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Friedensbewegung: »Prävention ist das oberste Gebot«
Angelika Claußen von den Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) über die Friedensbewegung früher und heute.
Frau Claußen, Sie gehören zur Friedensbewegung und an vielen Orten der Welt herrscht Krieg. Was empfinden Sie gerade angesichts dieser Weltlage?
Es ist schrecklich. Mir geht es oft sehr schlecht. Ich frage mich immer: Was kann ich tun? Ich habe sehr viel Mitgefühl mit den israelischen Geiseln und mit den Palästinensern, die ohne Wasser, Strom und Gesundheitsversorgung eingepfercht sind. In Bezug auf die hunderttausenden Toten im Ukraine-Krieg empfinde ich das ähnlich. Wie lange soll das noch dauern?
Sie haben vor 40 Jahren den Beginn der Friedensbewegung miterlebt, als deren Teil 1980 auch die IPPNW gegründet wurden. Wie war diese Zeit für Sie?
Ich habe 1979 in Aachen gewohnt, da haben wir plötzlich mit mehreren tausend Menschen gegen die atomare Aufrüstung demonstriert. 1982 und 1983 war ich dann in Bonn dabei. Wir hatten viel Hoffnung und das Gefühl: Wir können in dieser Demokratie etwas bewirken, wir können hier in Deutschland wirklich etwas für den Frieden tun. Ein breites Bündnis hat uns durch die Gefühle von Sorge und Angst getragen.
Das klingt nach den gegenteiligen Gefühlen von denen, die Sie aktuell haben.
Die Situationen sind aber auch sehr unterschiedlich. Der Krieg in der Ukraine ist sehr, sehr nah. Die Bedrohung durch die Stationierung von Atomwaffen damals war natürlich schrecklich, aber es gab keine Drohung, dass sie sofort eingesetzt werden. Es herrschte, zumindest in Europa, immer noch Frieden. Jetzt, im Ukraine-Krieg, hat Russland schon zu Beginn mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, und das muss man ernst nehmen.
Warum haben sich in den 1980er Jahren Berufsgruppen wie die Ärzt*innen dazu entschieden, Teil der Friedensbewegung zu sein?
Wir wurden damals zu Fortbildungen verpflichtet, in denen wir die Triage lernen sollten, also das Aussortieren von nicht überlebensfähigen Opfern im Falle eines Atomkrieges, um erst mal die Gesündesten zu retten. Dabei ist es wahnwitzig, sich auf einen Atomkrieg vorbereiten zu wollen. In einem solchen Fall gibt es keine ärztliche Hilfe. Das war damals auch unsere Botschaft: »Wir werden euch nicht helfen können.« Der Atomkrieg muss verhindert werden. Prävention ist das oberste Gebot, wie in der Medizin.
Wie politisch sind Ihre jüngeren Kolleg*innen heute im Vergleich zu Ihnen früher?
Heute bekennen sich ganz viele Berufsgruppen zur Klimabewegung, und so gibt es auch viele Health-for-Future-Gruppen oder die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit. Die heutigen Ärzt*innen sind auch sehr politisch, aber eher im Bereich Klima als in der Friedensbewegung. Zwischen den Themen Hitze oder Ernährung und Gesundheit gibt es ja auch viele Anknüpfungspunkte.
Das »International« im Titel der IPPNW stand auch für die Überwindung des Eisernen Vorhangs. Was hatte das für eine Bedeutung?
Ich glaube, dass wir Ärzt*innen eine Brücke des Vertrauens mitgebaut haben. Der sowjetische Gründer Jewgeni Tschasow war Kardiologe und Gesundheitsminister der Sowjetunion, der amerikanische Gründer Bernhard Lown war ebenfalls Kardiologe und an der Harvard Medical School tätig. Beide waren überzeugt, dass ein Atomkrieg nicht führbar ist, sondern dass er die gesamte Menschheit zerstört. Diese Botschaft ist auch durch die Kraft der Friedensbewegung bei den Regierenden angekommen. 1985 erhielt die IPPNW den Friedensnobelpreis. 1987 wurde der INF-Vertrag über die Abschaffung der Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper geschlossen.
Von Seiten der USA und der Nato wurde der IPPNW allerdings vorgeworfen, von der Sowjetunion manipuliert zu sein.
Auch CDU und CSU haben uns das vorgeworfen, eigentlich der gesamten Friedensbewegung, dass sie ein trojanisches Pferd des Ostens sei, weil die DKP eine starke Position in der Bewegung hatte. Die IPPNW als ein Teil der Friedensbewegung hatte die besseren Kontakte immer zu westlichen Partnern. Der Politik war die Friedensbewegung ein Dorn im Auge. Als das Nobelpreis-Komitee der IPPNW im Oktober 1985 den Friedensnobelpreis zusprach, intervenierten Bundeskanzler Helmut Kohl, der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß sowie CDU-Generalsekretär Heiner Geißler in Oslo, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Doch sie hatten keinen Erfolg.
Der Ukraine-Krieg ist für die Friedensbewegung eine besondere Herausforderung. Die IPPNW setzen sich für eine Verhandlungslösung ein. Wie könnte so eine Lösung aussehen?
Das ist sehr komplex, denn jede Lösung müsste die dem Ukraine-Krieg zugrunde liegenden Konflikte angehen. Die IPPNW orientiert sich am Konzept der Friedenslogik, das Hanne-Margret Birckenbach und Sabine Jaberg entwickelt haben. Das bedeutet, dass wir jegliche Beendigung eines Krieges immer vom Frieden her denken müssen und dass die Mittel, die dazu eingesetzt werden, den Frieden auch schon mit enthalten müssen. Verfeindete Staaten oder Gruppen müssen so in Strukturen beziehungsweise Verträge eingebunden werden, dass Gewalt vermieden wird. Bei den Abrüstungsverträgen des Kalten Krieges hat das funktioniert, zum Beispiel beim INF-Vertrag. 2021 trat infolge der Kampagne der weltweiten Friedensbewegung dann der Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. Dieser Vertrag konkretisiert die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zu atomarer Abrüstung. Die Anerkennung und die Umsetzung von Völkerrecht und Menschenrecht als Teile des internationalen Rechts sind eine wesentliche Grundlage für den Frieden, sie bekräftigen das Gewaltverbot.
Im Fall der Ukraine steht allerdings zu befürchten, dass nicht viel von ihr übrig bliebe, wenn sie zu kämpfen aufhören und verhandeln wollen würde.
Unser Papier zu Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine zeigt auf, welche Vorschläge es gibt und dass Verhandlungen möglich sind, wenn beide Seiten dazu bereit sind. Die IPPNW geht davon aus, dass der Krieg in der Ukraine nur global beendet werden kann. In die Verhandlungen dazu müssten neben den unmittelbaren Kriegsgegnern auch Drittstaaten einbezogen werden, zum Beispiel China, dessen Ratschläge Russland vermutlich am ehesten beachtet, aber auf der anderen Seite auch die Nato-Staaten und die EU. Vermutlich wird es in längerfristigen Friedensverhandlungen um die Frage der Neutralität der Ukraine gehen. Dann bräuchte die Ukraine aber andere Sicherheitsgarantien. Ein erster Vorschlag in Richtung Waffenstillstand könnte zum Beispiel sein, eine demilitarisierte Zone um das Atomkraftwerk Saporischschja einzurichten, wie schon von der Internationalen Atomenergiebehörde vorgeschlagen.
Die deutsche Friedensbewegung ist im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg sehr von Rechten vereinnahmt worden. Wie gehen Sie damit um?
Das ist schwierig. Die IPPNW schließt Aktionen, an denen die AfD beteiligt ist, grundsätzlich aus. Unser Einsatz für die Klimakrise und für die Rechte von Flüchtlingen verhindert, dass Menschen mit rechtextremen Gedankengut zu uns kommen. Leider ist die Friedensbewegung sehr gespalten.
Haben Sie Hoffnung, dass sämtliche Regime und Gruppen, die weltweit Gewalt ausüben, irgendwann auf pazifistischem Wege überwunden werden können?
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas zeigt ja gerade sehr deutlich: Es gibt keine militärische Lösung. Auch in der Ukraine darf nicht gewartet werden, bis das ganze Land zerstört und in Schutt und Asche gelegt ist, mit einer schwer traumatisierten Bevölkerung. Leider sind Russland und die Ukraine, Israel und die Hamas mittlerweile in dieser Kriegslogik gefangen. Andere Länder, am besten die Vereinten Nationen, müssen jetzt eingreifen und Verhandlungen auf übergeordneter Ebene anbahnen, ja wahrscheinlich forcieren. Und ich habe die Hoffnung, dass da endlich nach Lösungen gesucht wird, die den Krieg beenden.
Angelika Claußen ist Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Ko-Vorsitzende der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) sowie Präsidentin der IPPNW Europa. Schwerpunkte ihres politischen Engagements sind internationale Friedenspolitik, Klima und Krieg, Atomausstieg sowie Menschenrechte. Claußen behandelte unter anderem traumatisierte Geflüchtete, Folterüberlebende und Menschen mit frühkindlichen Extremtraumatisierungen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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