Geflüchteter in Hamburg unter Vorwand ins Amt bestellt

Nach Frankreich abgeschobener iranischer Aktivist erhebt schwere Vorwürfe gegen Hamburger Ausländerbehörde

  • Interview: Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 5 Min.
Abschiebung ins Ungewisse: für die Betroffenen eine traumatische Erfahrung
Abschiebung ins Ungewisse: für die Betroffenen eine traumatische Erfahrung

Sie werden im Iran als Regimegegner verfolgt und lebten seit März 2023 in Deutschland. Wie haben Sie es bis hierher geschafft?

Ich wurde im Iran letztes Jahr während der Jina-Revolution verhaftet. So nennen wir die demokratischen Proteste nach dem Tod der 22-Jährigen Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei. Ich selbst war 21 Tage lang eingesperrt. Ich wurde gefoltert. Nachdem ich eine Initiative zur ärztlichen Behandlung verletzter Personen mitgegründet hatte, wurde ich mit verschiedenen Anschuldigungen konfrontiert. Nachdem ich gegen Kaution freigelassen wurde, musste ich wegen des Drucks der Sicherheitskräfte und der gegen mich erhobenen Anklagen aus dem Iran fliehen. Ich suchte Zuflucht im irakischen Kurdistan. Dort wurde ich mehrfach von Unbekannten angegriffen, woraufhin ich ein Leben im Untergrund führen musste. Dies veranlasste schließlich Journalisten aus Frankreich, über das französische Konsulat meine Evakuierung aus der Region zu beantragen.

Die sogenannten Dublin-Regeln schreiben vor, dass für das Asylverfahren in der EU das Erstaufnahmeland zuständig ist. Warum sind Sie nach Deutschland weitergereist?

Wegen meiner Verletzungen, die mir im iranischen Gefängnis zugefügt wurden, konnte ich die iranisch-irakische Grenze nur mit großen Schwierigkeiten überqueren. Ich leide seitdem unter Panikattacken. Ich brauche jemanden, der sich um mich kümmert und dem ich vertrauen kann. Mein Bruder lebt in Hamburg, und wir stehen uns sehr nahe. Nachdem ich in Frankreich angekommen war, bekam ich psychische Probleme. Aber dort hatte ich weder Bekannte noch die Unterstützung meiner Familie, die ich so dringend brauchte. Also bin ich zu meinem Bruder nach Deutschland.

Interview


Keyvan Samadi ist Menschenrechts- und Umweltaktivist. Der Kurde aus der Stadt Oschnaviyeh im Nordwesten des Iran ist Ko-Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation »Kurdpa« und Gründer der Umweltschutz-NGO »Naji«. Vor seiner Flucht aus dem Iran wegen der Verfolgung von Protestierenden nach dem gewaltsamen Tod der 21-jährigen Jina Mahsa Amini gründete er im Herbst vergangenen Jahres das »Red Sun Network« zur medizinischen Versorgung verletzter Demonstranten. Seit März lebte er in Hamburg. Vor zwei Wochen wurde er nach Frankreich abgeschoben.

Jetzt sind Sie nicht mehr in Hamburg, sondern in Forbach, einer französischen Kleinstadt an der Grenze zu Deutschland. Was ist passiert?

Ich hatte vor zwei Wochen einen Termin bei der Ausländerbehörde in Hamburg, Wir wollten meine Ausweise erneuern. Mein Bruder und ich waren pünktlich vor Ort. Als der Beamte dort meinen Bruder sah, sagte er, das Computersystem sei ausgefallen. Er bat uns, am nächsten Morgen um 7.30 Uhr wiederzukommen.

Das hört sich seltsam an …

Am nächsten Tag, einem Freitag, ging ich also allein nochmals zur Behörde. Während ich im Wartezimmer saß, kamen drei Sicherheitsleute. Sie durchsuchten mich. Nahmen mir Handy und Rucksack weg. Dem Sachbearbeiter gaben sie meine Krankenversicherungskarte, mein Busticket und meine Einlasskarte zur Geflüchtetenunterkunft. Dann führten sie mich ab. Sie setzten mich in einen Bus, der vor der Ausländerbehörde wartete. Ich war einer Panikattacke nahe. Ich bestand darauf, einen Arzt und meinen Bruder zu kontaktieren. Aber die Männer gaben mir mein Mobiltelefon nicht zurück. Ich denke, der vermeintliche Computerausfall war vorgeschoben, um mich zu einem neuen Termin allein ins Amt zu bekommen, um mich leichter abschieben zu können.

Was geschah dann?

Ich saß weiter im Bus. Der war weiß, mittelgroß. Erst später gelang es mir zu telefonieren. Aber da konnte mir keiner mehr helfen, da ich bereits das Bundesland Hamburg verlassen hatte. Diese Situation führte dazu, dass ich große Angst bekam. Angst, wieder im Iran ins Gefängnis zu kommen. Ich bekam eine Panikattacke. Einer der Sicherheitsleute verdrehte meine Hand, um mich festzuhalten, was zu einer Verletzung meines Handgelenks führte. Als ich dann wegen der Schmerzen in meinem Handgelenk darum bat, einen Arzt aufzusuchen, wurde mir gesagt, dass es erst medizinische Hilfe geben werde, wenn wir die französische Grenze erreicht hätten.

Waren das Polizisten in dem Abschiebebus?

Nein, das waren Sicherheitsleute von der Ausländerbehörde. Polizisten habe ich erst in Frankreich gesehen. Mit mir im Bus saßen noch zwei Männer aus Nigeria.

Die Ausländerbehörde hatte Sie nicht über die drohende Abschiebung informiert?

Ich habe nur die Eingangsbestätigung für mein Schreiben bekommen, in dem ich das Dublin-Verfahren angefochten hatte. Einen Ausweisungsbescheid habe ich nicht erhalten.

Wie sind Sie in Frankreich angekommen?

Ich hatte starke Schmerzen im Handgelenk und dachte, dass es gebrochen sein könnte, weil es im Gefängnis im Iran schon verletzt wurde. Ich ertrug den Schmerz etwa acht Stunden lang. Irgendwann erreichten wir die französische Grenze im Saarland. Meinem gesundheitlichen Zustand wurde weiter keine Beachtung geschenkt. Erst in Saarbrücken trug mir ein Arzt eine schmerzlindernde Creme auf, verband mein Handgelenk und riet mir, in Frankreich erneut einen Arzt aufzusuchen. Das tat ich, und der französische Mediziner sagte mir, die Sehnen des Gelenks seien durch das Umknicken der Hand geschädigt.

Wie wurden Sie in Frankreich behandelt?

Die Deutschen übergaben mich der französischen Polizei. Die ließen mich im ersten Dorf zurück, das wir erreichten. Als ich fragte, was ich ohne Kleidung und Ladegerät, ohne genug Geld und Unterkunft machen solle, sagten sie, es sei nach Büroschluss, nicht ihr Problem. Viele Geflüchtete schlafen in Frankreich auf der Straße, oft monatelang. Bei meiner ersten Ankunft in Frankreich wurde ich von Männern angegriffen, sie nahmen mir das wenige Geld weg, das ich hatte. Ich rief Freunde in Deutschland an. Sie kontaktierten ihre Freunde in Frankreich, um eine vorübergehende Unterkunft für mich zu finden.

Was wollen Sie jetzt tun?

Ich versuche, legal nach Deutschland zurückzukommen. Ich mache mir in Frankreich Sorgen über meine Sicherheit. Eine weitere Panikattacke überlebe ich nicht. Ich muss zu meinem Bruder zurück, er ist die einzige Familie, die mir bleibt. Denn der Iran unterbindet jede Kommunikation mit meinen Eltern. Deutschland ist verpflichtet, Verfolgten und vom Krieg betroffenen Menschen Zuflucht zu bieten. Trotzdem werden jetzt viele Asylbewerber abgeschoben. Sogar Jesiden, Opfer des Völkermords des IS im Irak, wollen sie zurückbringen. Ich glaube, das alles passiert aus Angst vor rechten Parteien.

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