Drogenkonsum in Berlin: Außen Party, innen Streckmittel

Über die Hälfte der Drogenproben zeigen Auffälligkeiten

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 5 Min.
Gute Miene, gefährliches Spiel: Gestreckte Drogen können mehr als nur die gute Stimmung platzen.
Gute Miene, gefährliches Spiel: Gestreckte Drogen können mehr als nur die gute Stimmung platzen.

Auch im kommenden Jahr werden viele Konsument*innen keine Möglichkeit einer zuverlässigen Prüfung ihrer Drogen auf Streckmittel oder überhöhte Dosen bekommen. Das im Juni angelaufene Drugchecking-Angebot in Berlin lässt sich der Senat auch im kommenden Jahr nur 200 000 Euro kosten. Bereits in den ersten Monaten des Programms mussten die Drugchecking-Stellen jede dritte Person mangels ausreichender Testkapazitäten wieder wegschicken. Das ergab eine Anfrage von Vasili Franco, dem drogenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, an den Berliner Senat.

Die kostenlosen Drogentests werden seit Juni frei zugänglich angeboten. Wer sich nicht sicher ist, ob die Pillen auch wirklich nur den Stoff enthalten, der am Wochenende für Rausch sorgen soll, kann ihren Inhalt im Labor überprüfen lassen. Ob Ecstasy, Kokain, Mephedron oder Heroin – alle gängigen Substanzen können dabei auf Streckmittel und Reinheit überprüft werden. Abgegeben werden die Proben unter Bewahrung der Anonymität in drei Beratungsstellen der Suchthilfeträger Fixpunkt und Vista sowie der Schwulenberatung Berlin. Von dort aus werden sie zur Überprüfung in das Labor des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin geschickt. Etwa drei Tage braucht es, bis Konsument*innen das Ergebnis telefonisch oder persönlich abfragen können.

In Berlin werden immer mehr harte Drogen konsumiert. Durch die Analyse von Rückständen im Abwasser konnte in den vergangenen Jahren eine starke Zunahme des Konsums etwa von Kokain, Speed und Crystal Meth festgestellt werden. Beim Konsum von Kokain und der Partydroge MDMA steht Berlin deutschlandweit auf Platz eins. Aus der Anfrage von Franco geht auch hervor, dass im ersten Halbjahr 2023 knapp 30 Kilogramm Opium von der Polizei sichergestellt wurden, obwohl die Substanz in den Vorjahren nicht in der Statistik auftauchte. Es ist abzuwarten, ob dies nur auf einen Glückstreffer der Drogenfahndung zurückzuführen ist oder ob es sich in den kommenden Jahren als Trend fortsetzt.

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Es war zu erwarten, dass das Angebot in der Techno-Hauptstadt der Welt eine riesige Nachfrage erfahren wird. Der Senat hat das Konsumverhalten der Berliner*innen aber anscheinend weitaus vernünftiger eingeschätzt – die 200 000 Euro reichen nur für die Besetzung von zwei Arbeitsstellen im Labor. Der Senat teilt mit, dass bis Mitte September so insgesamt 1006 Proben getestet werden konnten. 419 Personen mussten ohne Gewissheit über die Inhaltsstoffe ihrer Drogen wieder weggeschickt werden. Geht man von einer Probe pro Nutzer*in des Angebots aus, kann jede dritte Person nicht aufgeklärt werden.

Und dabei besteht das Angebot nicht mal ein halbes Jahr und nur in den drei Beratungsstellen. »Jeder, der mit offenen Augen durch Berlin geht, weiß, dass Drogen konsumiert werden. Und zwar nicht nur von Suchtkranken, die sich an zwei, drei Hotspots in der Stadt sammeln«, sagt Vasili Franco zu »nd«. Es sei kein ausgemachtes Ziel von Drogenüberprüfungen, der Partyszene bei der Wahl von guten Dealer*innen zu helfen. Der Konsum auch von illegalen Drogen sollte dagegen sicherer gestaltet, die Gefahr von Überdosierung und Infektionen eingedämmt und Präventionsangebote geschaffen werden, um so den Trend der jährlich steigenden Zahlen an Drogentoten in Deutschland umzukehren. Dazu müsse die Zielgruppe erreicht und genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden, um auch für alle potenziellen Nutzer*innen ein Angebot zu schaffen und damit Schadensminimierung zu betreiben. Vorbild sei Portugal, das mit seinem Modell der Entkriminalisierung tatsächlich sehr erfolgreich ist und in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Drogentoten stark reduzieren konnte.

Was die Effektivität beim Erreichen von Konsument*innen angeht, sind auch Länder wie Österreich und die Schweiz schon weiter. Hier sind die Drogentests seit Jahren legal. In Wien können Proben neben der zentralen Annahmestelle auch in kooperierenden Apotheken abgegeben werden. Mit einem »Laborbus« werden mobile Angebote etwa vor Clubs geschaffen, bei denen ein Ergebnis bereits nach einer halben Stunde vorliegt. Mit der mehrtägigen Wartezeit kann in Berlin dagegen niemand erreicht werden, der sich spontan zum Konsum entscheidet. Franco erhofft sich mehr Flexibilität im Umgang mit anderen Konzepten: »In Deutschland wird so getan, als würden wir realitätsferne Maßnahmen fordern, obwohl sie in anderen Ländern längst gängige Praxis sind.«

Wenn Konsument*innen nicht erreicht und aufgeklärt werden können, drohen erhebliche Gesundheitsrisiken. Das zeigen auch die Daten aus den vergangenen Monaten: Von den im Labor untersuchten Proben war über die Hälfte auffällig. In 79 der Proben wurde eine ungewöhnlich hohe Konzentration des Wirkstoffs mit akuter Gefahr der Überdosierung durch Konsument*innen festgestellt, 87 Proben wurden falsch deklariert und in 207 Fällen waren die Drogen mit zum Teil äußerst gefährlichen Stoffen gestreckt.

Nach Protest vor dem Abgeordnetenhaus konnten zwar am Montag große Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen abgewendet werden, allerdings plant die schwarz-rote Regierung nicht, dem immer weiter steigenden Bedarf an Suchthilfe und Präventionsprogrammen mit ausreichend Finanzierung zu begegnen. Laut Franco ist auch im kommenden Jahr die gleiche Summe für das Drugchecking bewilligt. Die Mittel müssten jedoch verdoppelt werden, allein um die derzeitige Nachfrage zu decken.

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