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Gregor Gysi: »Die Partei wird wieder enger zusammenrücken«
Gregor Gysi sieht in der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels Perspektiven für Die Linke
Herr Gysi, haben Sie schon einmal von Sahra Wagenknecht geträumt?
Da ich mich an die meisten meiner Träume nicht erinnern kann, weiß ich es nicht.
Falls Sie von Sahra Wagenknecht träumen würden: Wäre es ein Albtraum oder ein schöner Traum?
Weder noch. Ich versuchte, Sahra zu überzeugen, in der Linken zu bleiben, aber sie ist schon sehr weit weg. Dabei kann sie eigentlich nicht sagen: Die Linke ist plötzlich so unerträglich geworden. Ihr Buch »Die Selbstgerechten« hat sie schließlich schon im April 2021 veröffentlicht. Trotzdem hat sie sich entschieden, als Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen zu kandidieren. Danach hat sie allerdings zusammen mit ihrem Mann dazu aufgerufen, im Saarland nicht Die Linke zu wählen. Das darf man nicht. Aber das alles ist für mich nicht ausschlaggebend.
Was ist für Sie ausschlaggebend?
Meine Partei ist keine Einheitspartei, sondern eine »Von-bis-Partei« – und da gehört für mich Sahra Wagenknecht ebenso dazu wie andere und ich. Dennoch wird sie gehen, was ich politisch und moralisch nur verurteilen kann.
Gregor Gysi ist einer der prominentesten Politiker der Partei Die Linke. Der gebürtige Ostberliner wurde im Dezember 1989 zum Vorsitzenden der SED gewählt. Er übte diese Funktion auch nach der Umbenennung der Partei in PDS bis 1993 aus. Der 75-Jährige war langjähriger Vorsitzender der Bundestagsgruppe und später der Fraktion der PDS (1990-2000). Von 2005 bis 2015 war er erneut Chef der Linksfraktion im Bundestag. In seinem Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick gewann er insgesamt sieben Mal ein Direktmandat, so auch 2021. Nebenbei veröffentlichte Gysi zahlreiche Bücher. Sein jüngstes, »Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi«, soeben erschienen im Aufbau-Verlag, verfasste er gemeinsam mit Hans-Dieter Schütt.
Sie haben Wagenknecht und andere vergeblich zu überzeugen versucht, bei der Linken zu bleiben. Welche Konsequenzen hat das für Sie und die Partei?
Wir werden eine neue Rettungsaktion für die Partei starten.
Darin haben Sie eine gewisse Routine ...
Ja, ich habe schon drei solche Aktionen durchgeführt. Die erste im Dezember 89, die zweite Anfang der 90er Jahre, als wir politisch-moralisch von unseren Gegnern ausgegrenzt wurden, und die dritte, als wir mit falschen Steuerbescheiden ruiniert werden sollten. Jetzt haben sich offenbar ein paar Linke gedacht: Wenn es den Gegnern nicht gelingt, uns zu ruinieren, machen wir es eben selbst.
Wie läuft die aktuelle Rettungsaktion?
Ich besuche derzeit viele Parteiveranstaltungen. Immer, wenn ich dort sage, dass ich bleibe, und wissen möchte, ob die anderen auch bleiben und ob wir gemeinsam kämpfen werden, kriege ich sehr viel Beifall.
Wird Wagenknechts Partei Erfolg haben?
Ich glaube, nicht langfristig. Sahra will Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie der CDU-Politiker Ludwig Erhard und Sozialpolitik wie Die Linke. Sie denkt, dass die Wählerinnen und Wähler sich addieren. Aber das funktioniert so nicht. Vielleicht kann Sahra damit noch bei der Europawahl und 2024 in ein, zwei neuen Bundesländern erfolgreich sein. Aber ich glaube nicht, dass sie damit 2025 in den Bundestag kommt.
Ist die Gründung einer Wagenknecht-Partei das Todesurteil für Die Linke?
Nein. So wie ich die Mitglieder meiner Partei kenne, wird es die Leidenschaft zu kämpfen neu entfachen, auch wenn es natürlich anstrengend wird. Aber die Partei wird dann wieder enger zusammenrücken.
Wer soll Die Linke retten, wenn Sie es mal nicht mehr können?
Ich mache das ja nicht allein. Ich werde unter anderem von den Parteivorsitzenden und dem Bundesgeschäftsführer sowie Dietmar Bartsch und Jan Korte unterstützt. Aber es freut mich natürlich auch, dass ich ein bisschen gewichtig dabei bin.
Wer braucht Die Linke noch? Und wozu?
Wenn ich an die Entwicklung zum Nationalismus denke, an die Pandemie, den Krieg, die Inflation, die Energiekrise und die Klimakatastrophe, ist ein linkes Politikangebot sehr wichtig. Darauf müsste sich meine Partei besinnen. Dann bekommt sie auch wieder den Stellenwert in der Gesellschaft, den sie benötigt, damit ihre Argumente gehört werden. Dazu muss sie aber auch endlich mit der Selbstbeschäftigung aufhören und ihre eigentlichen Rollen übernehmen.
Was sind die Rollen Ihrer Partei?
Ich sehe vor allem fünf Aufgaben. Erstens: sich für eine reale Friedenspolitik einzusetzen. Zweitens: sich für mehr soziale Gerechtigkeit zu engagieren. Die soziale Spaltung vertieft sich immer weiter. Das darf so nicht weitergehen. Die zwei reichsten Menschen Deutschlands haben zusammen ein größeres Vermögen als die ärmere Hälfte unserer Bevölkerung, also 42 Millionen Menschen. Das ist absurd! Deshalb brauchen wir mehr Steuergerechtigkeit, es darf nicht alles von der Mitte bezahlt werden. Warum werden die Konzerne und Banken kaum herangezogen? Sie soll sich drittens für die ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung einsetzen. Viertens muss sie sich der Gleichstellung von Frau und Mann widmen. Und fünftens für die Gleichstellung von Ost und West kämpfen. Das macht zwar auch die AfD, aber nur oberflächlich. Das hat sie von uns geklaut. Wir müssen es wieder vertieft machen.
Warum wählen so viele Menschen in Ostdeutschland die AfD?
Das ist zunächst nicht ein ostdeutsches, sondern ein weltweites Phänomen. Derzeit würde Trump die Wahlen in den USA gewinnen, und wir haben Erdoğan, Orbán, Meloni, Duda, Le Pen und die AfD. Überall auf der Welt haben die Menschen Angst vor der Globalisierung und vor Flüchtlingen. Die AfD und andere Rechtsextreme und Nationalisten nutzen diese Ängste aus und sagen: »Wir lösen das alles national. Ihr müsst weder an die EU glauben noch an irgendwas anderes.« Das ist zwar völliger Unsinn, aber es wirkt.
Warum verfängt rechte Rhetorik?
Menschen wählen nun einmal gern Wünsche, nicht Realitäten. Das ist ein generelles Problem. In Ostdeutschland kommt das gestörte Selbstbewusstsein hinzu, das aus der Zeit der Herstellung der Einheit resultiert. Zudem kannte man in der DDR – außer in Berlin und in Leipzig – keine Menschen muslimischen Glaubens. Das war den Menschen fremd, es gab keine Eingewöhnungsphase. Und auch meine Partei hat einen Fehler begangen: Wir haben nach der Vereinigung mit der WASG den Osten vernachlässigt. Das soll und muss korrigiert werden.
Wie ist der Siegeszug der AfD zu stoppen?
Dazu müsste es Gespräche zwischen allen demokratischen Parteien inklusive der Linken geben, wie wir jene, die das Vertrauen in die etablierte Politik verloren haben, zurückgewinnen können. Dabei geht es nicht nur um Menschen, die für die AfD stimmen, sondern auch diejenigen, die gar nicht mehr oder ungültig oder eine Kleinstpartei wählen, um es den Etablierten zu zeigen. Und wir müssen mehr über unsere eigenen Fehler nachdenken. Wenn die Ampel-Koalition eine Entscheidung trifft, lautet der zweite Tagesordnungspunkt stets: Wie verkaufen wir das der Bevölkerung? Aber die Menschen haben dafür einen Instinkt und verlieren so Vertrauen.
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