Kinderschutz als rechtes Einfallstor

Antifeminismus ist zentral für die Ideologie von Rechtsextremen – und hilft ihnen zugleich, Brücken zu anderen Milieus zu bauen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Anschlussfähig für die Mitte der Gesellschaft: Protest gegen Pläne der rot-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg, in Schulen über sexuelle Vielfalt zu informieren
Anschlussfähig für die Mitte der Gesellschaft: Protest gegen Pläne der rot-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg, in Schulen über sexuelle Vielfalt zu informieren

Die Parole ist auf Autohecks genauso zu lesen wie in Internetforen: »Hände weg von unseren Kindern!« Sie dürfte bei vielen Lesern auf wenig Widerspruch stoßen; Kinderschutz ist schließlich ein verbreitetes Anliegen. Tatsächlich ist sie im konkreten Fall aber Teil einer rechtsextremen Kampagne, wie sie in Sachsen beispielsweise von der Kleinpartei »Freie Sachsen« getragen wird. »Es geht darum, Bedrohungsszenarien aufzubauen«, sagt Johanna Niendorf vom Else-Frenkel-Brunswick-Institut (EFBI) an der Universität Leipzig.

Niendorf hat sich für einen aktuellen Report von EFBI und Amadeu-Antonio-Stiftung damit befasst, welche Rolle Antifeminismus für die extreme Rechte spielt. Dieser beinhaltet den Kampf gegen eine angebliche »Gender-Ideologie« oder die »Frühsexualisierung von Kindern« genauso wie die Verteufelung von Trans-Personen oder unkonventionellen Familienmodellen. Letzteres entwickle sich gerade zu einem Schwerpunkt, sagt die Forscherin. Das traditionelle Modell von Vater, Mutter und Kindern soll demgegenüber ebenso verteidigt werden wie die vermeintliche Natürlichkeit der Geschlechter. Niendorf verweist auf die verbreitet vertretene Überzeugungen, wonach »eine Frau eine Frau bleiben soll und ein Mann ein Mann«.

Antifeminismus ist keine neue Erscheinung. Debatten um Geschlechterrollen gab es bereits im 19. Jahrhundert; schon damals wurde die Emanzipation von konservativen Teilen der Gesellschaft als Indiz für deren Zerfall interpretiert. Für das Denken der extremen Rechten sei Antifeminismus ein »konstitutiver Bestandteil«, sagt Niendorf; es handle sich um eine »eigenständige Ideologie der Ungleichheit« neben Rassismus oder Antisemitismus. Derzeit, fügt sie unter Verweis auf eine für den Report angestellte Analyse von fast 400 rechtsextremen Chatgruppen und Kanälen aus Sachsen im Nachrichtendienst Telegram an, scheine das Thema an Bedeutung zu gewinnen.

Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass es eine »Brückenfunktion« erfüllt, wie Marie Künne von der Amadeu-Antonio-Stiftung sagt. Dabei geht es zunächst um eine Brücke zwischen verschiedenen Akteuren der extremen Rechten wie den Parteien III. Weg, Die Heimat (ehemals NPD) oder der AfD, vor allem aber zu anderen Teilen der Gesellschaft, zum Beispiel christliche Kreise oder Elterninitiativen. Antifeministische Positionen seien »breit in der Gesamtbevölkerung verankert, auch in der sogenannten bürgerlichen Mitte«, sagt Künne unter Hinweis auf Befunde der Leipziger Autoritarismusstudie. Bei dieser hatte 2022 fast ein Viertel der Befragten der Aussage zugestimmt, durch den Feminismus werde die »gesellschaftliche Harmonie und Ordnung gestört«. Auch Homosexualität stößt in manchen konservativen und fundamentalistisch christlichen Milieus auf anhaltende Ablehnung. Gleiches gilt für moderne sexualpädagogische Konzepte, deren Umsetzung in Kitas und Schulen von Rechten als »Frühsexualisierung« diffamiert wird.

Für den Report hat Künne untersucht, welche Rolle Antifeminismus in Telegram-Kanälen von »Montagsdemonstranten« und ähnlichen Gruppen in Nordsachsen spielt. Die Wissenschaftlerin konstatiert, er sei »nicht das zentrale Mobilisierungsthema«. Als solche wirkten noch immer vorwiegend der Krieg in der Ukraine sowie Corona und Impfen. Hetze gegen »Gender-Ideologie« oder LGBTIQ+ sei aber dennoch dauerhaft präsent und stoße vor allem »nicht auf Widerspruch«. Damit vollziehe sich eine »Normalisierung antifeministischen Gedankenguts« und eine schleichende Radikalisierung.

Zugleich werde die Brücke zu anderen menschenfeindlichen Einstellungen und Verschwörungstheorien geschlagen. Künne spricht von einem »Einfallstor«. Johanna Niendorf verweist darauf, dass die sogenannte Gender-Ideologie als Teil eines staatlichen »Umerziehungsprojekts« gedeutet wird und als »Chiffre für eine größere, zersetzende gesellschaftliche Entwicklung«. Debatten um eine angebliche Aufweichung von Männlichkeit wiederum werden oft mit rassistischen Diskursen verbunden. Migranten werden dabei einerseits als Bedrohung empfunden, weil sie den Einheimischen »die Frauen wegnehmen«, andererseits als Verkörperung eines Männlichkeitsideals, das in Deutschland und Europa zunehmend erodiere.

Zu den dominanten Narrativen im Bereich Antifeminismus gehört nach Einschätzung der Forscherinnen das Thema Kinderschutz. »Das ist kein neues Thema der extremen Rechten, aber es gewinnt anscheinend derzeit an Bedeutung«, sagt Johanna Niendorf. Dabei werden moderne Konzepte der Sexualaufklärung, die in Kitas und Schulen umgesetzt werden, zum »Einfallstor« für Pädophile und, wie es unter Rückgriff auf Vokabular aus der NS-Zeit heißt, »Kinderschänder« erklärt, die man wiederum in Homosexuellen und Trans-Personen verkörpert sieht. Das Thema wird aktuell beispielsweise von der AfD besetzt, die vor wenigen Tagen im Brandenburger Landtag beantragte, die Sexualaufklärung in Kitas zu stoppen und entsprechende Weiterbildungen der Erzieherinnen zu beenden. Ein AfD-Abgeordneter zeichnete das Schreckensbild einer »zweiten, stillen sexuellen Revolution«, die diesmal Kinder »ins Visier nehme«. Nach Beobachtung Niendorfs besetzen daneben auch Initiativen wie »Eltern stehen auf« und die in Südwestsachsen stark verankerte Kleinpartei III. Weg das Thema Frühsexualisierung sehr stark.

Die Folgen sind durchaus bedrohlich. Zwar stellt EFBI-Forscher Johannes Kiess im Vorwort zu dem Report fest, dass antifeministische Online-Agitation »weniger auf eine zentral organisierte Mobilisierung als auf Identifikation und Affekte« gerichtet sei. Sie mündete aber auch schon in Kampagnen etwa gegen den Christopher Street Day in Döbeln oder eine Theateraufführung in Zwickau (siehe unten) – und in Gewalt. Die RAA-Opferberatung verzeichnete für das vergangene Jahr in Sachsen 21 queerfeindliche Angriffe, ein Plus von 163 Prozent. In 16 Fällen handelte es sich um Körperverletzungen.

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