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Mehr Anerkennung und Schutz für Pilze
Naturschutzgesetze kennen oft nur Pflanzen und Tiere
Wenn von nicht menschlichen Lebewesen oder der natürlichen Umwelt auf dem Planeten die Rede ist, fällt oft die Begriffskombination »Flora und Fauna«, also Pflanzen- und Tierreich. Seit Jahren weisen jedoch Naturschutzorganisationen darauf hin, dass im allgemeinen Sprachgebrauch, und nicht nur dort, das Reich der Pilze fehlt.
Flora und Fauna finden sich in den Naturschutzgesetzen der Staaten wieder. Nur Pilze sucht man oft vergeblich. Sie werden meistens den Pflanzen gleichgestellt, was ihrer ökologischen Bedeutung in keiner Weise gerecht wird. Deshalb brauchen Naturschutzgesetze ein drittes »F«: das der Funga!
Das meint jedenfalls die chilenische Fungi Foundation, die sich weltweit dafür einsetzt, dass Pilze in den nationalen und internationalen Naturschutzgesetzen ihren angemessenen Platz finden. Die Fungi Foundation ist eine gemeinnützige Organisation, die sich dem Schutz von Pilzen widmet. Gegründet wurde die Organisation von der Mykologin Giuliana Furci, der heutigen Geschäftsführerin.
Als Wissenschaftlerin sucht und beschreibt Furci Pilzarten und untersucht ihre Rolle im jeweiligen Habitat oder auch im gesamten Ökosystem einer Region. Im Jahr 2010 schlug sie zusammen mit anderen Umweltschutzorganisationen der chilenischen Regierung vor, Pilzen in den landeseigenen Naturschutzgesetzen einen expliziten Rang zu geben, der ihrer Bedeutung im Ökosystem gerecht wird. Der Antrag wurde genehmigt, und Chile ist das erste Land, das Pilze gesetzlich schützt.
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Wenig expliziter Schutz für Pilze
Mittlerweile gibt es mehrere weitere Staaten, die in ihren Naturschutzgesetzen Pilze gleichrangig mit Tieren und Pflanzen behandeln: Australien, Brasilien, Island oder auch Estland und Litauen. In deutschen und anderen europäischen Naturschutzgesetzen finden Pilze keine Erwähnung und werden dort den Pflanzen gleichgestellt.
Interessant ist die Situation in Österreich. Hier unterscheidet sich die gesetzessystematische Behandlung der Pilze maßgeblich in den Bundesländern: In Kärnten gelten die Bestimmungen von Pflanzen auch für Pilze, in Niederösterreich werden Pilze ausdrücklich neben Pflanzen und Tieren erwähnt, eine umfassende Aufnahme von Pilzen einschließlich einer Begriffsdefinition findet sich in den Naturschutzgesetzen der Steiermark.
In internationalen Naturschutzabkommen – das Wichtigste ist das Washingtoner Artenschutzabkommen – finden Pilze keinerlei Erwähnung. Auch im »Übereinkommen über die biologische Vielfalt« von 1992 bleiben Pilze unerwähnt. Die wenigen Beispiele zeigen, wie schlecht es um den gesetzlichen Schutz von Pilzen bestellt ist. Diesen Schutz zu verbessern, dafür kämpfen Giulina Furci und ihre Fungi Foundation.
Der Begriff Funga ist ein Kunstwort, denn die lateinisch korrekte Fassung im Plural lautet Fungi. Doch Furci wollte eine griffige Bezeichnung, analog zu Fauna (Tiere) und Flora bzw. Planta(e) (beides bedeutet Pflanze(n)) – die Funga. »Durch Sprache können wir Veränderungen auslösen«, argumentiert Furci und führt weiter aus: »Wenn wir uns auf den Schutz von Pilzen konzentrieren, können wir ganze Lebensräume schützen.« In anderen Worten: Der Schutz eines Pilzhabitats umfasst automatisch den Schutz der gesamten Lebensgemeinschaft inklusive der Pflanzen und Tiere darin.
Es stellt sich natürlich die Frage, warum man Pilze in den Naturschutzgesetzen gleichwertig zu Pflanzen und Tieren stellen soll. Zunächst sind Pilze keine Pflanzen. Sie sind auch keine Tiere, wiewohl sie einige Eigenschaften von Pflanzen und Tieren in sich vereinigen: Von Tieren sind es etwa die Atmung und der Aufbau der Zellwände aus Chitin, das sonst nur bei den Gliederfüßern wie Krebsen, Spinnen und Insekten vorkommt – nur ganz wenige Pilzarten wie der Echte Mehltau (Erysiphales), einige Penicillium- oder Aspergillus-Arten besitzen Zellwände aus Cellulose. An Pflanzen erinnert die Unfähigkeit der Pilze zur aktiven Bewegung.
Im Jahr 1969 war es der Ökologe David Whittaker, der das biologische Klassifikationsmodell erweiterte: Er schlug ein fünfteiliges Klassifikationsmodell vor, in dem die Pilze ein eigenes Reich bilden.
Globale Müllabfuhr
Rundheraus und kurz gesagt: Gäbe es keine Pilze, gäbe es auch nicht die Welt, wie wir sie heute kennen. Pilze räumen buchstäblich den Dreck weg, den Abermilliarden von Organismen auf der Welt erzeugen und hinterlassen – vom faulen Apfel in der Obstschale über den toten Mammutbaum bis zum Elefantenkadaver! Das ist ihre Hauptaufgabe in irdischen Ökosystemen.
Die Besonderheiten der Pilze fangen schon bei ihrer Herkunft an: Die ältesten bekannten Fossilien von Mikroorganismen sind etwa 3,5 Milliarden Jahre alt. Kurz danach entstanden die ersten Pflanzen, bei denen es sich aber um Wasserbewohner handelte. Die ersten Landpflanzen sind erst sehr viel später nachweisbar und etwa 550 Millionen Jahre alt. Es klafft also eine gewaltige Lücke zwischen den ersten Algen und den ersten Landpflanzen. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Pflanzen noch nicht in der Lage waren, Nährstoffe zu finden. Die waren fest im Gestein gebunden. Was Wissenschaftler aber nachweisen konnten, waren die ersten Pilze.
Die ältesten bisher bekannten fossilierten Pilzhyphen stammen aus australischen und südafrikanischen Gesteinen des Proterozoikums, einer geologischen Ära, die vor etwa 2,4 bis 2,3 Milliarden Jahren begann und vor etwa 541 Millionen Jahren endete.
Dass es sich wirklich um Pilze handelte und nicht um andere Organismen, wurde mithilfe von Markern festgestellt, die an Chitin in den Fossilien binden. Das Exoskelett der Gliedertiere besteht aus diesem Molekül, doch schon viel früher war Chitin eine Zellwandkomponente der Pilze. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass zuerst die Pilze den »Landgang« wagten. Und nur Pilze waren – und sind – in der Lage, aus Gesteinen Nährstoffe freizusetzen. Als diese Nährstoffe frei verfügbar waren, konnten auch Pflanzen das Land erobern.
Es hat nicht lange gedauert, bis sich Pilze und Pflanzen zusammentaten zu einer Gemeinschaft, den Flechten. Bei diesen Organismen handelt es sich um eine Lebensgemeinschaft (Symbiose) zwischen einer oder mehreren Pilzarten (Mykobionten) und Grün- bzw. Blaualgen. Die ältesten Flechtenfossilien sind um die 400 Millionen Jahre alt.
Die Verbindung Pflanze/Pilz ist unglaublich erfolgreich: Flechten kommen weltweit vor, selbst in der Antarktis. Die Pflanzen produzieren mittels Fotosynthese Zucker (und Sauerstoff), während der Pilz sogenannte Flechtensäuren ausscheidet, die das Gestein angreifen und die Mineralien für die Algen verfügbar machen. Nebenher verleiht der Pilz den Flechten auch Form und Gestalt. Flechten werden in der biologischen Systematik zu den Pilzen gestellt – es sind also keine Pflanzen.
Lebensgemeinschaft Mykorrhiza
Die Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen bezeichnet man bei höheren Pflanzen und Pilzen als Mykorrhiza (griechisch »myces« für Pilz, »rhiza« für Wurzel). Eine Mykorrhiza funktioniert genauso wie bei den Flechten: Der Pilz gibt der Pflanze Mineralien und Wasser, die Pflanze dem Pilz Zucker zum Wachstum. Begegnen sich Pflanze und Pilz zum ersten Male, hat die Mykorrhiza zunächst durchaus etwas Parasitisches an sich, denn der Pilz versucht, die Pflanze zu fressen. Erst nach und nach gewöhnen sich die Partner aneinander und erkennen den gegenseitigen Nutzen. Wie das funktioniert, welche Signale gesendet werden und auf welchem Wege, ist Gegenstand der Forschung in der Mykologie (Pilzkunde).
Die Mykorrhiza kann aber noch viel mehr: Zunächst einmal erhöht sie die Fläche der Feinwurzeln eines Baumes bis um den Faktor 1000, was dem Baum eine bessere Aufnahme von Wasser und Nährstoffen (zusätzlich zu dem, was der Pilz ihm bietet) ermöglicht.
In der Wissenschaft, aber vor allem im populärwissenschaftlichen Diskurs entstand das Bild des »Wood Wide Web«, das von der Gesamtheit aller Pilzmycelien in einem Wald gebildet wird. Wie das World Wide Web, also das Internet, überträgt das Wood Wide Web laut der gängigen These Informationen zwischen den Pflanzen in einem Wald. Das ist zumindest empirisch bewiesen – eine harte wissenschaftliche Beweisführung scheitert zurzeit unter anderem daran, dass wir nicht um die Übertragungsmechanismen wissen: welche Stoffe (Hormone, Pheromone, Biomoleküle usw.) wann, wo und zu welchen Zwecken von den Pilzen eingesetzt werden und wo die Rezeptoren sind.
Die Mykorrhiza schützt zudem die Bäume vor Schadstoffen, von denen es in unserem Anthropozän genannten Zeitalter zu viele im Boden gibt. Man kann mit Fug und Recht behaupten: Ohne die Mykorrhiza stünden unsere Wälder wesentlich schlechter da, als es jetzt schon der Fall ist. Die Mykorrhiza ist ungeheuer erfolgreich, etwa 90 Prozent der Landpflanzen bilden Mykorrhiza-Assoziationen mit Pilzen.
Effiziente Kohlendioxidspeicher
Der Mykologe Marc Stadler vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und weitere Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass Pilze weltweit im Jahr eine Wirtschaftsleistung von rund 55 Billionen US Dollar erbringen. Zum Vergleich: Das weltweite Bruttoinlandsprodukt 2019 betrug circa 89 Billionen US-Dollar. Pilze sind enorm effektive CO2-Speicher, und die schwindelerregenden 55 Billionen Dollar, die Pilze weltweit angeblich erwirtschaften, kommen hauptsächlich durch die Annahme zustande, man müsste für mit ihrer Unterstützung gespeichertes Kohlendioxid Emissionslizenzen zu Marktpreisen kaufen. Die Forscher legten einen Geldwert von 86 Dollar pro Tonne CO2 zugrunde.
Nun kann man diese Art der Berechnung durchaus kritisch betrachten, doch unabhängig davon zeigt sie die enorme und umfassende ökologische Bedeutung der Pilze weltweit. Deshalb ist es absolut notwendig, Pilze explizit in den Naturschutzgesetzen zu verankern.
In einem gemeinsamen Beitrag für das US-amerikanische Magazin »Time« schrieben Furci und der Biologe und Autor Merlin Sheldrake: »Berichte über die lebende Welt, die Pilze nicht einschließen, sind Berichte über eine Welt, die nicht existiert. Pilze haben das Leben auf der Erde lange Zeit erhalten und bereichert. Wir sind undenkbar ohne sie, und dennoch beginnen wir erst jetzt, die Feinheiten des Pilzlebens zu verstehen. Es ist an der Zeit, ihnen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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