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Ecuador: »Wir müssen die Welt ›yasunisieren‹«
Alberto Acosta über die Forderung an Ecuadors Präsidenten, soziale und ökologische Gerechtigkeit miteinander zu verbinden
Im Dezember tritt Daniel Noboa als neuer Präsident in Ecuador an. Wie steht er zum Plebiszit vom 20. August, bei dem eine Mehrheit für das Ende der Ölförderung im Yasuní-Nationalpark gestimmt hat, und was bedeutet seine Position für dessen weitere Umsetzung?
Das Ergebnis vom 20. August war ein deutlicher Hinweis darauf, dass die ecuadorianische Bevölkerung Umweltfragen sehr ernst nimmt. Mit einer Zustimmung von 60 Prozent für das Ende der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark und 70 Prozent Zustimmung für den Schutz des Naturreservats Chocó Andino stimmten mehr Menschen für dieses Ergebnis als für beide Kandidaten der letzten Runde zusammen. Es gab Unterstützung für den Umweltschutz in Yasuní und dem Chocó Andino von Vertretern aller politischen Parteien. Während des Wahlkampfes hat sich Daniel Noboa gegen die Erdölförderung im Yasuní-ITT ausgesprochen; jedoch nicht zum Schutz der Natur oder zum Schutz der in freiwilliger Isolation lebenden Bevölkerung, sondern weil er die Förderung für ein schlechtes Geschäft hält. Als Alternative zum Ende der Erdölförderung nannte er den groß angelegten Bergbau. Die sozialen Bewegungen, das Kollektiv Yasunidos, die verschiedenen Umweltgruppen und indigene Bewegungen müssen ihre Einheit aufrechterhalten. Sie müssen wachsam bleiben, da es bisher keine klaren Signale gibt, die zeigen, dass das Ergebnis des Referendums respektiert wird.
Welche rechtlichen Mittel stehen zur Verfügung, um das Ergebnis des Referendums durchzusetzen, falls die Regierung ihrer Pflicht nicht nachkommt?
Alberto Acosta ist Ökonom, Nachhaltigkeitstheoretiker und Aktivist in Ecuador. Mit ihm sprachen für »nd« Valeria Bajaña Bilbao und Anika Pinz.
Die Anwälte der Initiative Yasunidos haben bereits eine Anfrage beim Verfassungsgericht eingereicht und es gebeten, zu überprüfen, ob der Wille der ecuadorianischen Bevölkerung respektiert wird. Eine bürgerliche Beobachtungs- und Ombudsstelle ist in Planung, um die Entscheidungen der Regierung und der Nationalversammlung zu überprüfen. Dieser Beobachtungsstelle sollen Vertreter verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen, aber auch Fachleute im Bereich der Erdölförderung angehören.
Welche Rolle werden die Zivilgesellschaft und soziale Bewegungen in den kommenden Monaten spielen?
Die Zivilgesellschaft muss Druck auf den neu gewählten Präsidenten Noboa ausüben, um sicherzustellen, dass der Wille der Bevölkerung umgesetzt wird. Wir müssen uns durch das komplexe Gefüge der Rechtsprechung bewegen und auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorschriften bestehen. Gegebenenfalls müssen wir auf die Straßen zurückkehren, um zu protestieren. In einem Rechtsstaat sollte der Wille der Bevölkerung umgesetzt werden. Wie das geschieht, ist eine andere Frage, aber der Wille muss befolgt werden.
Wird Ecuador dem Vorbildcharakter gerecht werden können, über den in den vergangenen Wochen so viel gesprochen wurde?
Das Ergebnis des Volksentscheids steht im Einklang mit den Kämpfen in vielen anderen Ländern. Es ist sehr wichtig, dass dieses Ergebnis befolgt wird. Aber wir müssen noch weiter gehen. Das Amazonasgebiet darf nicht länger ausgebeutet werden, und die Forderungen der Bewohner dieser Region müssen gehört werden. Das Beispiel Yasuní muss zu einem Werkzeug für breitere und tiefgreifende Prozesse werden. Wir müssen die Welt »yasunisieren«. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Nachhaltigkeit. Soziale Gerechtigkeit und ökologische Gerechtigkeit gehen Hand in Hand. Ohne soziale Gerechtigkeit kann es keine Gerechtigkeit für die Umwelt geben und umgekehrt. Für diesen Wandel ist eine enorme internationale Solidarität unverzichtbar. Wir müssen anfangen, Netzwerke des Widerstands zu knüpfen. Wir brauchen eine Art ökologische Internationale, die uns dabei hilft, den Aufbau von Alternativen zu stärken.
Um auf die aktuelle Situation in Ecuador zurückzukommen: Wie kann sichergestellt werden, dass das Ergebnis des Referendums inmitten all der anderen Probleme nicht in Vergessenheit gerät?
Die Präsidentschaftswahlen vom 15. Oktober waren vorgezogen. In einem Jahr befinden wir uns schon wieder mitten im Wahlkampf für die Wahlen 2025. Die Probleme sind zu komplex, um sie in 18 Monaten zu lösen. Die neue Regierung wird kurzfristige Maßnahmen ergreifen, ohne die zugrunde liegenden Probleme zu lösen. Es ist notwendig, klare Forderungen aufzustellen, wie die Erfüllung des Referendums vom 20. August. Die sozialen Bewegungen, Indigene, Umweltbewegungen, Gewerkschaften und feministische Bewegungen müssen eine breite Front bilden, um sich der extraktivistischen, kolonialen, patriarchalen und der neoliberalen Politik entgegenzustellen. Über die Wahlen hinaus müssen wir uns darum bemühen, eine Gegenmacht von unten aufzubauen, mit soliden Grundlagen, die es uns ermöglichen, von den Machthabern Veränderungen und Umgestaltungen zu fordern.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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