- Politik
- Johann G. und Lina E.
Nazis helfen Staat bei Fahndung
Bundeskriminalamt sucht öffentlich nach untergetauchtem Leipziger Linksautonomen
Die Plakate hängen bundesweit an Bahnhöfen, teils flimmert das Konterfei des Gesuchten überlebensgroß über digitale Bildschirme: Seit Montag suchen das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Sachsen in einer öffentlichen Fahndung nach dem Leipziger Linksautonomen Johann G. Dieser sei »dringend verdächtig, sich als Mitglied einer kriminellen Vereinigung an mehreren politisch motivierten körperlichen Übergriffen beteiligt zu haben«, heißt es in der entsprechenden Ausschreibung, in der auch eine Belohnung von 10 000 Euro ausgelobt wird. Dass die Attacken gegen Nazis gerichtet waren, wird nicht erwähnt. Neben einem Porträtfoto des Gesuchten wurde auch ein Bild seiner Fingerknöchel veröffentlicht, auf die der Spruch »Hate Cops« tätowiert ist.
Der 30-jährige G. ist der Lebensgefährte von Lina E., die im Juni vom Oberlandesgericht Dresden zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden war. Sie und drei Mitangeklagte wurden der Bildung einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden, deren Ziel es gewesen sei, Rechtsextreme zu überfallen und schwer zu verletzen. Unter anderem geht es um Angriffe auf den Eisenacher Neonazi Leon R. und dessen Kneipe im September und Dezember 2019. Bei diesen und weiteren Taten soll der, wie es im Prozess stets hieß, »gesondert verfolgte G.« neben E. eine führende Rolle gespielt haben; an einem Tatort fand sich eine DNA-Spur von ihm.
Allerdings saß G. in Dresden nicht mit auf der Anklagebank – weil er untergetaucht ist. Der einstige Theologiestudent war 2018 zu einer Haftstrafe verurteilt worden; es ging um Angriffe auf Legida-Demonstranten und Steinwürfe auf ein Gerichtsgebäude in Leipzig. Im Herbst 2019 kam er frei, Anfang 2020 soll er abgetaucht sein. Ermittler vermuteten ihn zwischenzeitlich in Thailand. Zuletzt soll er mutmaßlich in diesem Februar an Angriffen von Linksautonomen auf Teilnehmer des rechten Szenetreffens »Tag der Ehre« in Budapest beteiligt gewesen sein. Die dortigen Behörden fahndeten seither nach ihm, nun zogen die deutschen nach.
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Enthusiastisch geteilt wird der Fahndungsaufruf in der rechtsextremen Szene. Die Freien Sachsen frohlockten, »endlich« werde G. gesucht, und lobten ein zusätzliches »Kopfgeld« von 5000 Euro aus. In Kommentarspalten wird hämisch gefragt: »Tot oder lebendig?« Die Thüringer Linke-Abgeordnete Katharina König-Preuss merkte an, bekannte Neonazis wie Thorsten Heise, der Rechtsrocker Lunikoff oder das Szenelabel PC Records aus Chemnitz beteiligten sich; zudem werde der Aufruf von vielen Ex-Mitgliedern des Thüringer Heimatschutzes geteilt, aus dem das NSU-Terrortrio hervorging. »Gibt es irgendeinen Fascho, der das BKA und LKA Sachsen noch nicht bei ihrer Fahndung unterstützt?«, fragte König-Preuss sarkastisch im Kurznachrichtendienst X.
G. soll einer von bundesweit 20 untergetauchten Linksextremen sein, hieß es in einem umfangreichen Dossier, das kurz vor der öffentlichen Fahndung auf tagesschau.de erschien. Das seien »so viele wie seit Zeiten der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) nicht mehr«. Zitiert wird eine interne Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom Frühjahr 2020, das die »Herausbildung terroristischer Strukturen im Linksextremismus« zu erkennen glaubt. Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) beklagte im Interview »eine Art Selbstjustiz« in der Szene, die dem Gewaltmonopol des Staates zuwider laufe. Mit dessen Gefährdung hatte die Bundesanwaltschaft im Prozess gegen Lina E. begründet, warum sie das Verfahren an sich gezogen hatte. Dass die Hauptangeklagte seit ihrer Verhaftung im November 2020 in Haft sitzen musste, begründete die Anklage wiederum mit dem Untertauchen ihres Lebensgefährten: Die Beziehung sei »in der Legalität nicht zu leben«, es bestehe hohe Fluchtgefahr. Das Gericht setzte Lina E. indes gegen Auflagen auf freien Fuß. Daran wird sich nichts ändern, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist. Bisher liegt noch nicht einmal die schriftliche Fassung vor. Eine Gerichtssprecherin sagte auf Anfrage, die Frist dafür laufe am 23. November ab.
Die groß angelegte Fahndung nach Johann G. sorgt für scharfe Kritik. Martina Renner, Thüringer Bundestagsabgeordnete der Linken, sagte dem »nd«, sie kenne Vergleichbares weder aus Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zu rechtem Terror noch vom Bundeskriminalamt bei der Suche nach untergetauchten Neonazis. »Hier wird ein Staatsfeind Nr. 1 kreiert«, sagte Renner. Die extreme Rechte nehme »die Vorlage auf, legt symbolisch Geld drauf und ruft zur Lynchjustiz auf«. All das »war absehbar und offenbar im Preis inbegriffen«, so Renner.
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