Auf der Suche nach Honig

Unterm Triglav wird Lesenswertes verfasst. Ein Streifzug durch die zeitgenössische slowenische Literatur

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Pavillon des Ehrengastlandes Slowenien auf der 75. Frankfurter Buchmesse
Im Pavillon des Ehrengastlandes Slowenien auf der 75. Frankfurter Buchmesse

Kryptisch kommt das Motto des diesjährigen Gastlands der Frankfurter Buchmesse daher: »Waben der Worte«. Klingt wie aus der Feder Slavoj Žižeks. Der slowenische Philosoph gehört weltweit wohl zu den meistgelesenen Autoren seines Heimatlandes, mehr als 50 Bücher hat er bisher veröffentlicht, die in unzählige Sprachen, so auch ins Deutsche, übersetzt wurden. Belletristik von Žižek ist bisher nicht bekannt, zumindest hierzulande nicht. Doch dafür gibt es interessante Autorinnen und Autoren, die es lohnt zu lesen.

Zur Ausgangslage: Slowenien war einst die nördlichste und wohlhabendste Republik des sozialistischen Jugoslawiens. Als sich das Land 1991 vom Vielvölkerstaat und vom Sozialismus lossagte, wurde Kurs stramm gen Westen genommen. 2,1 Millionen Einwohner leben heute zwischen Alpen, Pannonischer Tiefebene und Adria, und so groß ist ungefähr auch die Zahl derer, die Slowenisch sprechen. 

Wer schreibt, hat kein großes Publikum und darf nicht darauf hoffen, von seiner Literatur leben zu können. Das heißt nicht, dass das geschriebene Wort in Slowenien keine Rolle spielt. Der Nationaldichter France Prešeren ist allgegenwärtig. Mit seinen Werken, verfasst im Slowenischen, der Sprache der Bauern, weckte er im 19. Jahrhundert den Nationalgeist. Das wirkt bis heute nach, die Hymne ist ein Prešeren-Gedicht.

Wer mehr darüber erfahren will, ist gut bei Andrej Blatnik aufgehoben. Der ist frei von nationalistischer Anwandlung, zugleich aber ein Kenner der slowenischen und US-Literatur. Im Frühjahr erschien sein Roman »Platz der Befreiung« – eine Abrechnung mit der postsozialistischen Transformation, in der Ellenbogen zum Fortbewegungsmittel nach oben wurden. Dagegen nimmt sich der Protagonist Blatniks die Freiheit des Punks hinaus: Verweigerung. Damit kommt man nicht weit, hat aber einen guten Beobachtungsposten, um einen Blick auf den ganz gewöhnlichen kapitalistischen Wahnsinn zu werfen.

Dabei kennt sich Blatnik auch in der kurzen Form gut aus, die Einflüsse aus Übersee sind herauszulesen. Doch es geht auch noch knapper. Lyrik wird in Slowenien, anders als hierzulande oftmals, gelesen. Sie ist aber angesichts des kleinen Buchmarktes keine sprudelnde Einkommensquelle. Eine Lyrikerin, die den Sound des ländlichen Sloweniens trifft, ist Stanka Hrastelj. Sie ist dabei eine Beobachterin, die selbst ihren Körper einsetzt, wenn es darum geht, den Alltag einzufangen.

Weniger körperlich und trotzdem nah dran ist Ana Schnabl. Mit ihrem Kurzgeschichtenband »Grün wie ich dich liebe grün« seziert sie die inneren Verwerfungen ihrer Protagonisten. Dabei bedient sie sich eines psychologischen Werkzeugs. Nicht verwunderlich, aus Ljubljana kommt eine eigene Schule der Psychoanalyse (Stichwort Žižek). Damit zeigt Schnabl die Verletzungen auf, die der moderne Mensch sich selbst zufügt – nicht nur aus bösem Willen, sondern als Resultat tieferer Entfremdung.

Die Schriftstellerin kann auch den großen Bogen schlagen. Geschichte spielt in Slowenien eine große Rolle. 1991 ist das Jahr der Eigenstaatlichkeit, groß werden die Jubiläen gefeiert. Schnabl gab zum 30. Jahrestag mit »Meisterwerk« einen Kommentar dazu ab. Aus den vermeintlichen Helden werden darin Angsthasen vor dem Leben. Schnabl nimmt sich dafür die 80er Jahre vor. Die waren ein Interregnum, in dem den Zeitgenossen nicht klar war, wo es hingeht, während eine nationalistische Welle über Kultur und Politik hereinbrach.

Das war keine perfekte Welle, einige ergriffen die Gelegenheit und surften auf ihr; andere wurden nach unten gedrückt wie die Arbeiterinnen und Arbeiter aus den anderen jugoslawischen Republiken, die Tschefuren. Tausende verloren über Nacht ihr Bleiberecht, ein Trauma bis heute. Ihnen und ihren Nachkommen hat Goran Vojnović – er gehört zu ihnen – ein literarisches Denkmal gesetzt. Mit »Tschefuren raus!« spießt er in einer lustig-provokanten Sprache die slowenische Mehrheitsgesellschaft auf, macht sich über die »Skifahrer« lustig und teilt den Schmerz der Ausgestoßenen.

Vojnovićs Debüt schlug ein, weil es tabulos war: direkt und hart. Die slowenische Sprache, die geschrieben eine andere ist als die gesprochene, wurde neu vermessen. Er blieb nicht dabei – mit »Vaters Land« und »Unter dem Feigenbaum« legte der Autor nach und blickte auf Jugoslawien, aber auch auf die Zerfallskriege. Die Bücher gehören zu den besten literarischen Annäherungen an die komplexen Themen dieser Region. Zugleich gelingt Vojnović der Blick ins Dickicht des Familiären, wie er in seinem jüngsten Roman »18 Kilometer bis Ljubljana«, dem Nachfolger seines Erstlings, erneut zeigt.

An dieser Stelle müssen auch die Gründe benannt werden, warum die slowenische Literatur auch hierzulande gelesen werden kann. Zum einen ist dafür Klaus Detlef Olof verantwortlich; er überträgt nicht nur die Worte ins Deutsche, und das bei vielen der erwähnten Autoren. Zum anderen sind es die Verlage Wieser und Folio, die systematisch die lesenswerten Werke zugänglich machen – auch wenn Slowenien gerade kein Gastland ist.

Doch nun kann in Frankfurt am Main in die slowenischen »Waben« geblickt werden. Möge es auch Honig geben. Glücklicherweise werden auch Stanka Hrastelj, Ana Schnabl, Andrej Blatnik und Goran Vojnović in Hessen sein. Ihre Veranstaltungen zu besuchen, sei hiermit ans Herz gelegt. Sie geben einen besseren Einblick in das sich nach außen beschaulich gebende Slowenien als die naturbeseelten Imagevideos, mit denen sich das Land seit den 80ern gern schmückt.

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