Druck auf Netanjahu wächst

Die Kritik an der israelischen Regierung und ihrem Umgang mit Hamas in der Vergangenheit nimmt zu

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die politische Landschaft Israels hat sich in den vergangenen Wochen gewandelt. Zwar findet man sie immer noch, die linken Stimmen, die differenzieren. Die rechten Brüller, die jetzt das Maximum fordern. Doch die Umfragen sprechen eine deutliche Sprache: Seit dem Massaker im Süden Israels, dem Beginn des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen, aus dem Südlibanon, vor dem mittlerweile nicht einmal mehr der abgelegene Urlaubsort Eilat am Roten Meer verschont geblieben ist, haben viele Menschen die Extreme aufgegeben und sich in der Mitte vereint.

Aber nicht hinter dem eigentlichen Regierungschef Benjamin Netanjahu, der ab Dezember vergangenen Jahres versuchte, mit einer ultrarechten Koalition zu regieren. Sondern hinter Benny Gantz, einst Generalstabschef, jetzt Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion Chosen LeYisrael, »Widerstandskraft für Israel«. Gantz setzte nach Kriegsbeginn durch, dass Netanjahu eine Notstandsregierung bildet, seine eigentlichen Koalitionspartner aufs Abstellgleis schickt, sämtliche Gesetzgebung auf Eis legt und der Krieg von einem nur noch dreiköpfigen Gremium aus Gantz, Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant gemanagt wird.

Das sichtbarste Ergebnis: Rund um den Gazastreifen sind zwar über 360 000 Soldaten samt schweren Geschützen aufmarschiert; die Luftwaffe bombardiert unablässig Ziele von Hamas und Islamischem Dschihad. Aber der Beginn des eigentlichen Anfangs, der Bodenoffensive, lässt auf sich warten, und das liegt nicht nur am Überraschungsmoment: Das letzte Mal, dass das israelische Militär in Städten gekämpft hat, war während des Sechstagekriegs 1967. Und auch wenn Israel diesen Krieg gewann, das Westjordanland, Ost-Jerusalem, den Gazastreifen und die Golanhöhen eroberte, sind den Entscheidern auch die Lehren in Erinnerung geblieben: Die damalige, von der heute bedeutungslosen Arbeitspartei dominierte Regierung hatte keinen Plan dafür, was mit den besetzten Gebieten geschehen sollte. Es folgten ein sechsjähriger Zermürbungskrieg und dann der Jom-Kippur-Krieg.

Heute sind sich viele israelische Militärfunktionäre sicher: Man brauche eine Strategie für die Zeit nach dem Krieg, müsse alle Eventualitäten durchspielen, und vor allem brauche man Realismus in der Politik, sagt der ehemalige Regierungschef Ehud Barak, der während der Zeit der Osloer Verträge Generalstabschef war. Dass die Macht der Hamas über den Gazastreifen ein Ende finden muss, darin sind sich mittlerweile so gut wie alle Akteure in der Region und im Westen einig. Nur wie soll dieses Ende aussehen? In den vergangenen Tagen brachte der französische Präsident Emmanuel Macron eine Beteiligung der internationalen Koalition gegen den »Islamischen Staat« ins Spiel; sie sei im Kampf gegen den Terrorismus sehr erfahren. Viele westliche und israelische Politiker sind skeptisch, und das auch, weil am Ende des Kriegs gegen den IS eine ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt war – das irakische Mossul. Und dennoch: Israels Militär wird nach einer Bodenoffensive nicht langfristig die Kontrolle ausüben können. Die offizielle palästinensische Regierung dürfte dazu ebenfalls nicht in der Lage sein. Es bliebe Ägypten, das Gaza bis 1967 kontrollierte, den Landstrich aber nicht zurückhaben will. Oder ein internationales Mandat. Bislang galten ausländische Truppen in direkter Nachbarschaft zu Israel als »rote Linie«. Mittlerweile sind viele in der Politik auch offen für diese Idee, zumal alles andere erkennbar gescheitert ist. Die jahrelange Blockade hat den Raketenbau nicht verhindert.

Nach dem letzten großen Gaza-Krieg 2014 hatte sich Netanjahu über ägyptische Vermittler in einen indirekten Dialog mit der Hamas unter Umgehung der offiziellen palästinensischen Regierung begeben, und Generäle und Politiker sagen, dass sie irgendwann tatsächlich geglaubt hatten, dass man mit der Hamas reden kann. Die vielen kurzen Konfrontationen, die immer sehr schnell endeten, hatten auch den Eindruck erzeugt, dass die Hamas keinen weiteren Krieg mehr will, ein Trugschluss: Während sich die Führung in Gaza als recht pragmatische Regierung präsentierte, plante der als Essedin-al-Kassam-Brigade bekannte terroristische Flügel im Hintergrund bereits die Massaker vom 7. Oktober.

Unklar bleiben deren Absichten. War der Angriff das Ergebnis eines Machtkampfes innerhalb der Organisation? Auch wenn die Hamas Pressesprecher hat, sogar einige der Funktionäre im Politbüro ansprechbar sind, ist nahezu nichts von dem, was sie sagen, glaubwürdig. Informationen sind widersprüchlich und oft erkennbar falsch. Eine realistische Strategie ist hinter dem Handeln der Hamas nicht zu erkennen. Den Verantwortlichen muss bewusst gewesen sein, dass Israels Regierung weder alle palästinensischen Gefangenen freilassen noch die Blockade komplett aufheben wird, nachdem innerhalb kürzester Zeit 1400 Menschen getötet wurden.

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