- Kultur
- Rechtsruck
»Wir haben aus unseren Massenverbrechen nichts gelernt«
Ein Wort zum Tag der Deutschen Einheit von Niklas Frank, der einen Furor democraticus gegen rechts vermisst
Am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit ist auch über zunehmenden Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus sowie offenbar nach wie vor unbewältigte Vergangenheit zu reden. Herr Frank, was sagen Sie dazu, dass nach der Aufregung um Hubert Aiwanger sich die Freien Wähler steigender Zustimmungswerte erfreuen? Alles umsonst? Alle Aufklärung für die Katz?
Man sieht daran nur, was ich uns Deutschen unterstelle: Wir sind ein mitleidsloses Volk! Da ist nur der Ärger, dass man den Aiwanger wegen einer Jugendsünde angreift. Er gilt als Opfer, stilisiert sich auch als solches und überhaupt: Die freie Presse, die solche »Jugendsünden« verpetzt, gehört abgeschafft! So ist der Tenor. Die Anhänger von Freien Wählern und AfD wollen weg von der Demokratie.
Täuscht der Eindruck, dass rechte, konservative Kräfte bis hin zu Rechtsextremen regelrecht auf Triumphmarsch sind, vordringen bis in die Mitte der Gesellschaft? Wenn Friedrich Merz die Entscheidung von Markus Söder, Aiwanger im Amt zu belassen, als »bravourös« bezeichnet, dann klingt das wie ein Siegestremolo. Dann wirkt das wie eine Klatsche gegen all jene, die Aiwangers politisches Denken ernsthaft unter die Lupe nehmen wollen.
Merz’ Auftritt war furchtbar, keine Frage. Was mir aber quer durch Deutschland fehlt, ist dieser Furor democraticus, diese demokratische Wut. Ich denke mir: So muss es vor Beginn von Hitlers Herrschaft gewesen sein. Diese wachsende Abwehr gegen die Weimarer Demokratie. Hinzu kommen demokratische Parteien, die täglich an unserer Demokratie knabbern. Diese katastrophale Müdigkeit hat offensichtlich auch die eine Million echter Demokraten erfasst, die ich in unserem 84-Millionen-Volk vermute. Alle anderen sind inzwischen eine Verschiebemasse in Richtung Diktatur.
»Zum Ausrotten wieder bereit?«, lautet Ihr neues Buch. Eine derbe Provokation, oder?
Niklas Frank, geboren 1939, ist der jüngste Sohn von Hans Frank, dem »Generalgouverneur« im deutsch-besetzten Polen, als »Schlächter von Polen« und »Judenschlächter von Krakau« in die Geschichtsbücher eingegangen, hingerichtet in Nürnberg im Oktober 1946. Niklas Frank, der zwei Jahrzehnte als Journalist beim »Stern« arbeitete, hat sich der radikalen Aufklärung über das NS-Regime verschrieben. In zwei Büchern rechnete er mit seinen Eltern ab (»Der Vater« und »Meine deutsche Mutter«), um dann mit »Bruder Norman!« die schonungslos-kritische Trilogie über seine Familie zu vollenden. Zur bevorstehenden Frankfurter Buchmesse wird ein neues Buch aus seiner Feder erscheinen: »Zum Ausrotten wieder bereit? Wir deutschen Antisemiten« (J.H.W. Dietz).
Ich drücke nur meine Riesenangst aus. AfD und Freie Wähler begeben sich auf einen Weg, auf dem es mein Vater bis zum Massenmörder geschafft hat. Papa ante portas! Seine widerliche, menschenverachtende Ideologie sehe ich vor allem in der AfD wieder aufblühen. Fürs Buch hab ich in Reime gefasst, was uns blüht, beispiesweise: »Warte, warte nur ein Weilchen,/ AfD kommt auch zu Dir./ Mit dem rassereinen Beilchen / und formt Rassefleisch aus Dir./ In die Hirne spuckt sie Lügen, / aus dem Hintern furzt sie Tod. / Dein’ Charakter wird sie biegen, / Rache ist dann Dein Gebot«.
Harter Tobak!
Nein! Prophetische Wahrheit. Und mein Vater grinst sich eins.
Sind die »Freien Wähler«, wie wir sie jetzt in Bayern erleben, eine Vorstufe zur AfD?
Die Freien Wähler haben mich bisher nie interessiert. Aiwanger war für mich – vor allem dank seiner Sprechweise – ein absurder Hallodri auf bayerischem Politiker-Parkett. Und da wimmelt es eh von seinesgleichen. Durch sein Verhalten nach Entdeckung des antisemitischen Pamphlets hat sich dieser Hallodri allerdings neben der AfD als Ko-Totengräber unserer Demokratie geoutet. Die zwei Parteien werden bald gemeinsam auf der Regierungsbank hocken und eine der ersten Verordnungen meines Vaters als bayerischer Justizminister wieder aktivieren: Jüdische Anwälte dürfen Gerichte nicht mehr betreten. Sie werden es nur durch den Zusatz ergänzen: »Gilt auch für Migranten und solche von unreiner Abstammung.«
Sie glauben wirklich, dass eine eventuelle AfD-Regierung in Richtung Ihres Vaters agieren würde?
Aber mit Genuss wird sie das tun! Sicher wird sie nicht gleich zum Massenmord an Migranten schreiten. Aber sie wird ganz sicher als erstes unsere freie unabhängige Presse beseitigen, ebenso die unabhängige Justiz. Eine von der AfD geführte Bundesregierung wird umgehend auch so etwas Ähnliches wie das »Gesetz zur Wiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums« erlassen. Damit schließt die AfD all jene aus, die ihr rassenideologisch nicht in den Kram passen, sprich Juden, Migranten, Homosexuelle. Hinzu kommt dann noch ein Gummi-Paragraf, der alle Personen betrifft, die die »öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden«.
Das wäre so etwas wie ein Staatsstreich. Das befürchten Sie tatsächlich? Oder, Entschuldigung, steckt dahinter vielleicht nicht eher Alterspessimismus?
Ich bin 84 Jahre alt und meine Haxen wollen schon länger nicht mehr so wie mein Hirn. Doch dieses Hirn hat die ganze Geschichte der Bundesrepublik mit großer Aufmerksamkeit und noch größerer Faulheit – was meine eigenen demokratischen Aktivitäten betrifft – erlebt …
Also ohne Furor democraticus?
Genau! Als Journalist konnte ich mich immer hochnäsig dahinter verstecken, dass man in diesem Beruf neutral sein müsse.
Ihre Wut hat zugenommen?
Ja. Weil wir die beste Demokratie, die wir je hatten, in den Untergang gleiten lassen. Die Kürzel AfD sind für mich Aus für Demokratie oder Abgrund für Deutschland. Ich sehe Deutschland durch die gehenkten Augen meines Vaters, beobachte, wie sie wieder anfangen zu leuchten und wie sie strahlen, wenn sie jetzt zum Beispiel Aiwangers Äußerungen über angebliche Kampagnen gegen ihn sehen. Aiwanger zeigt meines Vaters Mitleidslosigkeit.
Hubert Aiwanger hat ein tweet abgesetzt: »Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los.« Und im Interview mit der »Welt« sagte er: »In meinen Augen wird hier die Shoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht.«
Das ist eben genau das Widerliche. Da entlarvt er sich wirklich. Null Demokratie im Hirn, null Mitleid mit unseren Opfern zwischen ’33 und ’45. Ein absolut mitleidsloser Mensch, dem die Demokratie ebenso schnurz ist wie seiner großen Schwesterpartei AfD.
Wie sehen Sie die sogenannte Auseinandersetzung der demokratischen Parteien mit der AfD?
Ganz schlimm. Die AfD treibt sie doch vor sich her in Richtung Diktatur! Keiner von denen ist offenbar so wütend wie ich jeden Tag. Die sind für mich alle so lahm. Es wirkt auf mich so, als hätten sie schon aufgegeben. Für mich findet gerade eine tektonische Verschiebung statt: Die antisemitische und rassistische Platte schiebt sich langsam, aber stetig über die liberale, demokratische. Dabei entstehen natürlich noch kleine demokratische Beben, aber insgesamt gibt es kein Entkommen. Kein Tag vergeht, an dem ich es nicht merke: Da knabbert wieder eine demokratische Partei an der Demokratie. Es ist so, als ob alle erschöpft sind.
Erschöpft von der Demokratie?
Ja. Es fehlt hier wirklich diese heiße Liebe zu ihr.
War sie je da?
Zumindest hat die Demokratie bis jetzt funktioniert. Aber nie bis ins Herz hinein. Denn das deutsche Herz grollt seit Kriegsende: »Immer wieder dieser blöde Holocaust!« Es gibt niemanden hierzulande – nicht mal die Rechtsradikalsten –, die nicht Fotos im Kopf tragen, von Leichenhaufen, die mit Caterpillars in ein Massengrab geschoben werden, von entsetzlich abgemagerten Überlebenden aus Auschwitz und anderen KZs. Diese Fotos haben auch Aiwanger, Chrupalla und Weidel im Kopf. Ebenso wie Olaf Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck und Annalena Baerbock, die gerade an der Macht sind. Doch wie behandeln wir die Flüchtlinge, die es bis zu uns geschafft haben? Wie damals die Juden! Null Empathie! Wir haben aus unseren Massenverbrechen nichts gelernt. Jetzt seh’ ich meinen Vater lebhaft zustimmen. Wie sagte er doch: »Wir sind uns klar, dass dieser Mischmasch asiatischer Abkömmlinge am besten wieder nach Asien zurück latschen soll, wo er hergekommen ist.« Und wenn das nicht klappt, hilft man eben nach, wie mein Vater es für die 3,5 Millionen Juden im Generalgouvernement erfolgreich gefordert hatte: »Wir können sie nicht vergiften, werden aber doch Eingriffe vornehmen können, die irgendwie zu einem Vernichtungserfolg führen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.