Tag der Deutschen Einheit: Den Ostdeutschen aufs Maul geschaut

Lebensgeschichten kann man buchstäblich auf der Straße aufpicken. Dies haben nd-Feuilletonredakteure getan

  • Lesedauer: 3 Min.

In einer Ostberliner Plattenbausiedlung unterhalten sich zwei Männer vor einem Hauseingang. Sagt der eine: »Ich habe zu DDR-Zeiten im Ministerrat gearbeitet, in einem kleinen Kämmerlein. Und was hat man davon? Mickrige 700 Euro Rente.«

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Neulich in einem Discounter vor dem Gemüsestand. Eine vornehm gekleidete Dame zu ihrer Begleiterin: »Ich kann Bananen nicht mehr sehen. Denen haben wir den ganzen Einheitsbrei zu verdanken.«

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Auf einem Parkplatz vor seinem BMW mit aufgeklappter Motorhaube schaut ein graumelierter Mann konsterniert aufs Getriebe und brubbelt vor sich hin: »Mist. Das war bei meinem Trabi einfacher, da konnte ich alles selbst reparieren. Hier kommt man ja an nix mehr ran.«

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In einer Ostberliner Theaterklause: Nach drei Flaschen geleerten Rotwein erinnert sich eine heitere Runde daran, wie Frank Castorf, als er vor einigen Jahren an der Deutschen Oper Berlin (West) »La Forza del Destino« zur Premiere brachte, ausgebuht wurde. Das Charlottenburger Publikum skandierte: »Geh doch nach drüben!«

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In einer Konferenzpause beim Verzehr von trockenen Keksen und dünnem Kaffee aufgeschnappt. Einer klagt: »Das traurigste Ergebnis der Vereinigung ist, dass es keine politischen Witze mehr gibt.« Worauf der andere meint: »Vor allem vermisse ich Radio Jerewan.«

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Vor einer Volkshochschule. Annonciert ist »Versöhnungstheater« von Max Czollek. Ein leicht wankelnder Passant meckert: »Ick will mir nich versöhnen. Mit nüschts und und niemand. Ick bin 1990 aus dem deutschen Volk ausgetreten.«

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Schreck auf dem Weg zur Kaufhalle, äh, Discounter. Eine ältere Frau brüllt vom Balkon auf die Straße herunter: »Ich will meine DDR zurück! Da war auch einiges Scheiße, aber nicht so viel wie heute.«

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In einer Ostberliner Kneipe. »Was machst Du am 3. Oktober?« – »Ick saufe durch. Nicht nur bis morjen früh, sondern bis zum 7. Oktober, Tach der Republik.«

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Neulich auf einem Schulhof vernommen: »Das fetzt, Alter!« Nanu? Hat DDR-Jugendjargon die Vereinigung überlebt? Ja, mit türkischem Akzent.

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Schrebergarten in einem Ostberliner Außenbezirk. Getuschel über’n Gartenzaun mit scheelen Blicken zu einem vorbei flanierenden Herrn. »Der schleicht schon wieder hier herum. Ich verdünnisiere mich lieber, der drängelt einem immer lästige Gespräche auf.« – »Der kann nicht anders, der war früher ABVer.« (Erläuterung für Wessis und Nachgeborene: Ein Abschnittsbevollmächtigter war in der DDR so etwas wie ein Hilfssheriff.)

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O’ zapft ist auch in Berlin. Haxn, Weißwurst und Schweinsbraten gibt’s reichlich auf den Spreewies’n der deutschen Hauptstadt. Bei einem Maß Bier lässt sich trefflich über Politik streiten. »Den Söder hab’n se mit 96,5 Prozent als Partei-Oberguru in Bayern wiederjewählt. Det is’ wie in der DDR. Wat hab’n se uns dafür madig gemacht!« – »Det kannste nicht vergleichen. In der Demokratie ist das okay, in einer Diktatur nicht.«

Beim Ergotherapeuten: »Wo arbeiten Sie, wenn man fragen darf?« Beim »nd«. »Ach, beim Zentralorgan. Wie geht es der Zeitung denn so?« – »Es geht so.«

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