K-Pop: Rock me Algorithmus

Fans von K-Pop lieben das makellose Auftreten ihrer Stars. Mehrere KI-Projekte eifern dem nach. Sind Computer bald die besseren Stars?

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.
Eigentlich schon jetzt kaum von einer KI zu unterscheiden: Die Band BTS
Eigentlich schon jetzt kaum von einer KI zu unterscheiden: Die Band BTS

Wie genial ist K-Pop? Fragt man junge Menschen, dann ist die Antwort oft: sehr genial. Seit Jahren erobern koreanische Popgruppen wie BTS oder Blackpink die internationalen Hitlisten, regelmäßig kommen neue Gruppen nach, die wieder auf neue Weise beeindrucken. Gemein ist den globalen Erfolgen der K-Pop-Protagonistinnen: Audiovisuell makellos produzierte Songs und Videoclips, exakt synchronisierte Choreografien und nicht zuletzt: Stars, die sich freundlich wie gesellschaftspolitisch progressiv geben. In Zeiten allgegenwärtiger sozialer Medien lassen sich K-Popstars immer gut teilen.

Aber was wäre, wenn man für all das gar keine Menschen bräuchte? Wenn Maschinen genauso für ästhetische Offenbarung und persönliche Bewunderung stehen sowie zur Projektionsfläche von Träumen werden könnten? In Südkorea, dem Land, aus dem zuletzt besonders viel erfolgreicher Pop kam, ist dies nicht mehr nur eine hypothetische Frage. Über die vergangenen Monate haben mehrere Projekte Wellen geschlagen, in denen die Produzenten oder gar die Darstellerinnen nicht aus Fleisch und Blut sind. Künstliche Intelligenz (KI) sagt dem Menschen-Pop den Kampf an.

Zuerst könnten Komponierende um ihre Jobs fürchten. In diesem Jahr stellte die Streamingplattform Genie Music nämlich das erste KI-basierte Kompositionsprogramm im Land vor. Ohne musikalisches Wissen oder Können soll es damit möglich sein, nicht nur Soundbytes zusammenzusetzen, sondern ganze Stücke zu komponieren. Bei der Vorstellung der Software im Frühjahr schwärmte der in Südkorea bekannte Komponist Kim Hyung-suk, der nun mit Genie Music zusammenarbeitet: »Das ist unglaublich. Hier funktionieren Dinge in 30 Sekunden, für die ich zwei Tage brauchen würde.«

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In der südkoreanischen Musikbranche scheint man diesen Trend auch kaum bekämpfen zu wollen. Bang Si-hyuk, Vorsitzender des führenden Produktionsunternehmens Hybe, sagte zuletzt: »Ich bezweifle schon länger, dass diejenigen, die Musik kreieren und produzieren, für immer Menschen sein werden.« Vermutlich kann man sich im Geschäft nichts anderes leisten. K-Pop generiert weltweit Milliardenumsätze. Damit das so bleibt, muss man wohl mit dem Trend gehen. Und der beinhaltet offenbar die Eingliederung von KI.

Der Gipfel dieser Entwicklung scheint bisher die Kreation von Bands, bei denen nicht nur die Produktion auf Künstlicher Intelligenz basiert, sondern die Künstlerinnen selbst. Ein Beispiel hierfür ist die Girlgroup Eternity, die allerdings nicht wirklich aus Girls, sondern aus hyperrealistischen Bots besteht. Ein Videoclip der Gruppe, die echten Menschen tatsächlich zum Verwechseln ähnelt, wurde auf Youtube binnen neun Monaten 6,5 Millionen Mal geklickt.

Ein ähnliches Beispiel ist die Gruppe Mave, ebenfalls eine virtuelle Girlgroup, deren Mitglieder mehrere Sprachen sprechen, um so mit Fans weltweit zu kommunizieren. Auch hier basieren Gesichter und Körper technologisch auf online verfügbarem Bildmaterial. Bei Stimmen und Bewegungsabläufen funktioniert es ähnlich. Mehrere südkoreanische und einige internationale Medien haben über die Gruppe schon berichtet. Der Tenor: Man ist beeindruckt. Selbst die Fanseite »K Profiles«, die sich bisher den menschlichen Stars widmete, führt schon eine Liste virtueller Idole.

Immerhin sind sie gut in ihrem Job. Die Mitglieder von Eternity können schnell rappen, in vielen Oktaven singen und in diversen Stilen tanzen. Das Unternehmen Pulse9, das diese Kreaturen durch KI erschaffen hat, betont, dass diese deutliche Vorteile gegenüber echten K-Popstars haben. Nicht nur wegen ihrer Fähigkeit, zwischen diversen künstlerischen Stilen zu wechseln, wie es kaum ein Mensch beherrschen könnte. Die virtuellen K-Popstars sorgen auch nicht für Skandale.

Und die hat es in der menschlichen Realität des K-Pop immer mal wieder gegeben. Denn wer eine Showkarriere anstrebt, führt gerade in Südkorea schon in jungem Alter ein Leben voller Entbehrungen. Die Erwartungen an junge Erwachsene, die dann Ruhm erreichen, sind hoch, das Enttäuschungspotenzial entsprechend groß. Drogenkonsum und Liebesbeziehungen sind tabu. In den letzten Jahren wurden aber auch mehrere Darsteller zu Gefängnisstrafe wegen Zuhälterei oder Vergewaltigung verurteilt.

Andere schieden wohl durch Selbstmord aus dem Leben. Klatschmagazine umjubeln Stars nämlich nur so lange, wie sie dem Geschmack der Massen entsprechen. Die Sängerin Sulli etwa, die der Girlgroup f(x) angehörte, hatte über Diskriminierung von Frauen geklagt und erfuhr auf sozialen Medien rauen Gegenwind. 2019 war Sulli plötzlich tot. Wenig später nahm sich wohl auch Goo Hara das Leben, eine Sängerin, der damit gedroht worden war, dass ein Sexvideo mit ihr veröffentlicht würde. Vermehrt gab es auch Berichte, dass Newcomer zu Beziehungen mit Managern gedrängt wurden.

All so etwas würde bei virtuellen Stars nicht passieren. Sie werden nicht einmal älter, sofern die KI dahinter dies nicht vorsieht. Selbst Konzerte sind prinzipiell möglich, indem Hologramme auf die Bühne geworfen werden. Das gab es in Japan schon vor Jahren in Gestalt des Star-Avatars Hatsune Miku. Auch Hatsune Miku kann in diversen Stilen singen und tanzen, macht keine Fehler, kommt allerdings nicht fotorealistisch daher, sondern eher wie eine Comicgestalt. Was alle diese virtuellen Stars aber nicht können: Autogramme geben. Zumindest nicht auf Papier.

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