Bezahlkarte für Geflüchtete: Cash als deutsches Privileg

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) fordert Chipkarten statt Bargeld-Hilfen und sorgt für Unmut bei Flüchtlingsrat und Opposition

»Das ist Geld aus deutschen Sozialkassen, das Geld soll hierbleiben«, sagte Dietmar Woidke (SPD) jüngst bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Frankfurt am Main. Brandenburgs Ministerpräsident plädiert für die Einführung einer Bezahlkarte, mit der Geflüchtete ohne eigenes Konto bargeldlos bezahlen könnten. In der Vorstellung Woidkes geschieht das unter dem wachsamen Auge des Sozialamts: So könne unter anderem die Finanzierung »krimineller Schlepperstrukturen« verhindert werden.

Die Forderung des Ministerpräsidenten richtet sich in erster Linie an den Bund, könnte laut SPD-Politiker aber auch auf Landesebene umgesetzt werden. Zuvor hatten Brandenburger Kommunen, die auf geringere Anreize für Asylsuchende hoffen, sich für die Chipkarte starkgemacht. Zudem könne die Maßnahme Warteschlangen vor den Ämtern quasi abschaffen und den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren. Auf dem kommenden SPD-Landesparteitag im November soll das Thema ebenfalls zur Sprache kommen.

Unklar ist noch, inwieweit es möglich sein soll, mit der Chipkarte Geld abzuheben. Bei einer in Hannover geplanten »Socialcard« sind weder Einschränkungen noch Überweisungskontrollen geplant. Technisch möglich wäre es dem Berliner Entwickler zufolge jedoch allemal. Auch deshalb hat Kristin Neumann vom Flüchtlingsrat Brandenburg ihre Probleme mit den Plänen. »Wir halten diese Karten für sehr entmündigend«, sagt sie zu »nd«. Immer wieder werde beteuert, dass die Chipkarte allerorts nutzbar sei, doch: »Wir alle wissen, dass man in Brandenburg und selbst in Berlin nicht überall bargeldlos bezahlen kann.«

Leiden könnten aus Sicht Neumanns vor allem die Kinder der Geflüchteten, wenn der Zugriff auf Bargeld eingeschränkt wird. »Man ist im Tierpark und will das Kind für zwei Euro auf dem Pony reiten lassen oder will ihm ein bisschen Geld in die Schule mitgeben«, führt die Flüchtlingsrat-Sprecherin aus. Das zu unterbinden, sei diskriminierend. Sogar preiswertes Gemüse auf dem Markt einzukaufen, werde zur Herausforderung – und zwar in Zeiten steigender Lebensmittelpreise.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Hinter dem Argument, die Chipkarte könne den bürokratischen Aufwand bei den Ämtern minimieren, wittert Neumann einen Vorwand. Schon jetzt sei es ohne Probleme möglich, Geflüchteten Geld zu überweisen. Über Konten verfügten die allermeisten von ihnen, frühere Probleme mit der Authentifizierung seien durch die Antidiskriminierungsstelle weitgehend geklärt worden. »Es ist gewollt, dass die Menschen ins Amt kommen, um Kontrolle auszuüben«, sagt Neumann. »Auf Tage, an denen Termine stattfinden und Geflüchtete vor Ort sein sollen, können zum Beispiel Abschiebungen gelegt werden.« Ein Vorteil ergäbe sich durch die Bezahlkarte nur dann, wenn nicht ein Kontrollmoment einen anderen ersetzen würde.

Für Probleme mit dem Projekt Chipkarte könnte zudem ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts sorgen. Demnach, so Neumann, dürfe das Asylbewerberleistungsgesetz nicht zu asylpolitischen Zwecken und somit nicht zur Abschreckung von Asylsuchenden instrumentalisiert werden. Konzepte, die auf Gutscheinen und Sachleistungen statt Geldauszahlungen basieren, seien längst überholt. »Trotzdem ist es genau das, was jetzt wieder passiert«, ergänzt Neumann. Die Diskussion über Bezahlkarten sieht sie in einer Reihe mit der aktuellen Forderung, Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, und der Entscheidung Brandenburgs, Familiennachzug aus Syrien zu verbieten. »Vieles erinnert gerade an die Rhetorik der 90er Jahre, als demokratische Parteien extrem rechtes Gedankengut legitimiert haben. Rassistische Gewalt war die Folge.«

Von einer Diskursverschiebung spricht auch Andrea Johlige, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im brandenburgischen Landtag. Einer Chipkarte steht sie im Prinzip offen gegenüber, wenn Überweisungen ins Ausland und Geldabheben ermöglicht werden. »Wir reden hier über das Existenzminimum«, sagt Johlige zu »nd«. Von dem Geld, das Geflüchteten zur Verfügung stehe, könnten höchstens ein paar Euros abgespart werden. »Man tut so, als ob da riesige Summen das Land verlassen, aber das ist Quatsch. Ein Überweisungsverbot würde nicht dazu führen, dass auch nur ein einziger Flüchtling weniger kommt

Indem sich Woidke auf rechte Debatten einlässt, versucht er aus Sicht der Linke-Politikerin, vom Unvermögen der Regierung abzulenken. Ohne Not habe die Koalition erst kürzlich eine Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain (Elbe-Elster) geschlossen. »Man kann sich weiter ausdenken, wie man Flüchtlingen das Leben schwer macht, oder eben einfach seinen Job machen«, kritisiert Johlige. Was es stattdessen brauche, seien ein Ende von Arbeitsverboten und intensive Deutschkurse vom ersten Tag an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -