»Mache mir große Sorgen um die Sicherheit des jüdischen Lebens«

Reinhard Schramm nennt Massaker der Hamas ein Pogrom und will antisemitische Muslime abschieben lassen

  • Interview: Sebastian Haak
  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Schramm, ich fange ganz banal an: Wie haben Sie vom Hamas-Terror in Israel am 7. Oktober erfahren?

So banal ist das gar nicht. Es ist so viel seit damals passiert, dass ich wirklich nachdenken muss… Das war ja ein Samstag… Ich bekam an dem Tag sehr früh Anrufe von der Polizei und vom Thüringer Innenministerium, die mich auf dieses Pogrom – wie man das ja nennen muss – aufmerksam gemacht haben. Beide haben mir gesagt, dass sie deshalb die Sicherheitsvorkehrungen für unsere jüdischen Einrichtungen erhöhen würden.

Was ging in Ihnen vor, als immer klarer wurde, was passiert ist?

Ich war schockiert, geschockt, von diesem Überfall von Mördern. Das war keine soldatische Tat, keine Kämpfer-Aktion. Hier sind bewusst Zivilisten angegriffen worden, wie etwa die jungen Leute, die getötet wurden, während sie ein Festival gefeiert haben. Deshalb war es genau das: ein Pogrom.

Wie haben andere Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde reagiert?

Interview
Erfurt - Schenkung einer Tora-Rolle 23.10.2019 , Erfurt, Neue Sy...

Der 1944 in Weißenfels geborene Reinhard Schramm ist der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens. Den Nationalsozialismus überlebte er gemeinsam mit seiner Mutter in einem Versteck. Sein Onkel, seine Großmutter und zwei ihrer Schwestern wurden ermordet. Im Interview spricht er darüber, warum er die Massaker der Hamas für ein Pogrom hält. Er erzählt von einer jüdischen Frau, der ein Deutscher geraten hat, sich nicht als Jude erkennen zu geben. Schramm sagt auch, wie die Politik aus seiner Sicht mit antisemitischen Muslimen umgehen sollte.

Die ersten Schilderungen aus Israel davon, was passiert ist, kamen sehr schnell, über unsere Mitglieder die dort Verwandte haben. Auch da spürte man sehr schnell einen Schock: Hier ist etwas passiert, was für die Juden zu größter Unsicherheit und Angst führt, in Israel. Und das überträgt sich auf die Juden in Deutschland. Das, was am 7. Oktober passiert ist, hat im Vergleich zu allem, was uns seit dem Holocaust zugestoßen ist, eine neue Qualität. Denn Juden sind ja in den Staat Israel gegangen, um persönlich endlich sicher zu sein.

Warum hat das aus Ihrer Sicht eine neue Qualität? Israel ist doch auch im Jom-Kippur-Krieg 1973 von seinen arabischen Nachbarn überfallen worden.

Weil sich dieses Pogrom, fünfzig Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg, nicht gegen den Staat Israel gerichtet hat. Erstmalig seit dem Holocaust sind Juden – und dann auch noch in ihrem eigenen Staat, in einer so großen Zahl – ermordet worden, einfach nur, weil sie Juden sind. Diese barbarische Tat hat sich gegen jüdisches Leben gerichtet, nicht gegen das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel, nicht gegen militärische Kriegsgegner. Es sind Babys ermordet worden, einfach nur, weil sie als jüdische Babys geboren wurden.

Fühlen Sie sich als Jude heute unsicherer als vor dem 7. Oktober?

Leider halte ich Anschläge auf Juden auch in Deutschland heute für viel wahrscheinlicher als noch vor einigen Wochen. Ich muss das so ehrlich sagen. Ich habe zwar persönlich keine Angst. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich als Einzelner von so einer Tat betroffen wäre, ist doch ziemlich klein.

Da spricht der Ingenieur in Ihnen.

Na ja, das ist einfach so. Aber das ändert doch nichts daran, dass ich mir sehr große Sorgen um die Sicherheit des jüdischen Lebens in der Welt und auch in Deutschland mache.

In Deutschland wurden auf Pro-Palästina-Demonstrationen antisemitische Parolen gerufen, manche feirten den Angriff der Hamas. Hat Sie das überrascht?

Nein, in keiner Weise.

Wirklich nicht? Die Politik und Gesellschaft in Deutschland haben sich angesichts dieser Bilder vor allem aus Berlin ebenso erschüttert wie überrascht gezeigt…

Es gab ja 2021 schon mal einen kurzen, kriegsähnlichen Konflikt an der israelischen Grenze zu Gaza. Damals gab es auch eine Solidaritätskundgebung für Israel in Erfurt, da waren vielleicht 200 oder 300 Leute da. Ich habe gesprochen, ebenso wie Herr Hoff, der Chef der Thüringer Staatskanzlei und Antisemitismus-Beauftragte der Landesregierung, zu dem ich ein gutes Verhältnis habe. Ich habe damals gesagt: Wir wollen ganz bestimmt nicht das Asylrecht aushebeln. Aber wenn antisemitische Muslime als Flüchtlinge nach Deutschland kommen und dann hier Straftaten begehen oder Hass auf Juden predigen – sofort abschieben. Ich habe das gesagt, weil ich mir schon damals keine Illusionen darüber gemacht habe, wie stark der muslimische Antisemitismus in Deutschland ist, dass der viel stärker geworden ist in den letzten Jahren, weil einfach viele antisemitisch eingestellte Muslime nach Deutschland gekommen sind. Herr Hoff hatte für diese Worte allerdings nur wenig Verständnis. Er hat gesagt, dass er diesen Ansatz für falsch hält. Dem habe ich widersprochen. Einen oder zwei Tage später hat mich dann Herr Ramelow…

… der Thüringer Ministerpräsident…

… besucht, weil er wahrscheinlich gespürt hat, dass das eine Frage ist, die uns vielleicht entzweien könnte.

Sie glauben also, dass zu viele in Deutschland die Gefahr unterschätzen, die für Juden von antisemitischen Muslimen ausgeht?

Das glaube ich. Sehen Sie, wenn von einer Millionen Flüchtlinge etwa zwanzig Prozent Antisemiten sind, dann sind wir einfach damit überfordert, deren Denken so zu verändern, dass sie von ihrem Hass auf Juden lassen. Wir können froh sein, wenn künftig deren Kinder und Enkel keine Antisemiten mehr sind. Aber bei der Mehrzahl dieser Menschen werden wir das nicht schaffen. Das muss sich auch die Politik eingestehen. Mir hat ein sehr aktives Mitglied unserer Landesgemeinde eine Begebenheit erzählt: Seine Frau saß in einem Deutsch-Kurs, als einzige Jüdin zusammen mit fünf oder sechs Männern aus Syrien, gebildete, gut erzogene Männer. Und trotzdem sagt der Deutsch-Lehrer zu ihr: Sagen Sie hier bloß nicht, dass Sie Jüdin sind. Das ist doch ein Eingeständnis dafür, dass wir es nicht schaffen werden, solchen Menschen ihren Antisemitismus abzugewöhnen.

In Deutschland gibt es Antisemitismus von rechts und links, muslimischen Antisemitismus und Menschen der selbsternannten bürgerlichen Mitte wie den Fernseh-Philosophen Richard David Precht, der ebenfalls antisemitische Klischees verbreitet. Welche Freunde und Unterstützer Juden in Deutschland?

Der Antisemitismus von links tut mir – ehrlich gesagt – besonders weh. Diese These, dass Israel eine kolonialistische Macht sei – und die ist bei Linken und Grünen häufig zu hören – ist so ein Unsinn, so eine böswillige Unterstellung. Ein paar Idioten gibt es auch bei Juden, na klar. Und die tun auch Arabern Unrecht an. Aber das jüdische Volk oder alle Juden oder den Staat Israel als die letzten Kolonisatoren darzustellen, ist einfach falsch. Und dann kommen so Leute wie Precht… Der hat keine Ahnung, wie es sich für jüdische Familien in Deutschland anfühlt, dass so viele ihre Verwandten im Holocaust gestorben sind. Er ist davon nicht betroffen gewesen, er hat es sich offenbar auch nicht angelesen, er hat wohl andere Sorgen gehabt. Aber dann soll er doch einfach schweigen.

Wenn Sie das so beschreiben, macht das die Frage von eben doch nur noch drängender: Fühlt es sich für Sie überhaupt noch danach an, als hätten Juden in Deutschland Freunde und Unterstützer?

Wir haben in allen demokratischen Parteien Unterstützer und Freunde. Natürlich gibt es auch dort immer Menschen, denen unser Schicksal gleichgültig ist. Aber eben längst nicht allen. Ich denke da zum Beispiel bei der CDU an Raymond Walk, oder bei den Linken an Bodo Ramelow oder Katharina König-Preuss, oder bei der SPD an Romy Arnold, oder bei den Grünen an Rüdiger Bender. Solche Menschen gibt es wirklich überall, auch in der Zivilgesellschaft. Sie unterstützen uns, die helfen uns. Auf sie sind wir angewiesen, weil wir Juden – in Europa, jedenfalls außerhalb von Israel – uns nicht alleine schützen können.

Sie und ich haben in den vergangenen Jahren öfter miteinander gesprochen… Derzeit scheinen Sie aber im Angesicht des Hamas-Terrors und seiner globalen Auswirkungen aufgebracht zu sein wie nie. Täuscht dieser Eindruck?

Ich habe schon vor zwei Jahren gesagt, was ich heute verstärkt sagen muss: Dass wir rigoros gegen antisemitische Straftäter vorgehen müssen, auch gegen solche, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Wenn man das nicht tut, heißt das, dass man uns und unsere Lage nicht versteht. Wir haben doch berechtigte Sorgen, Sorgen, die nicht nur uns betreffen, sondern die Demokratie insgesamt. Denn Antisemitismus richtet sich ja nicht nur gegen die Juden, sondern auch gegen die Gesellschaft, in der wir Juden in Deutschland leben. Wenn wir uns an den Antisemitismus gewöhnen, ist es nur ein kleiner Schritt, bis wir uns auch an die Ausgrenzung anderer Menschen gewöhnen. Aber es stimmt schon auch: Ich bin gerade ausgesprochen aufgebracht. Das, was den jüdischen Familien in Berlin nach dem Hamas-Angriff passiert ist, dass Menschen auf der Straße sich über Morde an Juden öffentlich gefreut haben, das hat es in Deutschland seit der Reichspogromnacht 1938 nicht mehr gegeben.

Also sind Sie auch verunsicherter als in den vergangenen Jahren?

Wenn meine Mutter, die den Holocaust als einzige meiner Familie überlebt hat, hätte mitansehen müsste, wie antisemitisch Deutschland gerade wieder ist, nach all dem, was unsere Familie durchgemacht hat, sie würde sich im Grabe herumdrehen. Ich bin größerer Sorge um das jüdische Leben, als ich das jemals war. Wegen der Hamas. Wegen der Stimmung in Deutschland. Wegen der vielen antisemitisch eingestellten Flüchtlinge. Weil viele Polizisten auf der Straße noch immer nicht in der Lage sind zu erkennen, was Antisemitismus ist. Weil die Mittelschicht in Deutschland das immer noch nicht weiß.

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