Antisemitismus: Solidarisch sein mit bedrohten Jüdinnen und Juden

Sebastian Weiermann über grassierenden Antisemitismus 85 Jahre nach der Reichspogromnacht

Was sagt es über den Zustand dieses Landes aus, wenn der Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen« kurz vor dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht berichtet, dass die Mitglieder der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland, der Israelitischen Kultusgemeinde München, darum bitten, die Zeitung künftig nur noch »in neutralem Umschlag« zugesendet zu bekommen? Weil sie aus Sicherheitsgründen nicht wollen, dass Nachbarn und Zusteller erfahren, dass es sich bei ihnen um Juden handelt. Was sagt es, wenn Jüdinnen und Juden auf religiöse Symbole verzichten oder in der Öffentlichkeit nicht mehr hebräisch miteinander sprechen?

Es sagt uns: Der Antisemitismus, der nie wirklich weg war, ist mit voller Kraft zurück. 85 Jahre nach der Pogromnacht und 78 Jahre nach dem Ende der industriellen Vernichtung von sechs Millionen Menschen haben viele Jüdinnen und Juden so viel Angst wie noch nie in ihrem Leben.

Der Antisemitismus heute in Deutschland hat viele Fratzen, er ist nationalsozialistisch, islamistisch – und es gibt ihn auch von links. Auf linken Antisemitismus haben wir einen Einfluss. Er findet in unserem Umfeld statt. Wenn wir das »Nie wieder«, das heute wieder oft zu hören ist, ernst nehmen, dann müssen wir eingreifen, wenn wir solche Tendenzen erleben.

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Die neue antisemitische Flut ist eng mit dem Nahost-Konflikt verknüpft. Viele Linke haben ein starkes Bedürfnis, gegen das Leid in Gaza zu protestieren. Das ist verständlich und richtig. Aber wenn solche Proteste ins Antisemitische abgleiten, der Holocaust relativiert wird, Verschwörungserzählungen verbreitet werden, dann müssen wir laut dagegen angehen. Dann müssen wir »Stopp« sagen und solidarisch gegenüber Jüdinnen und Juden sein, die sich bedroht fühlen.

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