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Carl Zeiss Jena könnten gute Zeiten bevorstehen
Gegen Hansa Rostocks 2. Team gelang Jenas Fußballern ein Befreiungsschlag, der beim nd-Kolumnisten gleich Anflüge von Raserei auslöste
Am Sonnabend wollte ich mit der Deutschen Bahn direkt ins Paradies zu Jena sausen. Wie ihr euch bestimmt denken könnt, wurde die Reise mit einmal Umsteigen in Halle eine sehr komplizierte Sache. Der Abenteuerzug aus Berlin hatte Verspätung, in Halle wartete die Regionalbahn nicht, ich musste über Erfurt nach Jena zuckeln. Die normalen Abläufe einer Zugreise. Ich weiß, ihr kennt das. Ist trotzdem nicht schön.
Gut angeschwitzt erreichte ich die Stadionbaustelle (wie durch ein Wunder, es sollte nicht das letzte bleiben) rechtzeitig. Ich mümmelte im Pressebereich eine Bockwurst, grüßte lässig ein paar Kollegen, hörte mir lächelnd ihre Klagen an und bestieg glücklich die Haupttribüne, um mir von ganz oben anzusehen, wie sich die Kicker aus Jena und Rostock (2. Mannschaft) unten erwärmten. Vielleicht sollte ich besser sagen, ich versuchte die Spieler bei ihren Übungen zu erkennen. Denn schlau und listig, wie ich nun einmal bin, hatte ich meine Weitsichtbrille im schönen Berlin gelassen, um das womöglich traurige Spiel der Jenaer Fünftelgötter nicht in all seinen schrecklichen Einzelheiten mit ansehen zu müssen. Bis zum Sonnabend hatte Jena von neun Spielen nur eins gewonnen und hockte auf einem Abstiegsplatz der Regionalliga Nordost. Jena und Abstieg in die Oberliga, ja, das hat es leider alles schon gegeben.
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Das Abstiegsgespenst chillte also dank der dürftigen Leistungen des Klubs in den sportiven Kleinhirnen der Spieler. Trotzdem waren fast 3800 hoffnungsfrohe Menschen auf die Baustelle gekommen, um ihre Lieblinge anzufeuern. Vornweg die Ultras, die ohne Wenn und Aber hinter dem Team und der ausgerufenen Devise stehen: Aufstieg irgendwann, wenn alles passt. Ganz nebenbei waren auch 25 Hansa-Fans ins Stadion gekommen. Fucking zweite Mannschaften im Spielbetrieb!
Das neue Stadion in Jena wird großartig. Hoffentlich nehmen die Menschen es an – die samstägliche Zuschauerzahl füllte es diesmal zu einem Viertel. Die Akustik ist großartig, die Tartanbahn endlich verschwunden, die Zuschauer sitzen und stehen nah am Geschehen, man sieht von jedem Platz gut, demnächst ist alles überdacht. Das Geplärr der 25 Rostocker war deutlich zu hören, ebenso die Gesänge der aktiven Jenaer Fans, man hätte alles mitsingen können. Ich wollte aber nicht. Und wurde bockig, als Hansa in Führung ging.
Wunder über Wunder, Jena wachte plötzlich auf und spielte 30 Minuten guten Viertliga-Fußball. Mir wurde warm ums Herz, ich errötete vor Glück und atmete tief ein und aus, beim 5:1 für Jena erreichte ich den Siedepunkt der Raserei. Abstiegsgespenst ade, nun rollen wir das Feld von hinten auf.
Das nächste Spiel findet bei Energie Cottbus statt; zuletzt gab es dort für Jena nichts zu holen, außer Lausitzer Spott und Häme vom Trainer. Der alte Schleifer und Pöbler Wollitz führt die Knute im Land der Gurke und treibt sein williges Team an die Tabellenspitze. Womöglich braucht es die Kraft des Bösen und der Pein, wenn man in der Regionalliga bestehen will. In Jena tanzten Spieler und Funktionsteam nach dem Sieg gegen Hansa im Kreis, und alle schienen sich lieb zu haben. Kuschelkurs oder Peitsche, ich weiß es doch auch nicht.
Zurück in Berlin, traf ich am nächsten Tag am Bahnhof auf schunkelnde und singende Fans des 1. FC Union Berlin: »Alles tschalalalala, mir doch scheißegal, immer wieder Eisern! Union, jawoll.« Ihr Klub hatte am Vortag sein siebtes Pflichtspiel in Folge verloren, doch das schien sie überhaupt nicht zu erreichen. Ich beneidete sie. Ihr treues Gemüt trieb Schmerz nonchalant hinfort.
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