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Enteignungsinitiative: »Wir nehmen Heft des Handelns in die Hand«
Yannik Böckenförde, Sprecher von Deutsche Wohnen und Co. enteignen, erklärt, warum die Initiative einen neuen Volksentscheid will
Der Enteignungsvolksentscheid liegt zwei Jahre zurück. Jetzt haben Sie angekündigt, ein weiteres Volksbegehren in die Wege zu leiten. Wie ist es zu diesem Schritt gekommen?
Vielleicht muss man da von hinten anfangen. In den zwei Jahren seit dem erfolgreichen Volksentscheid, für den 59,1 Prozent der Wähler*innen gestimmt haben, haben wir alles getan, um dafür zu sorgen, dass es zu einer konkreten Umsetzung kommt. Wir sind nun an einem Punkt, an dem wir nicht mehr davon ausgehen, dass der Senat beabsichtigt, seine demokratieschädigende Haltung aufzugeben und tatsächlich ein Vergesellschaftungsgesetz in die Wege zu leiten. Die Aussagen von Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sprechen da Bände. Er sagt ja ganz offen, dass es mit ihm keine Umsetzung geben wird. Nach längeren Überlegungen sind wir als Initiative zum Schluss gekommen, dass es Zeit ist, einen neuen Weg einzuschlagen. Dieser Weg heißt Gesetzesvolksentscheid. Am Anfang dieses Wegs steht die Erarbeitung eines eigenen, echten Vergesellschaftungsgesetzes. Und damit gehen wir nach diesen Jahren, in denen wir viel appelliert haben, in die Offensive und nehmen das Heft des Handelns selbst in die Hand.
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Ganz ausgeschlossen ist eine Vergesellschaftung von Senatsseite aus aber nicht. Der Senat will künftig ein Rahmengesetz erarbeiten, das dann vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden soll.
Das in Aussicht gestellte Rahmengesetz ist reine Verschleppungstaktik, die nicht darauf zielt, tatsächlich zu einer Umsetzung der Vergesellschaftung zu gelangen. Ganz im Gegenteil: Das wäre ein vollkommen abstraktes Gesetz, bei dessen Vorlage auch vor dem Bundesverfassungsgericht keine substanziellen Antworten zu erwarten sind. Der konkrete Gegenstand, die Vergesellschaftung von Wohnraum, wäre gar nicht Gegenstand der Überprüfung. Antworten auf die tatsächlich noch zu klärenden Fragen der konkreten Umsetzung würde es dadurch nicht geben, aber das ist auch gar nicht das Ziel des Senats.
Was sind die nächsten Schritte?
Wir werden in den nächsten Monaten in Zusammenarbeit mit einer Kanzlei, die auf Verfassungsrecht spezialisiert ist und viel Erfahrung in der Begleitung legislativer Vorhaben hat, ein Gesetz erarbeiten. Dabei werden wir von einem wissenschaftlichen Beirat unterstützt.
Aus welchen Personen wird sich dieser Beirat zusammensetzen?
Die Personalien werden wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekannt geben. Klar ist, dass wir möglichst interdisziplinäre Expertise aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft abbilden werden. Das heißt, neben der rein rechtlichen Perspektive wollen wir unter anderem auch Fachwissen aus Ökonomie und Stadtforschung einbinden.
Werden die Mitglieder der Expertenkommission, die im Juni ihren Abschlussbericht zur Verfassungsmäßigkeit der Enteignungen vorgelegt hat, dort auch wieder auftauchen?
Wir freuen uns, wenn die ehemaligen Mitglieder der Expert*innenkommission uns ihr Fachwissen zur Verfügung stellen, und werden hierfür auf sie zugehen. Wir können auf ein starkes Bündnis bauen und haben starke Partner*innen, mit denen wir jeden Stein dreimal umdrehen werden. Wir planen im Verlauf des kommenden Jahres einen Entwurf vorzulegen.
Wann wird dann am Ende abgestimmt?
Seriöse Angaben dazu lassen sich zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht machen. Volksgesetzgebung ist ein mehrstufiger, komplexer Prozess. Uns ist wichtig, dass wir ein wasserdichtes Gesetz haben. Dafür werden wir uns die Zeit nehmen und nicht hetzen lassen. Man muss aber auch sagen, dass wir nicht bei null anfangen: Die Debatten um den Grundgesetzartikel 15 sind heute an einem ganz anderen Punkt, der Abschlussbericht der Expert*innenkommission gibt uns wichtige Leitlinien an die Hand. Unser Credo war schon immer: Vergesellschaftung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wann genau am Ende abgestimmt wird, hängt auch davon ab, welche Steine der Senat uns in den Weg zu legen versucht.
20 000 Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens und dann nochmal 170 000 für die nächste Stufe sind trotzdem eine große Herausforderung.
Wir sind zuversichtlich, dass die Berliner*innen auch ein weiteres Mal für die Vergesellschaftung unterschreiben. Der erfolgreiche Volksentscheid 2021 war das Ergebnis langer Vorarbeit durch eine breite Mieter*innenbewegung, die Kieze und Häuser vernetzt. Auf dieses Fundament können wir auch dieses Mal bauen. Dazu kommt: Die letzten zwei Jahre haben uns tragischerweise eher noch mehr Argumente an die Hand gegeben. Allein Anfang dieses Jahres sind die Angebotsmieten innerhalb von drei Monaten um fast 30 Prozent gestiegen. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wohnungsunternehmen im Wohnungsbündnis des Senats haben sich derweil in Luft aufgelöst. Vonovia und Covivio scheren sich nicht um die Absprachen und erhöhen die Mieten entgegen den Vereinbarungen, Adler hat sich ganz vom Bündnis verabschiedet.
So sichtbar wie vor zwei Jahren ist die Mietenbewegung heutzutage aber nicht mehr.
Wenn ich mir anschaue, wie viele kleine und große Initiativen sich in den Kiezen auf verschiedensten Wegen für die Interessen von Mieter*innen einsetzen, mache ich mir keine Sorgen. Auch wenn es vielleicht so sein mag, dass es zuletzt keine großen Demonstrationen gab, denke ich, dass wir in Berlin immer noch eine der stärksten Mieter*innenbewegungen hinter uns haben. Und das macht einem auf jeden Fall Mut.
Aber Sie wollen doch nicht abstreiten, dass sich der politische Wind ein wenig gedreht hat. Die CDU, die sich eindeutig gegen Enteignungen gestellt hat, hat bei der Wiederholungswahl 28 Prozent geholt.
Das stimmt, aber die Stärke unseres Volksentscheids war schon immer, dass es ein Vorhaben war, das nicht nur in einer linken Bubble verhandelt wurde, sondern von der Stadtgesellschaft in seiner ganzen Breite getragen wurde. Wir konnten viele Leute auf der Straße erreichen, die sonst keinerlei Berührungspunkte mit Politik haben. Ich denke, das hat den einfachen Grund, dass wir eine Lösung für ein Problem bieten, das in Berlin mehr als 80 Prozent der Menschen betrifft, während die jetzige Regierung sich im Nichtstun übt.
Sie würden die Wohnungsunternehmen für die Wohnungen, die vergesellschaftet werden sollen, gerne unter Marktwert entschädigen, aber die Stadtentwicklungsverwaltung hält das für unmöglich.
Der Bericht der Expert*innenkommission gibt uns da ganz klar recht. Die Expert*innen sind sich einig, dass eine Entschädigung deutlich unter Marktwert möglich ist. Sorgen machen wir uns da nicht. Für uns bleibt das Faire-Mieten-Modell der Ausgangspunkt. Das heißt, die Entschädigungssumme orientiert sich nicht daran, was die Immobilienkonzerne gerne hätten, sondern an dem, was für Erträge bei fairer Miethöhe aus den vergesellschafteten Beständen erzielt werden können.
Sie haben schon erwähnt, dass viele Wohnungsunternehmen gerade die Mieten erhöhen. Können Sie unter den Umständen überhaupt garantieren, dass bei den vergesellschafteten Wohnungen die Miete gehalten werden kann?
Wenn man sich anschaut, welche Anteile der Miete in die Milliardengewinne von Immobilienkonzernen wandern, dann wird klar, dass wir die Mieten durchaus stabilisieren und die Angebotsmieten senken können, wenn wir aufhören, die Gewinne der Konzerne zu finanzieren. Der Profitdruck fiele weg, es muss nichts mehr an die Aktionäre ausgeschüttet werden.
Aber die landeseigenen Wohnungsunternehmen, die keinen Gewinn erwirtschaften müssen, erhöhen gerade ja auch die Mieten.
Die Landeseigenen reagieren in geringem Umfang von bis zu drei Prozent auf die Preissteigerungen der letzten zwei Jahre. Das ist durch den Senat stark reguliert und nicht vergleichbar mit der Profitmache privater Konzerne. Auch das Aussetzen von Räumungen in Krisenzeiten hat beispielsweise zu diesen Regulierungen gehört. Wir setzen mit unserem Konzept der Anstalt öffentlichen Rechts auf noch umfangreichere Mitbestimmungsmöglichkeiten durch die Mieter*innen.
Wäre das Geld, das für die Enteignungen nötig ist, nicht besser in Neubau investiert?
Wir als Initiative haben uns nie gegen Neubau ausgesprochen. Aber wir müssen auch sehen, dass Neubau allein offensichtlich nicht dazu führt, dass es leistbare Mieten in dieser Stadt gibt. Im Moment ist der Neubau ja ohnehin eingebrochen, gerade bei den Akteuren, die unser Vorhaben betrifft. Wenn 240 000 Wohnungen wieder in die Hand der Berliner*innen kommen, dann ist dies langfristig die beste Lösung für Berlin, um der Mietenkrise ein Ende zu bereiten. Gleichzeitig haben wir dann einen neuen gemeinwirtschaftlichen Akteur, der zukünftig Neubauprojekte mit leistbaren Wohnungen realisieren könnte.
Yannik Böckenförde ist Mieter, aktiv bei Deutsche Wohnen und Co. enteignen und aktuell einer der Sprecher*innen der Kampagne. Die seit 2018 aktive Initiative hatte den erfolgreichen Volksentscheid von 2021 in die Wege geleitet.
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