Aquadom-Unglück in Berlin: Gutachten nennt mögliche Gründe

Die Ursachenforschung zum kollabierten Riesenaquarium im Radisson-Hotel ist abgeschlossen – und eine Nachfolge-Attraktion bereits in Planung

Rund 1500 tote Fische, über eine Millionen Liter ausgetretenes Wasser und Bilder, die weltweit für Aufmerksamkeit sorgten: Mit dem Aquadom kollabierte im Dezember 2022 eines der größten und spektakulärsten Aquarien der Welt, fast 20 Jahre nach seiner Errichtung im Radisson-Hotel in Mitte. Bis weit auf die Karl-Liebknecht-Straße hinaus waren die Spuren der Verwüstung zu sehen. Wie durch ein Wunder wurden nur zwei Menschen leicht verletzt.

Nun, fast ein Jahr später, sind die Untersuchungen zur Unfallursache abgeschlossen. »Ich musste für alles offen sein: Hat da jemand reingeschossen? Hat da jemand mit einem Pickel reingehauen?«, sagt der vom Eigentümer Union Investment beauftragte Kunststoffexperte Christian Bonten am Mittwoch unweit des Unglückorts. Vor ihm liegt ein dicker, fünf Kilo schwerer Stapel Papier: das Gutachten. Sie sind das Ergebnis der harten Arbeit, die Bonten und sein Team in den vergangenen neun Monaten seit ihrer Beauftragung geleistet haben.

Auf der Suche nach einer Antwort hat sich der Gutachter in die Überbleibsel des 16 Meter hohen Aquariums abgeseilt, die Verteilung der Trümmerteile vor Ort analysiert und Scherben zur Untersuchung ins Labor gebracht. »Teilweise habe ich sie in einem Koffer quer durch Deutschland transportiert«, erzählt Bonten. »Vielen Dank an die Deutsche Bahn.« Deutlich aufwendiger war es, die über 700 teils riesigen Trümmerteile in eine Brandenburger Lagerhalle zu verfrachten, um sie dort zu ihrer ursprünglichen Anordnung zusammenzupuzzeln und Bruchverläufe nachzuvollziehen. Eine der Scherben, so Bonten, habe ganze neun Tonnen gewogen und erst zersägt werden müssen.

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Ein möglicher Sabotageakt war schon vor Monaten als unwahrscheinlich eingestuft worden. Einer der Gründe: Das spezialangefertigte Acrylglas des Aquariums war so dick, dass man es selbst mit einer Schusswaffe aus nächster Nähe nicht hätte zerstören können. »Nein, da glauben wir nicht dran«, sagt Bonten. Zwar nicht ausschließen, aber doch zumindest ausklammern kann er auch die Beeinflussung durch seismische Schwingungen oder ungünstige Raumtemperaturen, genauso wie ein mögliches Absacken des Untergrunds oder die Verwendung eines aggressiven Putzmittels. »Das Gebäude war die ganze Zeit sauber temperiert«, führt Bonten aus. Und: »Selbst wenn da jemand Aceton genommen hätte, wäre diese dicke Wand niemals dadurch gebrochen.«

Was letztlich bleibt, sind drei Faktoren, die der Kunststoffexperte als wahrscheinlich erachtet beziehungsweise deren Zusammenspiel. »Langsames Risswachstum« lautet das Stichwort, auf das Bonten in diesem Zusammenhang immer wieder zurückkommt. Fehler könnten demnach bei der Sanierungsphase des Aquariums im Jahr 2019 unterlaufen sein.

Eine Kerbe, entstanden durch die Arbeit mit Hammer und Meißel im Sockelbereich des Aquariums, sei möglicherweise Auslöser für das Risswachstum gewesen. »Die Taucher hätten das da unten niemals ausfindig machen können«, erklärt Bonten. Der entscheidende Bruch, wie er anhand der Trümmerverteilung hat feststellen können, dürfte schließlich im mittleren bis oberen Bereich des Zylinders stattgefunden haben. Der Aquadom sei dann in süd-westliche Richtung vornüber gekippt und dabei in sich zusammengefallen. Beweise für eine Kerbe sind allerdings unmöglich zu finden: Der von ihr ausgehende Riss hätte jegliche Spuren verwischt.

Auch der zweite mögliche Faktor findet sich in der Renovierungsphase, für die das Aquarium vorübergehend leergepumpt wurde. Eine Folie, die dabei standardmäßig am Glas angebracht wird, um ein Austrocknen zu verhindern, ist laut Bonten zwar zum Einsatz gekommen – allerdings zu kurz. »Das war nicht fachmännisch aus meiner Sicht«, kommentiert der Gutachter. Mehr als vier Monate lang sei das Material der Trockenheit ausgesetzt gewesen.

Die dritte Ursache, die für den Kunststoffexperten in Betracht kommt, liegt im Grunde auf der Hand. Schon bei der Errichtung des Aquariums könnten Fehler unterlaufen sein, hauptsächlich beim Verkleben der einzelnen Acrylglaselemente. Endgültig lässt sich die Ursache für den Kollaps allerdings nicht festlegen, wie Bonten hervorhebt. Trotzdem ist jetzt Schluss: »Man könnte mir eine Million Euro versprechen und ich würde es trotzdem nicht zweifelsfrei herausfinden.«

Für die Union Investment ist das Ergebnis der Untersuchungen dennoch ein Erfolg. Die Schäden, die sich laut Angaben der Finanzgruppe im zweistelligen Millionenbereich bewegen, sowie das Gutachten selbst werden nun von einer Versicherung übernommen. So bald wie möglich sollen die restlichen neun der insgesamt 17 beschädigten Geschäfte, die seit dem Unglück nicht mehr öffnen konnten, wieder an den Start gehen. Das Hotel selbst bleibt aufgrund der Schäden an der komplexen Aufzugstruktur jedoch noch eine Weile geschlossen. Ein neues Aquarium ist, wie Union Investment schon vor einiger Zeit angekündigt hatte, nicht in Planung. Den Platz des Aquadoms soll dafür eine andere Attraktion einnehmen, die sich bereits in Planung befindet. Die Details behält der Eigentümer noch für sich.

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