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Es lebe das Gaming!

Überraschung: Tonio Schachinger gewinnt den Deutschen Buchpreis

Mit seinem zweiten Roman hat Tonio Schachinger den Deutschen Buchpreis gewonnen, mit dessen Verleihung im Frankfurter Römer am Montagabend die Woche der Frankfurter Buchmesse eröffnet wurde. »Echtzeitalter« verhandele »auf erzählerisch herausragende und zeitgemäße Weise die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Literatur«, erklärte die Jury im typischen Jury-Sprech, um die Wahl aus der Shortlist mit fünf weiteren Romanen zu begründen. Die berufsschriftstellernde Terézia Mora ist es also nicht geworden; und auch nicht die DDR-Deuterin Anne Rabe.

In Schachingers Fall bedeutet »zeitgemäß«, dass sein Thema etwas mit Computerspielen zu tun hat, und »erzählerisch herausragend«, dass er ziemlich lässig und lustig schreiben kann. Das war schon bei seinem Debütroman »Nicht wie ihr« aufgefallen, einer Geschichte über einen erfolgreichen Profifußballer, dem sein Leben zu leer vorkommt, mit der Schachinger 2019 auf der Shortlist des Buchpreises gelandet war. Dieses ziemlich gute Buch verschwand damals ein bisschen im Trubel, den der damalige Gewinner Saša Stanišić veranstaltete, als er Peter Handke angriff, weil dieser mit dem Literaturnobelpreis einen noch größeren Preis gewonnen hatte – und in früherer Zeit die Kriege im zerfallenden Jugoslawien falsch dargestellt habe.

Schachinger hängte seine mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung am Montag abend wesentlich tiefer. »Ich freue mich sehr darüber. Vielleicht merkt man es mir nicht ganz so an. Aber es ist wirklich so«, sagte er und betonte mit Blick auf den aktuellen Krieg zwischen Hamas und Israel: »Wir wissen alle, dass das hier nicht das Wichtigste ist.« Es scheine schwer, dazu nichts zu sagen, aber auch sinnlos, etwas dazu zu sagen, denn er sei ja nur »ein lächerlicher kleiner Autor« aus Österreich, zog er sich nicht ungeschickt aus der Affäre und dankte ausdrücklich seiner Frau, »von der ich alles gelernt habe, was ich weiß, in diesem Leben«.

Tonio Schachinger ist ein junger Schriftsteller. Er wurde 1992 in Neu-Delhi geboren, als Kind eines österreichischen Diplomaten und einer mexikanisch-ecuadorianischen Mutter. Seine Eltern hatten sich in Wien kennengelernt, wo er dann aufwuchs und auf das Theresianum ging, ein Elitegymnasium mit uralter Tradition, bevor er Romanistik und Germanistik studierte.

In »Echtzeitalter« heisst das Theresianum etwas anders: Marianum. Eine Schule für die Oberschicht, von Schachinger »Aristos« genannt, deren Kinder sich mit langweiligem bürgerlichen Understatement »so kleiden, wie sie es ihr restliches Leben über tun werden: in grüne Polohemden und braune Segelschuhe, rosa Poloblusen und weiße Jeans«. Das Marianum ist eine ziemliche Hölle, die später von ihren Absolventen mit reaktionärem Korpsgeist verklärt wird, »weil man sie schließlich überstanden hat, und dass einen das mit den anderen verbindet, die ebenfalls nicht daran zugrunde gegangen sind«.

In diese Schule muss der zehnjährige Till als Kind reicher Eltern gehen und lernen, nicht unterzugehen, das ist vielleicht der sozialdarwinistische Bildungsauftrag der herrschenden Klasse für solche Institutionen. Till wird besonders von einem Deutschlehrer gepeinigt, der wie eine Karikatur aus dem konservativ-schulischen Bootcamp auf brutalen Frontalunterricht und reines Auswendiglernen setzt. Dabei folgt er drei »goldenen« Regeln: »nichts aus dem zwanzigsten Jahrhundert, keine Übersetzungen und nichts, was nicht als Reclamheft erhältlich ist«. Das ist dann tatsächlich der »gesellschaftliche Ort der Literatur«, von dem in der Begründung der Buchpreis-Jury die Rede war: statisch und dumm.

Till flüchtet in eine von ihm virtuos selbstbestimmt beherrschte Parallelwelt und spielt so lange »Age of Empires II«, bis er unter den international vernetzten Spielern einer der weltbesten ist. Bis auf zwei Mädchen merkt das niemand. Als er einmal seiner Mutter das Spiel erklären will, versteht sie natürlich kein Wort. Der Witz an diesem Spiel besteht darin, dass man erst auf komplexe Weise im Mittelalter Gesellschaften aufbaut, bevor man auf noch komplexere Weise gegen andere Krieg führt – einfach aus dem Grund, weil die Ressourcen knapper werden.

Um das zu schaffen, muss man mit anderen Spielern ständig interagieren. Dynamik und Auseinandersetzung, das ist an seiner Schule streng, weil dort die gesellschaftlichen Verhältnisse seit Jahrhunderten als eingefroren gelten sollen. »Echtzeitalter« aber ist ein schönes Update pubertärer Selbstermächtigung, »ein Coming-of-Age-Roman, wie man ihn heute nicht mehr für möglich gehalten hätte«, schrieb Fokke Joel in seiner Rezension in dieser Zeitung: »Ein Buch, das sich leicht liest, aber trotzdem noch lange nachwirkt.«

Tonio Schachinger: Echtzeitalter. Rowohlt, 368 S., geb., 24 €.

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