Studenten und Gewerkschaften wehren sich in Finnland

Kürzungsvorhaben der Rechtsregierung stoßen auf Widerstand

  • Robert Stark, Helsinki
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit mehr als zwei Wochen halten Studierende die Eingangshalle der Universität von Helsinki besetzt. Zudem haben sich landesweit mittlerweile mehr als ein Dutzend Fachhochschulen, Gymnasien und Universitäten dieser Protestform angeschlossen. Eine vergleichbare Protestwelle hatte es im Bildungsbereich zuletzt 2015 gegeben. Für finnische Verhältnisse ist ziviler Ungehorsam eine eher radikale Form der politischen Einmischung.

Szenen wie jene, die sich vergangenen Donnerstag im Hauptgebäude von Helsinkis Universität abspielten, hat man in der jüngeren Geschichte Finnlands nur selten gesehen: Umringt von Personenschützern musste sich Staatspräsident Sauli Niinistö den Weg durch eine Menschenmenge bahnen. Aus dieser erschallten Rufe wie »Generalstreik jetzt!« und »Nieder mit der Regierung!«. An den Brüstungen in der Eingangshalle, wo sich etwa 300 Studierende versammelt hatten, waren lange Transparente angebracht. Auf einem der Banner ist zu lesen: »Steckt euch eure Kürzungen in den Arsch!«

Niinistö war zu einem sicherheitspolitischen Seminar im großen Saal der Universität geladen. Im Vorfeld war eine mögliche Räumung der besetzten Halle diskutiert worden, wovon man aber, auch angesichts der großen Zahl an Unterstützern, Abstand nahm. Im Anschluss an die Veranstaltung suchte Niinistö, ganz konsensorientiert-finnisch, das Gespräch mit einigen der protestierenden Studierenden. Auch wenn er sich kein einziges kritisches Wort zu den Kürzungsplänen der Regierung entlocken ließ, kam das bei einem Teil der Besetzer gut an.

Die Koalition der Konservativen Sammlungspartei von Ministerpräsident Petteri Orpo mit den rechtsnationalistischen Wahren Finnen (Perussuomalaiset, PS), den Christdemokraten und der schwedischen Minderheitspartei hat ein umfassendes Kürzungsprogramm vorgelegt. Ziel ist es, die angestiegene Schuldenquote Finnlands auf das Niveau der anderen nordischen Staaten zu drücken. Im laufenden Jahr muss Finanzministerin Riikka Purra, die auch Vorsitzende der Wahren Finnen ist, 11,5 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen.

Im Sommer waren alte Beiträge von Purra in einem Internetforum an die Öffentlichkeit gelangt. Darin hatte sie unter anderem Gewaltfantasien gegen Migranten geäußert und muslimische Frauen als »schwarze Säcke« verunglimpft. Auch weitere PS-Minister rückten wegen früherer Beiträge in den sozialen Medien in den Fokus auch der internationalen Medienöffentlichkeit. In der Folge gab es Demonstrationen mit bis zu 20 000 Teilnehmern gegen die rassistischen Entgleisungen der PS-Minister.

Nach dem Skandalsommer begann die Regierung Anfang September, ihre Agenda umzusetzen: Das Streikrecht soll eingeschränkt, Befristungen in Arbeitsverträgen erleichtert werden und der erste Krankheitstag für Beschäftigte unbezahlt bleiben. Gleichzeitig wollen Orpo und Purra in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro einsparen – bei einem Staatshaushalt von etwas über 80 Milliarden. Gekürzt werden soll vor allem beim Wohngeld und bei der Arbeitslosenunterstützung. Steuerliche Vergünstigungen soll es hingegen für Monatseinkommen über 14 000 Euro geben. Die Streichungen beim Wohngeld werden auch viele Studierende hart treffen, denn es macht einen Großteil der staatlichen Unterstützung für sie aus.

Auch der 23-jährige Theologiestudent Valtteri Harakka hat deshalb seit Tagen in der Universität von Helsinki genächtigt. »Die von der Regierung verordneten Kürzungen werden sich direkt auf mein Einkommen auswirken.« Nun werde er sich wahrscheinlich eine günstigere Wohnung suchen müssen. »Wenn ich mich auf das Studieren konzentrieren soll, kann ich nicht nebenbei mehr arbeiten gehen«, erläutert Harakka gegenüber »nd«. Es bleibe ihm nur die Möglichkeit, einen noch größeren Studienkredit aufzunehmen.

Nach der erfolgreichen Besetzung des Uni-Gebäudes in Helsinki breitete sich dieses Mittel des Protests schnell auf Bildungseinrichtungen in anderen Städten aus. Aus dem ganzen Land erhalte man Unterstützung, berichtet der Aktivist.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Auch die Gewerkschaften reagieren auf die geplanten Reformen der rechtskonservativen Regierung. In der vergangenen Woche rief der zentrale finnische Gewerkschaftsbund SAK in Dutzenden Fabriken landesweit zu einstündigen Warnstreiks auf. Zu Arbeitsniederlegungen kam es in der Papier- und in der Rüstungsindustrie, in Firmen des Maschinenbaus und diversen anderen Bereichen.

Die Besetzungen an den Hochschulen und die Streiks von Beschäftigten in der Industrie sind eine deutliche Antwort auf die Vorhaben der Regierung. Zum nächsten Kräftemessen wird es kommen, wenn Orpo demnächst die mit dem Kürzungsprogramm verbundenen Gesetzesentwürfe in das finnische Parlament Eduskunta einbringt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.