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Tiermedizin in Berlin: »Ich sehe das Tal noch nicht erreicht«
Der ehemalige FU-Mitarbeiter Ronny Weigang erklärt, weshalb er seine Arbeit an der Pferdeklinik aufgegeben hat
Die Arbeitsbedingungen in der Tiermedizin an der Freien Universität Berlin haben einen schlechten Ruf. Erst vor Kurzem hat ein schwerer Unfall für Aufsehen gesorgt. Sie selbst haben in der Pferdeklinik der FU nach jahrelanger Arbeit Ihre Kündigung eingereicht. Warum?
Die Arbeitsbelastungen wurden immer mehr, das Personal immer weniger. Gerade beim technischen Personal und den Tierpflegern kommt man nicht mehr zu der Arbeit, für die man eingestellt ist. Bei mir ist es das Röntgen. Dadurch ist man mit seiner Arbeit und der Qualität permanent unzufrieden. Der Lehrauftrag, die Ausbildung der Studenten leidet.
Welche Konsequenzen haben die Personallücken?
Wir haben hier normalerweise auch einen Schmiedemeister. Die Stelle ist aber seit Jahren unbesetzt. Ich habe letztes Jahr zwei Arbeitsunfälle beim Eisen abnehmen gehabt, war dann auf Reha gewesen. Der Betriebsarzt hatte bescheinigt, dass ich gewisse Sachen nicht mehr machen soll. Das fand keine Rücksicht. Aber meine Gesundheit ist mir dann doch mehr wert. Das andere ist die psychische Belastung. Man rennt von einem Patienten zum nächsten, kriegt irgendwelche Sonderaufgaben. Das geht einfach nicht mehr. Der Freizeitausgleich funktioniert auch nicht, weil der Klinikbetrieb immer weiter auf Hochtouren laufen muss.
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Was meinen Sie mit »auf Hochtouren«?
Die Auslastung ist permanent hoch, der Stall immer voll. Hier werden Aufträge angenommen, die Pferde werden angeliefert und wir gucken mal, ob sie behandelt werden können. Manchmal stehen die Pferde mehrere Tage und können mit den Routineeingriffen, wofür sie hier sind, gar nicht versorgt werden.
Inwieweit greifen Tierwohl und Arbeitsbedingungen ineinander?
Oft schaffen wir es nicht, dass die Tiere pünktlich ihre Medikamente bekommen. Da ist man gerade am Behandeln beim Pferd und dann heißt es: »Oh, jetzt müsste das Tier schon wieder Schmerzmittel nehmen. Na ja, eine halbe Stunde später geht das auch noch.« Das ist nicht richtig. Und eine halbe Stunde ist noch gut gesagt: Das geht schon an die Grenzen des Tierschutzes.
Wo ist denn die Grenze?
Es ist halt schwierig an der Universität, wo man Forschung und Lehre betreiben will und natürlich etwas ausprobieren möchte. Das sehe ich völlig ein. Es kommen aber Patienten zu uns, wo man sagt: »Uh, Grenzfall, das ist eine ziemlich aussichtslose Sache und geht vielleicht in ein paar von hundert Fällen mal gut.« Da ist das Tierwohl für mich höher gestellt. Das war ja für mich überhaupt ein Grund, Tiermedizin zu machen. Im Klinikbetrieb ist Hygiene wichtig. Es wird aber nur das Notwendigste gemacht. Früher gab es mal ein Reinigungsteam, das den OP nach jedem Patienten saubergemacht hat. Das übernimmt jetzt das technische Personal, das aber auch schon mit Narkose und OP-Besteck-Vorbereiten vollkommen ausgelastet ist. Es passiert immer mal wieder, dass sich ein Pferd infiziert. Man kann nicht sagen, das kommt aus dem OP. Aber wenn man rundherum ein bisschen mehr auf Hygiene achten würde, wüsste man zumindest, dass es da nicht herkommt.
Wo liegt Ihrer Meinung nach die Verantwortung?
Bei der Personalplanung, bei der Klinikleitung. Wir kriegen immer zu hören, es sind Stellen ausgeschrieben. Aber wer soll sich denn hier bewerben, wenn es in der freien Wirtschaft wesentlich mehr Geld gibt? Die denken immer »ja, wir finden was«, aber sie werden keinen mehr finden, wenn sie nicht mehr bezahlen. Es ist ja auch öffentlich bekannt, dass tarifliche Zuschläge teilweise nicht bezahlt werden: Nachtzuschläge oder Mehrarbeitszuschläge. Mir speziell steht laut Tarif eine Zulage für potenziell infektiöses Material zu, die aber nicht mehr bezahlt wird. Manche Kollegen haben ein halbes Jahr schon keine Zulagen bekommen.
Haben Sie sich das mal ausgerechnet?
Bei mir habe ich es nicht ausgerechnet, das macht mich nur noch mehr kaputt. Ich wurde eingestellt und mir wurde eine Gehaltsstufe zugesagt. Irgendwann wurde ich herabgruppiert, ohne Begründung. Ich habe gesagt: »Hä, was ist denn hier los, wieso kriege ich jetzt auf einmal weniger Geld?« Ja, das sei so. Daraufhin habe ich das zusammen mit Verdi geltend gemacht. Das Verfahren läuft immer noch. Die Arbeit an sich ist sehr schön, ich mache das Röntgen und die Arbeit mit Pferden sehr gerne. Bei dem Geld und den Begleitumständen, habe ich aber gesagt, ist es wohl doch nicht die Arbeit, die ich bis zur Rente machen möchte.
Jetzt sind Sie vier Jahre hier gewesen. Inwieweit hat sich eine Personalfluktuation entwickelt?
Erst sind in der Kleintierklinik nach und nach Leute weggegangen, jetzt ist es hier auch so. Man hat verpasst, das Stammpersonal zu halten. Solche Leute, die wirklich lange hier sind, die sich auskennen, die wertvoll sind für den Betrieb, werden mit Füßen getreten und sind irgendwann frustriert. Ja, neues Personal. Super. Aber mit jedem, der hier weggeht, geht auch eine gewisse Erfahrung. Wir haben vorher eine Dame gehabt, die hat die Apotheke gemacht. Die ist weggegangen. Momentan sind an ihrer Stelle zwei Neue. Die schaffen es gerade so.
Wie groß ist das Personaldefizit?
Von meiner Gruppe, beim technischen Personal, sind momentan sieben Leute noch hier. Vier, fünf Leute fehlen garantiert, einfach nur, um den Routinebetrieb aufrechtzuerhalten. Und da reden wir noch nicht von Springern.
Mit Blick auf die finanziellen Mittel unterscheidet sich ein Uni-Betrieb ja von der Privatwirtschaft.
Ja, genau. Aber gerade hieß es, dass eine Million für die fehlenden Zuschläge bereitgestellt würde. Also ist die Sicht mittlerweile so weit gereift, dass es heißt: »Okay, wir müssen was tun.« Und der Wille ist glaube ich auch da. Nur die Strukturen sind so, dass es so lange alles dauert. Uni-Kliniken generieren ja auch eigenständig Gelder, indem wir Patienten behandeln. Dann heißt es, wenn wir mehr Patienten haben, können wir ja auch jemanden einstellen. Dass das mal geschehen ist, habe ich noch nie hier erlebt. Ich finde so einen Ansatz auch falsch. Entweder sind wir eine private Klinik und müssen uns selbst versorgen. Oder wir sind eine Universität und betreiben Forschung und Lehre. Hier wird eine Mischform gelebt, die nicht richtig ist.
Die Arbeitsbedingungen sind nicht gut, Sie leiden unter dem Personalmangel. Wie ist die Stimmung im Kollegium, über gewerkschaftliche Arbeit etwas zu verändern?
Wir haben hier ja den Personalrat. Dort müssen zehn Leute präsent sein, um beschlussfähig zu sein. Aus der Veterinärmedizin sind wir da mittlerweile drei Leute, die sich stark engagieren, weil wir merken, es läuft nicht. Dem Personalrat werden eigentlich alle Dienstpläne vorenthalten, weil daran sichtbar ist: »Oh, wir kriegen keinen tarifkonformen Dienstplan gestrickt.« Die Dienstpläne, die wir bekommen, sind selten genehmigungswürdig, dass sie Leute entsprechend schützen, dass sie zum Beispiel ihre Ruhezeiten haben.
Was macht demgegenüber die Betriebsgruppe?
Wir haben für die anstehende Tarifrunde der Länder einen Forderungskatalog erstellt für Verbesserungen im Gehalt und im personellen Bereich. Wir paar Leute der Betriebsgruppe entwickeln solche Forderungen, unterlegen das mit Unterschriftenlisten und sagen den Kollegen: »Hier, lest euch das mal durch, das sind unsere Forderungen, geht ihr da mit?«. Wir sehen, dass sich sehr viele damit identifizieren.
In der Humanmedizin gibt es eine Bewegung, die neue Tarifverträge speziell für Entlastung abschließt. War das mal Thema?
Wir haben über den Personalrat versucht eine Betriebsvereinbarung zu Dienstplänen abzuschließen. Die Leitung hat festgestellt: »Wir können diese Vereinbarung gar nicht abschließen, weil uns Personal fehlt.« Das zieht sich auch seit einem Jahr hin. Es ist aber eh schon klar, dass mehr Personal angeschafft werden muss, um den geltenden Tarifvertrag einzuhalten. Deswegen beschäftigen wir uns mit Streiks zur Einhaltung der Verträge. Eigentlich streikt man für den Abschluss von Tarifverträgen. Aber was ist, wenn die bestehenden innerhalb der Friedenszeit mit Füßen getreten werden? Es gibt ein Streikrecht für die Einhaltung von Tarifverträgen. Aber das ist etwas noch nie Dagewesenes. Das ist momentan selbst innerhalb der Gewerkschaft umstritten. Ich glaube, damit muss man sich beschäftigen auch innerhalb der Gewerkschaft.
Haben diese Möglichkeiten der Mitwirkung nicht dazu geführt, dass Sie eine Hoffnung entwickelt haben, dass sich zeitnah etwas ändern wird?
Ich sehe das Tal noch nicht erreicht. Es muss noch mehr bergab gehen, es müssen noch mehr Leute auf die Nase fallen, ehe man merkt, dass sich etwas ändern muss.
Ronny Weigang ist gelernter veterinärmedizinischer Assistent. Als solcher war er seit 2019 in der Pferdeklinik der FU Berlin für das Röntgen zuständig. Weigang engagierte sich in der Verdi-Betriebsgruppe und im Personalrat. Zum 30.9.2023 hatte er gekündigt. Für »nd« hat Christian Lelek mit ihm gesprochen.
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