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Frieden ist nicht Sache des Militärs

Wann und wie schlägt Israel zurück? Es gibt Vorahnungen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Laut Premierminister Benjamin Netanjahu werde man nun nach dem Wiedererlangen der Kontrolle über israelisches Gebiet mit einer »massiven, noch nie dagewesenen Offensivoperation« beginnen. Die ersten Schläge führt die Luftwaffe bereits aus. Sie zerstört – nach eigenem Bekunden – vor allem Kommandozentralen der Hamas. Die jedoch befinden sich zumeist in zivilen Gebäuden. Um Kollateralschäden zu vermeiden, forderte Netanjahu Zivilisten in Gaza auf, sich von solchen Einrichtungen zu entfernen. Aus früheren Operationen ist aber auch bekannt, dass die Hamas Zivilisten gern als lebende Schutzschilde benutzt und die israelische Armee wenig Mitgefühl mit den unschuldigen Einwohnern von Gaza entwickelt.

Nun kommt hinzu, dass die Hamas zahlreiche Geiseln genommen hat. Neben israelischen Staatsbürgern sind auch ausländische Bürger in der Gewalt der Terroristen. Natürlich behaupten die Verantwortlichen in Israel, dass die Geiselbefreiung durch Spezialkräfte oberste Priorität habe. Voraussetzung dafür wäre, dass die israelischen und befreundeten Dienste ausreichend Informationen darüber zusammentragen, wo die Verschleppten gefangen gehalten werden und dass ausreichend Elitetrupps zur Verfügung stehen. Ein Austausch gegen in Israel inhaftierte palästinensische Aktivisten wird ausgeschlossen – was gleichbedeutend ist mit dem Todesurteil für zahlreiche Geiseln.

Israel plant derweil seine Bodenoffensive. Noch bieten die an den Grenzen des abgeriegelten Gaza-Gebietes in Stellung gebrachten aktiven Truppenteile mit ihren zahlreichen Panzerfahrzeugen eine Kulisse für die Weltnachrichten. Man hat zudem rund 350 000 Reservisten zu den Waffen gerufen. Israels Streitkräfte sind bei der Mobilisierung erfahren, der Zeitraum bis zum Beginn einer umfassenden Offensive wird kurz sein. Schon jetzt scheint klar, dass ihr Vormarsch in die urbanen Gebiete einhergeht mit einer massiven Feuerunterstützung. Trotzdem: Häuserkampf fordert, zumal in vorbereiteten Festungen, stets einen hohen Blutzoll – aufseiten der Angreifer wie unter den Zivilisten, die zwischen unübersehbare Fronten geraten. Und: Die Kämpfe werden aller Voraussicht nach nicht nur Tage oder wenige Wochen dauern.

Im Jahr 2020 übernahm die israelische Armee ein neues Operationskonzept namens Decisive Victory (Entscheidender Sieg). Die Führung reagierte damit auf die wachsenden nichtstaatlichen Bedrohungen durch bewaffnete Gruppen aus Gaza und dem Libanon. Nach fast 15 Jahren irregulären Kriegen, die Israel im Libanon (2006) und im Gaza-Streifen (2008, 2012 und 2014) führte, stellte man fest, dass die Gegner militärtaktisch und militärtechnisch immer schlagkräftiger geworden sind. Bereits damals ahnte man, dass das Raketen-Abwehrsystem »Iron Dome« an seine Grenzen kommt, man wusste um die gewachsene Mobilität der Hamas und auch, dass die Truppe zunehmend auf bemannte wie unbemannte Luftfahrzeuge setzt.

Man verabschiedete daher einen Vierjahresplan namens »Tnufa«, der bis 2024 reicht. Israel richtete die Ausbildung der Truppen neu aus, effektivierte die Arbeit des Generalstabes, wollte die Interoperabilität zwischen Geheimdiensten, Militär und Rüstungsindustrie stärken. Dabei stieß die Militärführung auf erheblichen Widerstand in der zerstrittenen politischen Führung und klagte über eine unzureichende Finanzierung der Maßnahmen.

»Tnufa« sah einen »schnellen und massiven Einsatz von Gewalt gegen feindliche Systeme« vor. Dazu wollte man Land-, Luft-, Marine-, Cyber- und Geheimdienstressourcen enger zusammenfassen. Gebildet wurde eine Elitetruppe namens »Ghost Unit« aus schlagkräftigen Infanterie-, Panzer-, Artillerie- und Pioniereinheiten, die im Verbund mit der Luftwaffe und der Cybertruppe variabel agieren soll. Diese beispielhafte Bataillonskampfgruppe sollte die Kampfkraft einer ganzen Division entfalten können. Ob diese »Geister-Einheit« nun beim Sturm auf Gaza aus militärischer Sicht erfolgreich ist, wird sich bald zeigen.

Die Herrschaft über Gaza zu erringen, ist nur das gerade unmittelbare Problem Israels. Die »Tnufa«-Reform ist geprägt von wachsender Besorgnis über eine sogenannte horizontale Eskalation. Gemeint ist ein Zwei- oder gar Drei-Fronten-Krieg. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem iranischen »Feuerring«. Das Szenario: Ein iranisch geschürter Konflikt mit Gaza führt zu Zusammenstößen im Westjordanland, die militärisch sehr starke Hisbollah im Südlibanon greift ebenso in die Kämpfe ein wie die wohl gerüsteten iranischen Revolutionsgarden, die auf den syrischen Golanhöhen Stellungen bezogen haben. So stark Israels Armee auch ist, einen Kampf an zwei oder drei Fronten kann sie schwer bestehen.

Deshalb treten die USA auf den Plan. Gemäß ihrer Sicherheitsgarantie für Israel haben sie sofort ihre umfangreichen, in Israel existierenden Nahost-Nachschublager für Israels Armee geöffnet. Aktuell schickt Washington eine massive Flotte mit ihrem größten Flugzeugträger »USS Gerald R. Ford« ins östliche Mittelmeer. Parallel dazu meldete sich Charles Brown, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs. Die Botschaft des obersten US-Generals lautet: »Wir wollen nicht, dass sich der Konflikt ausweitet, und wir wollen, dass der Iran diese Botschaft laut und deutlich hört.«

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