Pornos? Nicht sofort in die Wertung gehen!

Madita Oeming räumt in ihrem Buch »Porno. Eine unverschämte Analyse« mit allerlei Vorurteilen auf

  • Bo Wehrheim
  • Lesedauer: 4 Min.
Pornografie ist eine sehr private Sache ...
Pornografie ist eine sehr private Sache ...

Seit Videorekorder Einzug in Privatwohnungen gehalten haben, masturbieren junge und alte Menschen jeden Geschlechts zu Pornos. Trotzdem haben wir als Gesellschaft noch keinen Umgang damit gefunden, dass Pornos Alltagskultur sind: Die öffentliche Diskussion ist mit Scham und Ängsten aufgeladen und nicht gerade lustvoll. Der Frage, warum das so ist, widmet sich Madita Oeming in »Porno. Eine unverschämte Analyse«. Sie nimmt die unterschiedlichen Akteur*innen in den Blick, die vor Pornos warnen.

Traditionell sehen religiöse Fundamentalist*innen Jugendliche durch Porno-Konsum gefährdet, und Radikalfeminist*innen machen Frauen als Leidtragende aus. Männerrechtler organisieren sich in sogenannten No-Fap-Gruppen, um masturbierende Männer, also sich selbst, zu Opfern von Pornografie zu stilisieren und dann dem Onanieren theatralisch abschwören. Sie alle stehen laut Oeming aber nicht in Konkurrenz zueinander, sondern bilden eine rechtskonservative Zweckallianz, die seit Jahrzehnten Ängste vor Pornos schürt.

Oeming fragt, was dran ist an deren Warnungen, dass Pornografie gesellschaftlichen Schaden anrichte. Achtung, Spoiler: Nicht sehr viel. »Keine Panik« lautet die Message der Pornoforscherin, die bereits mehrfach auf dem Feld der Porn Studies publiziert hat. An Universitäten referiert sie als Gastsprecherin zu feministischem Porno.

Die 37-jährige Amerikanistin ist in Berlin aufgewachsen, lebt heute in Göttingen und ist als »Lustaktivistin« in verschiedenen Medien präsent. Auf ihrer Website bietet Oeming Online-Fortbildungen an, in denen Menschen aus sozialen Berufen ihre »Pornokompetenzen« stärken und einen »Pornoführerschein« erwerben können. »Porno. Eine unverschämte Analyse« ist Madita Oemings erstes Buch, und man merkt ihr den Spagat zwischen Wissenschaft und Aktivismus an: Leidenschaftlich, aber stets sachlich argumentiert sie gegen porno-panische Positionen und regt dazu an, eigene Vorbehalte zu überdenken.

... und ein sexistisches Geschäft, das öffentlich ausgestellt wird: »Erotikmesse Venus«, Berlin 2022.
... und ein sexistisches Geschäft, das öffentlich ausgestellt wird: »Erotikmesse Venus«, Berlin 2022.

Schon der Buchtitel »Porno« sei Oeming zufolge ein »politischer Akt«, denn er werde von Suchmaschinen benachteiligt, und Beiträge mit dem Buchtitel könnten auf Instagram, Tiktok und Facebook dem Algorithmus zum Opfer fallen. »Wir schreiben das Jahr 2023, und es ist nicht möglich, ein Buch über Pornos zu schreiben, ohne zensiert zu werden«, kommentiert sie das etwas pathetisch und verkündet: »Je mehr Menschen mir den Mund verboten haben, desto lauter bin ich geworden.« Tatsächlich hat die Porno-Forscherin in den letzten Jahren einiges an Hetze und rechten Shitstorms ertragen müssen.

Unterhaltsam populärwissenschaftlich klärt Oeming über Mythen auf. Sie widerspricht der Vorstellung von den angeblich so unterschiedlichen Sehgewohnheiten von Männern und Frauen: Laut Statistik der Website Pornhub unterscheiden sie sich kaum. Zu den Sehgewohnheiten von Lesben sowie nicht binärer und trans Menschen gibt es keine Daten. Darunter leidet Oemings Analyse. Sie bleibt etwas einseitig, denn auch zu den Vorlieben von BIPoCs fehlen Statistiken. Maßgeblich ist, wie so oft, der Blick des weißen Hetero-Mannes.

Oeming ist sich dessen bewusst und bemüht sich, andere Perspektiven mitzudenken. So gleicht sie etwa »Lesbian« als Pornhub-Kategorie mit »tatsächlich lesbischen Pornos« (von Lesben für Lesben) ab. Ein Kapitel beschreibt den »kolonialen Blick«, der Oeming zufolge an rassistisch-stereotypen Suchbegriffen und stereotypen Darstellungen abzulesen ist. Sie hinterfragt, warum rassistische und sexistische Suchbegriffe so beliebt sind: Pornos seien nicht die »Ursache« für Machtstrukturen, sondern ein »Spiegel der Gesellschaft«.

Oft hat man das Gefühl, Oeming will Pornos in Schutz nehmen, aber »Porno. Eine unverschämte Analyse« ist nicht als Pro-Porno-Pamphlet angelegt. Vielmehr plädiert die Porno-Forscherin für einen reflektierten Umgang mit dem eigenen Porno-Konsum. Sie lädt die Leser*innen dazu ein, die eigenen Vorlieben kritisch zu reflektieren, ohne dabei »sofort in die Wertung« zu gehen.

Oemings Analyse fokussiert sich stark auf den Porno-Konsum, während die Produktion von Pornografie leider zu kurz kommt. Welchen Herausforderungen stehen Darstellende und Produzierende gegenüber? Wer verdient womit, und wie lässt sich das Recht am eigenen Bild durchsetzen? Wie funktionieren die unterschiedlichen Plattformen, auf denen Pornos angeboten werden?

Möglicherweise finden sich diese Perspektiven in dem Buch »Pornopositiv« von der Regisseurin und Intimitätskoordinatorin Paulita Pappel, das ebenfalls im September erschienen ist. Trotzdem ist »Porno. Eine unverschämte Analyse« unbedingt lesenswert, denn es setzt dem panischen Diskurs über Pornos ein sachliches, lustfreundliches und konsequent feministisches Narrativ entgegen. Gleichzeitig ist es ein Aufklärungsbuch für Erwachsene, das ermutigt, darüber zu sprechen, was uns anmacht – und warum wir uns dafür nicht schämen müssen.

Madita Oeming: Porno. Eine unverschämte Analyse. Rowohlt, 256 S., geb., 20 €.

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