- Politik
- Abschiebungen
Geflüchtetenrechte missachtet
Laut Pro Asyl und Gesellschaft für Freiheitsrechte verstieß eine Durchsuchung gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung
Die Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen in Baden-Württemberg hat 2018 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Am 30. April hatten 150 Geflüchtete durch ihre Solidarisierung mit einem Togolesen dessen Abschiebung verhindert. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach von einem »Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung«. Drei Tage nach der verhinderten Abschiebung stürmten 500 Polizist*innen morgens um 5.15 Uhr die Erstaufnahmeeinrichtung.
Alassa Mfouapon entwickelte sich damals zu einer Art Sprecher der Flüchtlinge. Am 20. Juni 2018 wurde er aus der LEA nach Italien abgeschoben. Im Anschluss an seine Rückkehr nach Deutschland ging er juristisch gegen seine Abschiebung und die Polizeigroßrazzia vor. Und tatsächlich urteilte das Verwaltungsgericht Stuttgart Anfang 2021, dass der Polizeieinsatz am 3. Mai 2018 aufgrund der frühen Uhrzeit rechtswidrig war, die Polizei also selbst nicht rechtstreu gehandelt hat, um es mit Seehofers Worten zu formulieren.
Auch die Abschiebung von Alassa Mfouapon beschäftigte schon mehrere Gerichtsinstanzen. Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2023 heißt es: »Die Überstellung des Klägers wurde am 20. Juni 2018 durchgeführt. Die Maßnahme begann um 4.00 Uhr morgens. Zwei Polizeivollzugsbeamte begaben sich zunächst zu dem dem Kläger zur Mitnutzung zugewiesenen Zimmer in der Einrichtung, wo sich der Kläger aber nicht aufhielt. Die Beamten trafen den Kläger sodann in den öffentlich zugänglichen Bereichen bei den Sanitäranlagen an. Sie erfragten seinen Namen und begleiteten ihn in das Zimmer.«
Abschiebungen, das zeigt dieser Fall, finden auch heute schon in der Nacht statt. Das sei die Regel, erklärt die Geflüchtetenorganisation Pro Asyl. Das »Rückführungsverbesserungsgesetz«, das noch im November durch das Bundeskabinett verabschiedet werden soll, würde insofern nur die bisherige polizeiliche Praxis legalisieren. Pro Asyl und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) halten diese für verfassungswidrig und haben deshalb Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erhoben.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Gültigkeit des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung für Geflüchtete in Erstaufnahmelagern bejaht, allerdings entschieden, dass die Polizei die Räume nicht durchsucht, sondern nur betreten habe, sodass keine richterliche Zustimmung notwendig gewesen sei. Die Ausreisepflicht stellt für das Gericht eine dringende Gefahr dar, die das Betreten des Zimmers rechtfertige.
»Unserer Ansicht nach stellt es eine Durchsuchung dar, wenn die Polizei in das Zimmer eines Geflüchteten eindringt, um ihn abzuschieben«, erklärt Sarah Lincoln, Rechtsanwältin bei der GFF. Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss hatte es damals jedoch nicht gegeben.
»Das Gericht entkernt den grundrechtlichen Schutz der Wohnung. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist wenig wert, wenn staatliche Akteure die Zimmer in Erstaufnahmeeinrichtungen nach Belieben und sogar nachts betreten können«, kritisiert Lincoln. »Dabei brauchen gerade Geflüchtete, die häufig durch Krieg, Verfolgung und Flucht schwer traumatisiert sind, einen geschützten Rückzugsraum.«
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts füge sich nahtlos in den derzeitigen Trend ein, »die Grundrechte von Geflüchteten für populistische migrationspolitische Forderungen zu opfern«, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. »Es ist Zeit für ein klares Signal aus Karlsruhe: Geflüchtete und Migranten dürfen grundrechtlich nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden!« Wichtig sei das vor allem angesichts der Pläne der Ampel-Regierung, der Polizei künftig sogar den Zutritt zu Zimmern von unbeteiligten Dritten in einer Unterkunft zu erlauben, um nach ausreisepflichtigen Menschen zu suchen. »Die Unverletzlichkeit der Wohnung muss für alle gelten, unabhängig von ihrer Herkunft!«, findet Alassa Mfouapon.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.