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Freiheit und Sicherheit auf links gedreht
Lasse Thiele über einen rechts dominierten Diskurs in Zeiten der Klimakrise
Karl Polanyi verfasste seinen Klassiker »The Great Transformation« im Exil während des Zweiten Weltkriegs. Er beschrieb dort, wie die fundamentale Unsicherheit, die das Zeitalter des liberalen Kapitalismus mit Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, Hyperinflation und Massenverelendung bedeutet hatte, dem Faschismus den Weg bereitete. Zugespitzt brachten nach Polanyi diese Erfahrungen mit der »Freiheit« weite Teile der Bevölkerung Mitteleuropas dazu, jegliches Freiheitsideal gegen das faschistische Stabilitätsversprechen einzutauschen.
Achtzig Jahre später scheint die Situation bisweilen umgekehrt. Hinter uns liegen Jahrzehnte sozialer Verwerfungen durch eine kapitalistische Liberalisierung. Doch der international beobachtbare Rechtsrutsch der vergangenen Jahre speist sich gerade aus dem Wunsch nach Zuspitzung dieser Entwicklung: der militanten Verteidigung einer bestimmten Konzeption individueller Freiheit – verengt auf jene Konsumoptionen, die die fortgeschrittene Gesellschaft noch relevanten Teilen der Gesellschaft bietet. Bei allen ideologischen Differenzen läuft es natürlich damals wie heute auf die Sicherung individueller Freiheiten einer privilegierten Minderheit hinaus. Obendrein hat die Rechte es geschafft, bei aller Freiheitsrhetorik das Quasi-Monopol auf den Sicherheitsbegriff zu behalten.
Das ist gut zu beobachten, sobald es ums Klima geht. In keinem anderen Politikfeld gelingt es der Rechten derart konsequent, den Freiheitsbegriff zu monopolisieren, um jegliche Eingriffe in die fortgesetzte Produktion der Klimakrise zu blockieren. Sie zieht dabei nahezu das gesamte politische Spektrum in ihrem Bann. So berufen sich alle Kräfte in der Klimapolitik regelmäßig auf einen – unterstellten – »Volkswillen«, dem Folge zu leisten sei. Was nach Demokratie aussehen soll, ist natürlich nur ein autoritärer Klassiker: das von oben bemühte und rein imaginäre Plebiszit.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Die gesellschaftliche Linke kann sich nur noch Handlungsspielräume schaffen, wenn sie diesen Freiheitsbegriff auseinandernimmt, dessen hegemonialer Stellung sich derzeit alle politischen Kräfte unterordnen: Wo schon banale Ordnungspolitik unter Diktaturverdacht steht, mag niemand das Stigma der »Verbotspartei« riskieren – unabhängig davon, dass die Rechten natürlich selbst real gern allerlei verbieten. In diesem dringend aufzubrechenden Spiel können zeitgemäße linke Inhalte nur verlieren.
Alle autoritären Tendenzen der Gegenwart drohen sich schließlich mit der fortschreitenden Klimakrise noch zu potenzieren. Dem schon in den 1930ern falschen Gegensatz von liberaler Freiheit und autoritärer Sicherheit muss die Linke in Zeiten der Klimakrise einen kollektiven, inklusiven und globalen Freiheitsbegriff entgegenstellen, nach dem die ökonomische, physische und kulturelle Sicherheit aller zur Grundlage einer rücksichtsvollen Freiheit aller wird.
Auch ein eigener Sicherheitsbegriff fernab von Law-and-Order-Politik wäre von links zu entwickeln, der sich nicht an imaginierten Gefahren abarbeitet, sondern reale Risiken angeht. Mit sozialen Garantien und globalen Solidaritätsmechanismen gegen radikalisierte soziale Ungleichheit und ökologische Kollapserscheinungen: gemeinsam das Schlimmste abwenden. Eine solche Sicherheitsarchitektur wird aufwändig genug sein, um schon ökonomisch mit jenen individuellen Freiheitsexzessen in Konflikt zu geraten, die ökologisch ohnehin nicht mehr leistbar sind.
Für Polanyi war in den 1930ern ein freiheitlicher Sozialismus die bessere Antwort auf das vermeintliche Freiheit-Sicherheit-Dilemma – nur eben auch die unterlegene. Die Wiederholung dieser historischen Niederlage gilt es nun zu verhindern. Sie wäre mit Sicherheit keine Farce, sondern die nächste unfassbare Tragödie.
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