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Geflüchtete klagen gegen Ausländerzentralregister
Klage in Karlsruhe gegen »Datenschutz zweiter Klasse«
Elf Geflüchtete haben am Dienstag Verfassungsbeschwerde gegen die im November 2022 in Kraft getretene Gesetzesänderung des Ausländerzentralregisters (AZR) erhoben. Die Kläger werden dabei von Anwälten der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), der Organisation Pro Asyl und dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland unterstützt. Zudem unterstützt das Bündnis zwei Geflüchtete, die vor dem Verwaltungsgericht Ansbach auf Unterlassung der Weitergabe ihrer Daten aus dem AZR an die Polizei und Geheimdienste klagen.
Mit etwa 26 Millionen personenbezogenen Datensätzen ist das AZR eines der umfangreichsten automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung in Deutschland. Registriert wird jede Person, die ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland lebt. Mehr als 16 000 öffentliche Stellen und Organisationen können die Daten abfragen. Darunter sind neben den Ausländerbehörden auch Polizei- und Strafverfolgungsbehörden, Geheimdienste, Jobcenter, Jugendämter und Gerichte.
Dieser massenhafte Zugriff auf das »Datenmonster« AZR erhöhe das Missbrauchspotenzial enorm, beschrieb die GFF bereits im vergangenen Jahr in einer Studie. Nicht nur bestehe die Gefahr, dass Behörden viel zu ausufernd vom Datenabruf Gebrauch machten. Im schlimmsten Fall könnten sensible Daten auch in die Hände von rassistisch motivierten Straftätern oder Verfolgerstaaten gelangen, aus denen Betroffene geflohen seien.
Die vergangenes Jahr beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht, dass auch Asylbescheide und Gerichtsentscheidungen im AZR komplett gespeichert werden. Diese Daten enthalten persönliche Informationen zur Fluchtgeschichte, zu politischer Verfolgung, psychischer Gesundheit oder sexueller Orientierung. Auch Geheimdienste, Staatsanwaltschaften und die Polizei können die Informationen uneingeschränkt nutzen. Möglich ist dies sogar zur Verfolgung oder Abwehr von Bagatelldelikten.
Die Polizei kann außerdem »Gruppenauskünfte« in dem Ausländerzentralregister abfragen: Dabei wird die Datenbank nach Personen mit bestimmten Merkmalen durchsucht. Das könnte dem Verbot der Zweckentfremdung für die behördliche Nutzung von persönlichen Daten zuwiderlaufen.
Allein im Jahr 2020 führten Behörden laut Angaben der GFF im täglichen Durchschnitt 260 000 Datenabfragen im AZR durch. Besonders betroffen seien Geflüchtete, von denen auch biometrische Daten sowie Angaben zu Gesundheit, Bildung und Familie gespeichert sind.
Bei den Betroffenen handele es sich um eine besonders vulnerable Personengruppe, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suche, warnt die GFF. Das AZR verletze daher nicht nur das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern verstoße auch gegen das Diskriminierungsverbot und europarechtliche Vorgaben zum Datenschutz. Schließlich bleibe die Datensammlung nicht auf ein erforderliches und verhältnismäßiges Maß beschränkt. Die GFF hofft deshalb, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe »die grundrechtlichen Grenzen für die Speicherung von Daten geflüchteter Menschen klarzieht«.
»Ich wurde in der Türkei wegen meines prokurdischen Engagements verfolgt und gehe auch in Deutschland auf prokurdische Demonstrationen und Veranstaltungen. Ich möchte nicht, dass sich Sicherheitsbehörden im AZR über meine politischen Überzeugungen informieren können«, sagt eine von der GFF als Miran vorgestellte Klägerin. »Der fährlässige Umgang mit den Daten Geflüchteter reiht sich ein in die derzeitige Tendenz der Bundesregierung, die Grundrechte von geflüchteten und migrierten Menschen zu beschneiden«, kommentiert Wiebke Judith, die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
In der Klage geht es auch um die Rechte der Betroffenen: Einblicke in die über sie gespeicherten Daten bekommen sie nur sehr schwer, weiß die GFF. Bereits das Antragsverfahren für eine solche Auskunft sei mit hohen Hürden verbunden, die Antworten ließen sehr lange auf sich warten. Auch der Umfang der Antwort entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben.
Die nächste Ausweitung des AZR steht bereits bevor. In dem am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht ist auch von einem »verbesserten Datenaustausch über das AZR« die Rede. So sollen künftig auch Angaben dazu erfasst werden, ob und wie lange Betroffene existenzsichernde Leistungen erhalten. Der Abruf durch Ausländer- und Leistungsbehörden soll dabei automatisch erfolgen dürfen. Derzeit erhalten etwa Sozialämter Daten zum Umzug eines Ausländers nur auf Ersuchen im Einzelfall.
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