Fußball in Jugoslawien: Das Spiel töten

Wie das sozialistische Jugoslawien im Fußball starb: Das große kleine »Piksi-Buch« von Barbi Marković

Auch als Jugoslawien kaputt war, spielte Dragan Stojković (l.) weiter für ein kleineres Land, das immer noch so hieß. 1997 wurde Ungarn in der Relegation der WM-Quali besiegt.
Auch als Jugoslawien kaputt war, spielte Dragan Stojković (l.) weiter für ein kleineres Land, das immer noch so hieß. 1997 wurde Ungarn in der Relegation der WM-Quali besiegt.

In dem Herbst, in dem der Fußball ein weiteres Mal auf eklig-groteske Weise verraten und verkauft wurde, als die Fifa ihre WM für 2034 ohne jeden Protest der Mitgliedsländer nach Saudi-Arabien verschob, erschien fast zeitgleich ein kluges Büchlein von Barbi Marković, das mit dem Satz endet: »Ich hasse Fußball.«

Im Frühjahr hatte die Schriftstellerin den Preis der Leipziger Buchmesse für ihr Buch »Minihorror« erhalten, in dem es heißt: »Die Welt ist nicht in Ordnung, schlimme Sachen passieren, die Menschen sind überfordert und setzen nicht auf die Zukunft.« 2025 kommt erst mal Trump.

In »Minihorror« erlebte ein Pärchen bedrohliche Dinge, formuliert in niedlichem Kinderbuchstyle. Das war eine Mischung aus Roald Dahls »Küsschen, Küsschen«-Geschichten und den »Itchy and Scratchy«-Episoden aus den »Simpsons«, ebenso lustig wie brutal.

Im Herbst ließ Barbi Marković das »Piksi-Buch« folgen, in dem sie ungute Erinnerungen an ihre Kindheit in Form einer persiflierten Fußballreportage erzählt. Es ist in der interessanten Reihe »Ikonen« erschienen, die von Frank Willmann bei Voland & Quist herausgegeben wird. Darin verknüpfen verschiedene Autoren ihre Geschichten mit einer prägenden Fußballfigur. Der Titel »Piksi« erinnert an die kleinen »Pixi-Bücher« für Kinder; es ist aber auch der Spitzname von Dragan Stojković, einem legendären Mittelfeldspieler von Roter Stern Belgrad, der heute serbischer Nationaltrainer ist. Als solcher agiert er ziemlich erfolglos, in seiner aktiven Zeit aber sagte man ihm nach, schon der Staub auf seinen Fußballschuhen habe seine Mitspieler besser gemacht, wie eine Art Superkraft.

Das ist von Marković wiederum leicht und originell verpackt, und doch ist in ihrem »Piksi-Buch« der viel größere Horror zu finden. Sie ist 1980 in Belgrad geboren, und in ihrer Kindheit wurde ihr Land verraten, verkauft und auseinandergenommen: das sozialistische Jugoslawien. Nationalisten und Militärs zerlegten es in seine angeblich ethnischen Bestandteile, die ökonomische Krise wurde ab 1991 zum Bürgerkrieg. Dabei starben etwa 120 000 bis 200 000 Menschen. Schon diese Differenz zwischen verschiedenen Schätzungen verweist auf den inhumanen Wahnsinn, der da jahrelang wütete.

Marković deutet das bloß an, in dem sie ein Fußballspiel als Beginn des Zerfalls von Jugoslawien akzentuiert; ein Spiel, das bezeichnenderweise nicht stattfinden konnte, weil die Fans von Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad in Zagreb vor Anpfiff nicht nur sich selbst gegenseitig, sondern auch das Stadion attackierten. Das war auch eine Reaktion auf die ersten Wahlen in Kroatien kurz zuvor, die der Nationalist Franjo Tuđman gewonnen hatte.

Sportlich ging es an diesem 13. Mai 1990 um nichts mehr, es war der 33. Spieltag und Roter Stern war schon Meister. Aber ein Spielabbruch oder sogar eine Spielabsage, »ist das Größte, was Fußballfans machen können«, schreibt Marković, nämlich »das Spiel zu töten«. Piksi steht auf dem Platz zwischen Soldaten und Polizisten und kann nicht spielen.

Einen Tag später hat Barbi ihren 10. Geburtstag. Sie betrachtet in einer Sportsendung im Fernsehen die Ereignisse in Zagreb vom Vortag, als ihr Vater Slobodan anruft, um zu ihr zu gratulieren. Er ist ein freundlicher, friedlicher Fußballfan (»gewaltunfähig«). Wie oft musste sie ihren Geburtstag mit ihm im Fußballstadion verbringen, auch wenn er sich nur das Training anschauen wollte. Doch er wohnt nicht mehr mit seiner Tochter zusammen. Er erzählt ihr, wie er gerade mit seiner neuen Familie am Tisch sitzt und Krautrouladen isst. Denn »Slobodan Marković hält zu keinem Team, und genauso hält er auch nicht zu einer Familie«, erkennt seine Tochter, geht mit dem Telefon aufs Klo und wirft den Hörer verärgert in die Schüssel.

Während sich der Staat Jugoslawien auftrennt, trennt sie sich von ihrem Vater. Es ist die Zeit, wo sie auf dem Schulweg von »selbst ernannten Zugehörigkeitspolizisten« geschlagen wird. Täglich soll sie sich »zu einem Fußballteam, einer Nation, einer Musikrichtung und einer politischen Option bekennen«. Doch das will sie nicht, denn sie glaubt an keinen Gott und an kein Team und weiß, »worum es hier nicht geht: um Fußball«. Aber stets um Gewalt und Männlichkeit.

Trotzdem gibt es ein weiteres Spiel, das in diesem Buch das endgültige symbolische Ende Jugoslawiens beschreibt – nicht im Streit, sondern in der Trauer, dass es nicht geklappt hat. Und wieder steht Piksi auf dem Platz, sechs Wochen nach dem Desaster von Zagreb. Es ist der 30. Juni in Florenz, Jugoslawien spielt bei der WM gegen Titelverteidiger Argentinien.

Barbi schaut das Spiel im Fernsehen mit Slobodan an, der gekommen ist, um sich endgültig von seiner alten Familie zu verabschieden. Nach einer halben Stunde haben die Jugoslawen einen Spieler weniger – Gelb-Rote Karte. Und auch Barbi fühlt sich, als wäre sie weg vom Fenster. Weiß ihr Vater überhaupt noch ihren Namen? Doch die Argentinier schießen kein Tor. Auch nicht in der Verlängerung. Es kommt zum Elfmeterschießen. Piksi trifft die Latte, und auch Diego Maradona vergibt. Egal, Argentinien gewinnt schließlich 3:2.

Danach sitzen die jugoslawischen Spieler auf dem Rasen und weinen, denn »sie werden nie wieder zusammenspielen«. Slobodan Marković weint ebenfalls – überhaupt scheinen vor den Bildschirmen alle Jugoslawen zu weinen, weil sie schon bald keine mehr sein werden: »Sie weinen der Idee der Solidarität nach, die ist die toteste von allen. (…) Sie weinen, weil sie in die Kriege müssen, töten müssen. Weil sie Arschlöcher oder Opfer werden müssen.« All diese Tränen münden in Barbi Marković’ Frage: »Oh, ihr verflüssigten Typen, ihr Idioten aller Teams und Nationen, was habt ihr getan?« Ein kleines Buch (100 Seiten) – ein großes Buch über das Kaputtgehen der Kollektive.

Barbi Marković: Piksi-Buch. Voland & Quist, 100 S., br., 12 €.

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