• Politik
  • Frachterkollision in der Deutschen Bucht

Ursache weiter unklar

Beim Schiffsunglück nahe Helgoland kamen fünf Seeleute ums Leben. Ermittlungen begonnen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Etwa 20 Kilometer südwestlich der Insel Helgoland und 30 Kilometer nordöstlich der Insel Langeoog spielten sich am Dienstagmorgen dramatische Szenen ab. Gegen fünf Uhr stießen die Frachtschiffe »Polesie« und »Verity« zusammen. Während der 2009 gebaute und unter der Flagge der Bahamas fahrende 190 Meter lange Schüttgutfrachter »Polesie« danach mit allen 22 Seeleuten aus eigener Kraft Cuxhaven anlaufen konnte, sank das kleinere, unter britischer Flagge fahrende und 2001 gebaute Schiff »Verity« in kürzester Zeit. Von der siebenköpfigen Besatzung konnten zwei Seeleute lebend und einer tot geborgen werden. Am Mittwoch wurde die Suche nach den vier Vermissten eingestellt. Es bestehe keine Hoffnung mehr für sie, hieß es.

Am Donnerstag nahmen die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) und die Staatsanwaltschaft Hamburg Untersuchungen auf. »Unser Fokus liegt darauf, die Unfallursache zu klären unter Einbeziehung sämtlicher Faktoren«, sagte BSU-Direktor Ulf Kaspera. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Schiffsverkehrs.

Das Wetter war zum Unfallzeitpunkt rau. Bis zu 23 Schiffe, mehrere Hubschrauber der Bundespolizei sowie der Marine suchten das Seegebiet mehrmals nach den Vermissten ab. Man setzte Unterwassertechnik ein, um zu klären, ob Menschen in der »Verity« eingeschlossen sind. Erfolglos. Nach der Einstellung der Suche am Mittwochmorgen gab das Havariekommando in Cuxhaven die Einsatzleitung an das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt ab.

Auf den Nordseeinseln und an den Küsten geht derweil die Angst vor Umweltverschmutzung um. Zwar hatte die »Verity« nur Stahlblech geladen, doch die Tanks sind mit 127 Kubikmeter Marinediesel gefüllt. Rund 90 Liter seien bis dato ausgetreten, trieben aber weder in Richtung Helgoland noch in Richtung Küste, erklärte der Leiter des Havariekommandos, Robby Renner. Im Gegensatz zu Schweröl, mit dem größere Schiffe betrieben werden, verteilt und verflüchtigt sich Diesel an der Wasseroberfläche.

Derzeit werde überprüft, »ob der restliche Treibstoff sicher verschlossen ist oder man ihn abpumpen kann«, erklärte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Ob die »Verity«, die in 30 Metern Tiefe liegt, geborgen werden kann, ist unsicher. Havariekommandochef Renner verwies zudem auf die Zuständigkeit des Eigners.

Der Unfall ereignete sich in der Deutschen Bucht, einem der meistbefahrenen Seegebiete weltweit. Bei den Anwohnern der niederländischen, deutschen und dänischen Nordseeinseln und -küsten hatte erst im Juli ein anderes Schiffsunglück Sorgen vor einer Umweltkatastrophe wachsen lassen: Der Autotransporter »Fremantle Highway« war vor der niederländischen Insel Ameland in Brand geraten.

Auf der Insel- und Hallig-Konferenz wurde derweil am Mittwoch im nordfriesischen Dagebüll an die folgenschwerste Schiffskatastrophe in deutschen Gewässern erinnert: Vor 25 Jahren war der italienische Holzfrachter »Pallas« in Brand geraten. Lösch- und Abschleppversuche blieben wirkungslos. Am 29. Oktober 1998 strandete das Schiff vor Amrum. Bis das Feuer endgültig gelöscht war, vergingen Wochen. Die Havarie verursachte die bis dahin größten Ölverschmutzungen im Nationalpark Wattenmeer. Rund 220 Tonnen Öl liefen aus, 16 000 Vögel und zahlreiche andere Tiere verendeten.

Im 600-seitigen Havariebericht wurden zahlreiche Versäumnisse und unklare Zuständigkeiten kritisiert. So wurde die »Pallas«-Havarie – das Wrack liegt wie ein Mahnmal nur wenige Kilometer vor der Südspitze Amrums – zu einem Weckruf. 2003 installierte man das Havariekommando, das bei großen Schiffsunglücken alle Rettungseinsätze koordiniert. 91 »komplexe Schadenslagen« haben die Experten seither gemeinsam mit unterstellten Behörden gemeistert.

Bund und Länder hätten damals »die richtigen Lehren gezogen«, sagte Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) der dpa. Experten monieren hingegen, dass es bis heute keine nationale Küstenwache gebe, deren Einrichtung ebenfalls vor 20 Jahren beschlossen wurde. Auch sei man unzureichend auf die mit LNG-Terminals, Offshore-Windparks und immer größeren Schiffen verbundenen wachsenden Risiken vorbereitet, kritisiert etwa die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, die rund 200 Kommunen, Landkreise und Verbände vertritt.

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