Rechter Krawall gegen Regierungsbildung in Spanien

Spanische Rechtsextreme protestieren gegen Amnestie für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter

  • Ralf Streck, Barcelona
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach mehreren Nächten, in denen Parteibüros der spanischen Sozialdemokraten (PSOE) von ultrarechten Protestlern belagert wurden, kam es am Montag zum Krawall vor der PSOE-Zentrale in Madrid. Nachdem die Polizei tagelang untätig blieb, ging sie zaghaft gegen Angriffe von gut 3500 Rechtsextremen vor. Die versuchten, Absperrungen zu durchbrechen, um die Parteizentrale zu stürmen. Dabei wurden drei Personen festgenommen.

Offiziell richtet sich der über soziale Netzwerke mobilisierte Aufruhr gegen eine geplante Amnestie für die Vorgänge um das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien 2017 – eine Bedingung der katalanischen Unabhängigkeitsparteien, um die erneute Regierungsbildung von Pedro Sánchez zu ermöglichen. Angeführt wurde die Meute in der Hauptstadt vom Vizepräsidenten der autonomen Gemeinschaft Kastilien und Léon, Juan García-Gallardo (Vox). In einigen Regionen regiert die rechte Volkspartei (PP) mit Unterstützung der Anhänger der Franco-Diktatur.

Aber auch PP-Anhänger waren bei den Protesten. Das Ex-Führungsmitglied der PP Esperanza Aguirre rief Demonstranten dazu auf, die Straße zu blockieren. PP-Chef Alberto Núñez Feijóo kündigte derweil landesweite Proteste für den Sonntag an. Die Amnestie bezeichnete er als »Angriff auf den spanischen Staat«, welcher von »beispiellosem Ausmaß in der Geschichte der Demokratie« sei. Der Chef der rechtsextremen Vox-Partei, Santiago Abascal, war auch am PSOE-Sitz. Der Ultra kündigte eine Klage gegen das »offensichtlich verfassungswidrige« Gesetz an, das es bisher nicht einmal gibt, da darüber noch mit dem katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont in Belgien verhandelt wird.

Mit einer Schutzklage wollen die Ultras dessen Behandlung im Parlament verhindern. Dabei können sie sich auf den zweifelhaften Vorgang berufen, mit dem das von PP-Richtern dominierte Verfassungsgericht einst Gesetzesdebatten im katalanischen Parlament verboten hat. Die ehemalige Parlamentspräsidentin Carme Forcadell wurde wegen angeblichen Aufruhrs zu 11,5 Jahren Haft verurteilt. Sie hatte die Behandlung mit Verweis auf die Parlamentsautonomie und Gewaltenteilung zugelassen.

Sogar Putsch-Aufrufe zirkulieren schon in Polizeizentralen und Kasernen der paramilitärischen Guardia Civil. Diese war federführend am letzten Putsch von 1981 in Spanien beteiligt. In einem »Brief des Volkes an die Streit- und Sicherheitskräfte« wird eine Antwort der »Armee, der Guardia Civil und der Nationalpolizei« angesichts einer »erbärmlichen und völkermörderischen Aktion« gefordert. Man habe es mit einer »nie dagewesenen Katastrophe« zu tun, die zum »Zerbrechen des Vaterlandes über den Separatismus« führe. Man kennt diese Rhetorik vom Putsch 1936 gegen die Republik, mit dem das Land in den Bürgerkrieg gestützt wurde, auf den die Franco-Diktatur bis 1975 folgte.

200 hochrangige Juristen, darunter auch renommierte Professoren für Verfassungsrecht wie Javier Pérez Royo oder Joaquín Urías, haben in einem offenen Brief deutlich gemacht, dass die Amnestie nicht nur »verfassungsgemäß«, sondern auch »notwendig« ist. Sie verweisen darauf, dass es in der Geschichte schon mehrere gab. Sogar Massenmorde der Diktatur wurden amnestiert.

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Trotz allem sprach sich der Kontrollrat für Justizgewalt (CGPJ) gegen das geplante Gesetz aus. Der von PP-Anhängern dominierte Rat ist seit fünf Jahren verfassungswidrig nur geschäftsführend tätig, da die PP dessen Erneuerung blockiert, was sogar die EU-Kommission heftig kritisiert. Obwohl Mitglieder die Sitzung als illegal bezeichnet haben, trat der Rat am Montag zusammen und verabschiedete eine »institutionelle Erklärung« gegen die geplante Amnestie.

Einen weiteren Torpedo auf die Verhandlungen der PSOE von Sánchez mit der Puigdemont-Partei (JxCat) und der Republikanischen Linken (ERC) feuerte am Montag ein Richter des Nationalen Gerichtshofs ab. Dieser ermittelt nun sogar wegen »Terrorismus« gegen Puigdemont und die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira, die sich seit 2017 im Schweizer Exil befindet.

Hintergrund sind die heftigen Proteste im Herbst 2019, als Aktivisten und Ex-Regierungsmitglieder für die Durchführung des Referendums 2017 wegen Aufruhr zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt worden waren. Nicht einmal die spanische Justiz konnte die Rebellion beweisen. Deutschland, Belgien, Großbritannien und die Schweiz lehnten die Auslieferung von Exilanten ab, da auch sie keinen gewaltsamen Aufruhr sahen.

Die Verhandlungen für eine Regierungsbildung gehen derweil weiter, ein Durchbruch wurde aber auch am Montag in Brüssel nicht erreicht. So fordert Puigdemont unter anderem, den juristischen Krieg (Lawfare) gegen die Katalanen ins Amnestiegesetz aufzunehmen. Offen sind aber auch noch weitere Punkte, so die Durchführung eines Referendums nach dem Vorbild Schottlands.

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