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Über Gräfenhausen hinaus
Gewerkschaften suchen nach Antworten auf Überausbeutung – nicht nur in der Transportbranche
»Es sind Tatorte von Menschenrechtsverbrechen«, sagte Edwin Atema über Raststätten wie in Gräfenhausen. Dort hatten Lastwagenfahrer, unter anderem aus Usbekistan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei, wochenlang für ihre Rechte gekämpft – teilweise waren sie dafür auch in den Hungerstreik getreten. Erst Ende September haben sie einen Erfolg gegen das polnische Unternehmen Mazur errungen, erhielten eine Nachzahlung ausstehender Löhne und die Firma verpflichtete sich, Klagen gegen die Arbeiter fallenzulassen.
Der ehemalige Trucker Atema hat den Kampf der Fahrer mit anderen Gewerkschafter*innen in Gräfenhausen unterstützt. Die diskutierten nun vor dem Hintergrund dieses einmaligen Arbeitskampfes auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Arbeitsbedingungen in der Transportbranche über Ansätze und Strategien zur Bekämpfung von Überausbeutung migrantischer Beschäftigter in der Transportbranche und darüber hinaus. »Mazur ist nur ein Fall von vielen«, sagte Atema. »Fünf von zehn Fahrer werden genauso ausgebeutet wie diejenigen, die für Mazur fahren«, kritisierte er. Mit dem Erfolg der Arbeiter in Gräfenhausen seien die Missstände zwar ins öffentliche Bewusstsein gerückt, aber die strukturellen Probleme nicht gelöst.
Rassistische Überausbeutung
Zwar gilt nach EU-Recht für entsandte Arbeiter*innen der jeweils gültige Tarif des Landes, in dem sie arbeiten. Doch Unternehmen sind findig, nutzen Gesetzeslücken und mangelnde Kontrollen aus, um den meist migrantischen Beschäftigten ihre Rechte zu verwehren. Oft gebe es neben der offiziellen Lohnabrechnung informelle Vorgaben, mit denen die Unternehmen den Lohn drücken, wie die Beraterinnen des DGB-Netzwerks Faire Mobilität auf der Konferenz berichteten. Das Netzwerk unterstützt mobile Arbeiter*innen wie Lastwagenfahrer*innen und klärt sie über ihre Rechte auf. Oft werden überteuerte Unterkünfte und Kosten für Verpflegung über intransparente Abrechnungsverfahren direkt vom Lohn abgezogen, wodurch der gesetzliche Mindestlohn unterlaufen wird.
Dabei ist es für die Beschäftigten schwer, sich zu wehren, berichtete Kateryna Danilova. Sie ist als Beraterin bei der Menschenrechtsinitiative Faire Integration tätig und setzt sich für die Rechte von Wanderarbeiter*innen ein. Besonders stark seien Arbeitsmigrant*innen aus Drittstaaten betroffen – auch in anderen Branchen wie auf dem Bau, in der Agrar- und Fleischindustrie. Sie werden, wie im Fall des polnischen Transportunternehmens Mazur über die Entsenderichtlinie der Union in ganz Europa eingesetzt.
Dramatisch ist dabei, dass bei Drittstaatsangehörigen der Aufenthaltsstatus am Job hängt. Wenn sie gegen schlechte Arbeitsbedingungen aufbegehren, droht ihnen die Kündigung und damit die Ausweisung, erklärte Danilova. Dadurch befinden sie sich in einer vulnerablen Situation, wobei die Grenze zum Menschenhandel leicht überschritten wird.
Grenzübergreifende Solidarität
Dennoch wehren sich die Beschäftigten immer wieder gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen, sagte Benjamin Luig. Der Branchenkoordinator für Landwirtschaft beim Netzwerk Faire Mobilität berichtete, dass etwa Saisonarbeiter*innen in der Agrarbranche über ihre Staatsangehörigkeit und Sprachbarrieren hinweg selbstorganisierte Proteste und teils auch wilde Streiks durchführen und damit auch Erfolg haben. Dabei gehe es oft um bessere Wohnbedingungen und Verpflegung.
Doch die Gewerkschaften hörten in den meisten Fällen erst im Nachhinein davon, wenn die Arbeiter*innen schon entlassen wurden oder ihren Protest abgebrochen hätten. Das liegt auch daran, dass sie in der Regel nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Um dem entgegenzuwirken, hat etwa die IG Bau eine Jahresmitgliedschaft für Wanderarbeiter*innen eingeführt und Gewerkschaften aus den Entsendestaaten informieren verstärkt über Schwesterorganisationen und Arbeitsrechte in den Zielländern.
Doch das reiche nicht, mahnte Anja Piel, Verantwortliche für das Netzwerk Faire Mobilität beim DGB-Bundesvorstand. Es brauche auch bessere Kontrollen vonseiten der Behörden. Ein wichtiger Ansatzpunkt dafür sei das Lieferkettengesetz in Deutschland. Denn meist arbeiten die Beschäftigten für Subunternehmen, was die Kontrollen erschwert. Durch das Gesetz sind Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten (ab 2024 sind es nur noch 1000) nun verpflichtet, auch bei ihren Vertragspartnern auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten.
Gewerkschaften können mit dem neuen Gesetz zudem für die betroffenen Arbeiter*innen in Deutschland Klage erheben. Man prüfe, welche Fälle vor Gericht gebracht werden können, sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende, Andrea Kocsis. Auch setzt sich Verdi für eine Lieferkettenrichtlinie auf EU-Ebene ein, die noch dieses Jahr kommen soll. Ob damit die systematischen Menschenrechtsverletzungen enden, ist unklar. Bis dahin führt der Weg zur Gerechtigkeit nur über den Arbeitskampf, ist Atema überzeugt.
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