auch Hirschhausen fordert deswegen, den Ausbau zu stoppen »und die verfügbaren Finanzmittel für energiewende-kompatible Projekte verwenden«.

Die DUH hat bereits mehrere Klagen gegen den Bau der LNG-Terminals eingereicht, unter anderem wegen der massiven Schäden für sensible Ökosysteme in der Ostsee, wie Energie- und Klimaschutzreferentin Milena Pressentin erläutert. Für Charly Dietz ist deshalb klar: »Es ist ein Klimaverbrechen, jetzt noch am Ausbau fossiler Infrastruktur festzuhalten. Hier auf Rügen zerstören die deutsche Regierung und deutsche Energiekonzerne unsere Zukunft.«

Auf dem Biohof Lebensgut Frankenthal bei Samtens, auf dem die Pressenkonferenz stattfand, hatte Ende Gelände außerdem ein Klima- und Vernetzungscamp mit verschiedenen Workshops organisiert. »Nicht nur die Klimagerechtigkeitsbewegung und die lokalen Bürger*inneninitiativen sind hier noch mal enger zusammengerückt, wir haben uns auch mit den Aktivist*innen auf der anderen Seite des Atlantiks vernetzt«, berichtet Camp-Sprecherin Jule Fink. Sowohl die Zusammenarbeit als auch die Besetzung seien »ein riesiger Erfolg«, so Lou Winters von der Spitze des Pipeline-Stapels.

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